Der erste von zwei Briefen, die Lisa Poettingers beruflichen Traum zerstören könnten, landete Ende November in ihrem Briefkasten. „Es war ein auffälliges, farbiges Kuvert“, erinnert sich die 28-jährige Münchnerin. „Das war natürlich ein Schock.“ Das Kultusministerium beabsichtige, ihr die Zulassung zum Referendariat „zu versagen“, heißt es bereits auf der ersten Seite. Doch ohne diesen praktischen Teil kann die Lehramtsstudentin nicht Lehrerin werden. „Das bedeutet ein Berufsverbot. So will man mich und andere kritische junge Menschen mundtot machen“, sagt Poettinger.
Auch an diesem Sonntag Anfang Februar in einem Münchner Café ist die junge Frau noch immer fassungslos. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und scrollt durch eine digitale Kopie des 23 Seiten langen Schreibens vom November. Das Kultusministerium wirft der Klimaschutzaktivistin darin vor, sie sei linksextrem und und damit für den Lehrerberuf ungeeignet. Und sie wird dazu aufgefordert, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Doch ihre Antwort wird das Ministerium am Ende nicht überzeugen – am 10. Februar wird ihr laut eigener Aussage per Boten final in einem Bescheid mitgeteilt, dass sie kein Referendariat machen darf.
Doch das weiß Poettinger, die eine der führenden Stimmen der Klimaprotestbewegung in Bayern ist, an diesem Abend Anfang Februar noch nicht. Sie zeigt im Café eine Vielzahl an Solidaritätsnachrichten, die sie zuletzt erreichten. Immer wieder wischt sie mit ihren Fingern über ihr Handy. Sie lächelt. „Es tut mir unglaublich weh, dass das passieren konnte“, schreibt ein Kommilitone.
Auch der Papst spricht von Profitmaximierung
Es gibt sogar eine Liste mit Solidaritäts-Unterschriften. Poettinger zeigt eine Textnachricht: Ein ehemaliger Mitstudent schreibt, dass er aus Angst vor Konsequenzen für sein eigenes Referendariat nicht unterschrieben habe. „Die Einschüchterung funktioniert bereits“, glaubt Poettinger.
Als ein Beispiel wird seitens des Ministeriums für Poettingers angeblich fehlende Verfassungstreue eine Äußerung von ihr aus dem Jahr 2021 angeführt. Die linke Klimaschutzaktivistin sagte damals über die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA), diese sei ein „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“. Die junge Frau liest die entsprechende Stelle aus der ausführlichen Begründung betont langsam vor: „Profitmaximierung ist eine den Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie zugeordnete Wendung“, heißt es im Schreiben des Ministeriums.
Die Lehramtsanwärterin lacht kurz auf. Sie verweist darauf, dass nicht nur Linke das Wort wie selbstverständlich verwenden. Tatsächlich hat neben Wirtschaftsforschern auch der kommunistischer Umsturzversuche unverdächtige Papst Franziskus in einer Enzyklika vor „den Prinzipien der Profitmaximierung“ und deren möglichen negativen Auswirkungen auf die die Umwelt gewarnt.
Poettinger ist schlank und hat lange braune Haare. Sie trägt einen schwarzen Pullover, redet flüssig.Wenn die Studentin ihre Argumente vorträgt, kann man sich gut vorstellen, wie sie irgendwann einmal Kindern eloquent gesellschaftliche Zusammenhänge erklärt. Sie will an Gymnasien unterrichten. Sie will an Gymnasien unterrichten: Englisch, Schulpsychologie, Ethik und Deutsch als Zweitsprache.
Radikalenerlass reloaded?
