Leben in Bayern

Norbert Göttler (61) engagiert sich für einen offenen, toleranten Heimatbegriff. (Foto: Thomas Seeholzer)

15.05.2020

Der Bayern-Spezialist

Bezirksheimatpfleger und Autor Norbert Göttler hat die Erforschung der Heimat zu seinem Lebensthema gemacht

Manchmal wird er für seinen Job beschimpft: Norbert Göttler ist Bezirksheimatpfleger von Oberbayern. Und kämpft gegen den Missbrauch des Begriffs Heimat, berät sogar das Landesamt für Verfassungsschutz in dieser Frage. Das Engagement des Mannes, der mit 21 Jahren Amnesty International in Dachau gegründet hat, ist vielfältig. Gerade hat er ein Buch geschrieben über den nahezu vergessenen Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer.

Er ist ein Mann, der bereits als 21-Jähriger Amnesty International in Dachau gegründet hat. Und auch die dortige Jugendbegegnungsstätte geht auf sein Konto. Heute reichen Norbert Göttlers Aufgaben von „A wie Archäologie bis Z wie Zeitgeschichte“. Der 61-jährige Historiker ist seit acht Jahren Bezirksheimatpfleger von Oberbayern. Und engagiert sich als solcher für einen offenen, toleranten Heimatbegriff. Gemeinsam mit der Akademie für politische Bildung in Tutzing wird Göttler, der in München Theologie, Philosophie und Geschichte studiert hat, im November zum Beispiel die Tagung Missbrauchte Heimat. Volkskultur im Dritten Reich leiten.

„Der Heimatbegriff schließt nicht aus, er ist inklusiv“

Rund zweieinhalb Millionen Euro Zuschüsse bewilligt der Bezirksheimatpfleger nach eigenen Worten jährlich, beispielsweise für private Denkmalpflege, regionale Kulturarbeit, Publikationen oder Tagungen. „Ich bin auch viel unterwegs, der Bezirk Oberbayern hat 20 Landkreise“, sagt Göttler und lacht. Außerdem pendelt der Vater eines erwachsenen Sohnes zwischen seinen Dienstsitzen in München und Benediktbeuern. Dort veranstaltet der Historiker regelmäßig Ausstellungen zur oberbayerischen Geschichte.

„Trotz vieler Aufgaben bleiben Schwerpunkte“, sagt Göttler. Und dazu gehöre für ihn besonders, „sich mit dem Missbrauch des Begriffs Heimat auseinanderzusetzen, der einen ungeahnten Hype erlebt“. Menschen, die ganz genau zu wissen glauben, was Heimat sei und was nicht, seien ihm unheimlich. „Denn die wissen auch schnell, wer dazugehört und wer nicht.“ Im Gegenzug dazu „ist unser Heimatbegriff inklusiv, schließt nicht aus, macht neugierig auf Vielfalt“, betont Göttler. Da sei er sich mit seinem Dienstherrn, dem Bezirkstagspräsidenten Josef Mederer (CSU), einig. Die regionale Einheit solle ernst genommen, aber nicht gegen die Globalisierung ausgespielt werden. Trotz verbaler Angriffe, offen und anonym, lässt sich der Historiker nicht beirren. „Eine Bewegung, die den Heimatbegriff für sich politisch zweckentfremden will, erlebe ich täglich.“ Auch mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz, das die rechtspopulistische Identitäre Bewegung beobachtet, tauscht sich der Bezirksheimatpfleger nach eigenen Worten regelmäßig beratend über die Bedeutung des Heimatbegriffs aus.

Göttler aber ist nicht nur Historiker und Heimatpfleger, er ist auch Autor. Gerade ist sein Buch Dachau, Moabit und zurück im Allitera Verlag erschienen. Es beleuchtet den weitgehend vergessenen bayerischer Widerständler Albrecht Haushofer, den die SS vor 75 Jahren im April 1945 ohne Prozess in Berlin erschoss. Göttler möchte das ändern. Er plant auch eine Ausstellung in Benediktbeuern über die Familie Haushofer. Sie soll ab Herbst entweder online oder 2021 live zu sehen sein. „Ich sehe es auch als Pflicht eines Heimatpflegers an, solche Personen wieder ins Licht zu rücken“, erklärt der Historiker.

Im Alter von 42 Jahren schrieb Albrecht Haushofer auf eingeschmuggeltem Papier und mit einem Bleistiftstummel in der Haftanstalt Berlin-Moabit 70 Sonette, die heute im NS-Dokumentationszentrum in München zu sehen sind. „Die Moabiter Sonette, die Haushofer unter dem Eindruck des Todes in der Zelle schrieb, gehören für mich zum Einprägsamsten, was Widerstandsliteratur hervorgebracht hat“, betont Göttler, der selbst Lyrik, Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht hat. Haushofers Gedichte las er selbst zum ersten Mal im Schulunterricht.

Auch Eindrücke aus seiner eigenen Kindheit beschreibt der Heimatforscher in seinem neuen Buch. Göttlers Onkel wurde als 17-Jähriger noch kurz vor Kriegsende eingezogen und ermordet. Sein Großvater war Bürgermeister der Gemeinde Prittlbach im Landkreis Dachau. „Er war sicher kein Widerständler, aber auch kein NSDAP-Parteimitglied“, erzählt Göttler. Ebenso wenig wie sein anderer Großvater, ein Großgrundbesitzer. Ein Teil dessen Bauernhofs wurde von den Nazis enteignet und als Außengelände des KZ als Schießplatz benutzt. „Meine Vorfahren standen nicht auf der Liste der Täter, auch nicht auf der Liste der Widerständler, aber auf welcher Liste standen sie dann?“, fragt Göttler.