Das Café Jasmin ist ein jahrzehntealtes Kaffeehaus in der Münchner Maxvorstadt. Mit Rüschengardinen, lindgrünen Sofas im Oma-Stil, Kronleuchter, Goldtapeten und vergoldetem Spiegel wirkt es wie ein Relikt der Vergangenheit. Auch der Fall Poettinger erinnert an längst vergangene Zeiten: 1972 beschlossen die Länder mit der Bundesregierung den Radikalenerlass. Mutmaßliche Verfassungsfeinde sollten grundsätzlich für den öffentlichen Dienst abgelehnt werden. Die Entscheidung traf vor allem politisch links stehende angehende Lehrer. Ende der 1970er-Jahre hoben die Länder den Radikalenerlass in der Praxis sukzessive auf – Bayern im Jahr 1991.
Kehrt der Erlass zurück? „Ganz vereinzelt kam es in den letzten Jahren zu Entlassungen aus dem Dienst wegen der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene“, sagt ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums.
Ministerium verweits auf laufende Ermittlungsverfahren gegen Poettinger
Zum Fall Poettinger teilt er mit: „Lehrkräfte haben wie kaum eine andere Berufsgruppe Einfluss auf junge Menschen und ihre Entwicklung.“ Der Freistaat habe sicherzustellen, dass sich Personen, die in den Staatsdienst aufgenommen werden, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Bestünden Zweifel daran, so müssten diese vor der Einstellung etwa durch eine Anfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz ausgeräumt werden.
Als Gründe für die geplante Ablehnung führt das Ministerium nicht nur von ihr verwendete Begriffe an, sondern auch zwei laufende Ermittlungsverfahren – eines, weil sie ein aus Sicht von Kritikern antisemitisches AfD-Plakat heruntergerissen hat. Und dann ist da noch ihr Engagement bei der Gruppe „Offenes Antikapitalistisches Klimatreffen München“, die der Verfassungsschutz als linksextrem einstuft.
Arm im reichen Bayern
Daraus, dass sie Marxistin ist, macht Poettinger keinen Hehl. Sie wuchs im eher wohlhabenden Murnau auf. Touristen kommen gerne mit dem Auto hierher – wegen der saftigen Wiesen, des Alpenblicks und Menschen in Dirndl und Lederhose. Poettinger dagegen wollte früh weg.
Sie wohnte bei ihrer alleinerziehenden Mutter. Was Armut für Kinder in einem reichen Land bedeutet, habe sie phasenweise in ihrer Kindheit zu spüren bekommen. Ihre Mutter habe sehr viel gearbeitet, dennoch sei das Geld knapp gewesen. Vieles habe man sich nicht leisten können. „Wenn Volksfest ist, kannst du zwar hingehen, aber anders als die anderen kein Fahrgeschäft fahren.“ Auch beim Essen habe die Familie sparen müssen. „Da war ganz viel nicht auf dem Tisch.“ Poettinger nippt an ihrem Getränk. „Es prägt dich, wenn du die zwei Welten siehst, Reichtum und Armut eng beieinander – und du merkst schnell: Der Unterschied ist nicht der Fleiß.“
Neben dem Studium arbeitet die ausgebildete Kinderpflegerin in einem Waldkindergarten. Wo genau will sie nicht sagen. „Ich will die Kinder und Eltern aus der Öffentlichkeit raushalten.“ Letztere wollten aber zumindest das Wort für die junge Frau ergreifen. In einem offenen Brief an das Kultusministerium schreiben die Eltern über Poettinger: „Sie ist nicht nur eine engagierte und talentierte Erzieherin. Sie ist ein leuchtendes Vorbild für die Werte, die wir unseren Kindern vermitteln wollen.“
In ihrer täglichen Arbeit lebe „Lisa demokratische Prinzipien vor“. Sie zeige den Mädchen und Jungen, wie wichtig es sei, „unterschiedliche Meinungen zu respektieren und Konflikte friedlich zu lösen“. Poettinger fühle sich der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung „zutiefst verpflichtet“, heißt es in dem Schreiben. Sie habe zudem stets versichert, dass sie ihr gesellschaftspolitisches Engagement und die als Pädagogin klar trenne.
Doch seit Montag steht nun endgültig fest, dass der Freistaat sie nicht zulassen wird. Sie will nun dagegen klagen. „Denn Lehrerin ist mein Traumberuf.“ (Tobias Lill)
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