Der Bezirksheimatpfleger selbst wuchs im Gut Walpertshofen am Rande des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau auf, das erst 1965 zur Gedenkstätte wurde. „Damals lebten in diesem Lager für ,Displaced Persons‘ an die 30 000 Menschen, die noch in den alten Baracken wohnten.“ Göttlers Mutter beschäftigte Flüchtlingsfrauen als Erntehelferinnen, holte diese vom Lager ab, brachte ihnen etwa Weihnachten Geschenke. „Ich durfte als kleiner Bub mitfahren, und diese sinnlichen Eindrücke sind mir sehr präsent.“ Auch die einfachen Menschen, „Schwemmgut der riesigen Menschheitskatastrophe“, würdigt Göttler in seinem Buch, etwa eine namenlose arme Sängerin, die für ein wenig Geld auf den Höfen ein Ständchen gab. „Das war für mich faszinierend und zugleich ein unheimlicher Eindruck aus einer anderen Welt.“

Dass Albrecht Haushofer, der ab 1939 Kontakt zum Widerstand aufnahm und Zugang zu den Kreisen des 20. Juli hatte, anfangs eher ein Zauderer war, macht ihn für Göttler besonders interessant. „Natürlich sind wir alle begeistert von Menschen, die von Anfang an klare Gegner Hitlers waren, wie Georg Elser oder Mitglieder der Weißen Rose“, sagt er. „Aber das waren sehr wenige, und ob man da dabei gewesen wäre, ist auch fraglich.“

Anders als sein Vater Karl Haushofer, Freund von Rudolf Heß, später auch als „Gehirn des Führers“ bezeichnet, misstraute Albrecht schon früh den Nationalsozialisten. Obwohl er anfangs sogar als Dolmetscher für Hitler arbeitete und hoffte, so mäßigenden Einfluss auf das System zu nehmen. Auf dem Hartschimmelhof seiner Familie am Ammersee gingen die Nazi-Größen ein und aus. Mutter Martha, als „Halbjüdin“ gefährdet, stand unter dem Schutz von Heß.

Die mühsame Befreiung Haushofers aus dem väterlichen Milieu hin zum „bedeutenden bayerischen Widerständler“ ist für den Bezirksheimatpfleger und Autor auch in literarischer Hinsicht interessanter Stoff. Göttlers Collage ist literarische Spurensuche. Bei der Recherche hat der Autor auch mit Zeitzeug*innen gesprochen, etwa mit Überlebenden des Stauffenberg-Kreises, Überlebenden der Weißen Rose, mit der Familie Haushofer auf dem Hartschimmelhof am Ammersee und dem Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Bruder von Haushofers Freund Carl Friedrich. Die Eltern von Albrecht, Karl und Martha Haushofer, begingen 1946 Selbstmord. Dorfbewohner*innen, ein Arzt und eine Nonne versteckten Albrecht Haushofer im Klostergut Kerschlach bei Andechs. Danach kam er in einem Bauernhof nahe der Partnachalm bei Garmisch unter, wo ihn die Besitzerin versorgte, bis ihn ein Denunziant verriet.

Dass sich Göttler mit bayerischer Sprache auskennt, fern von jeglichem Kitsch, zeigt auch seine Freude an Dialektdichtung. Erst im vergangenen Jahr brachte der Schriftsteller schräge „bairische Gedichte“ in dem Band Herbstwindwischpara heraus. Göttler ist Mitglied des Schriftstellerverbands PEN, der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste sowie der Literatenvereinigung Münchner Turmschreiber. Seine Leidenschaft für das Schreiben kann der Heimatpfleger trotz seines Arbeitspensums noch ausleben. „Rein fiktive Bücher und Gedichte darf ich privat als Nebentätigkeit schreiben, alles was mit bayerischer Geschichte, Architektur und Denkmalpflege zu tun hat, verfasse ich in meiner Dienstzeit.“

Mittlerweile wohnt der Heimatpfleger wieder in der Gegend, in der er aufgewachsen ist. Ganz in der Nähe des Gutshofs, in dem seine Familie seit 400 Jahren lebt. Schon deswegen müsse ihm niemand erklären, was Bayern und Tradition bedeute, sagt Göttler, der gerne mal zum Schafkopfen geht. Trotzdem genießt der Autor es, regelmäßig in München zu sein. Wie lange die Gegend noch ländlich bleibe, sei die Frage. Aber die Verstädterung sei wieder ein anderes Thema, sagt Göttler und lacht.
(Lucia Glahn)

Foto (Privatarchiv Haushofer): Von den Nazis erschossen: Über den Widerständler Albrecht Haushofer hat Göttler gerade ein Buch veröffentlicht.

Kommentare (1)

  1. GS am 17.05.2020
    Interessant und sonderbar zugleich. In Bayern darf einer nicht mal seine Heimatansichten, sowohl auch die Deutsche Sprache verteidigen. Einem ehemaligen bayrischen Minister fuer Kultur hat, zu fremdes Deutsch in Bayern, meine Fragestellung nicht behagt.
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