Armin Kasper haut mit der Faust auf den Tisch: „Wir müssen einfach kämpfen. Ein Haus in Haidhausen, das ist doch was! Und es ist unser Haus.“ Der 62-jährige Briefträger sitzt mit acht Mitstreiterinnen und Mitstreitern an einem langen Tisch in einer Wohnküche in eben jenem Haus in Haidhausen. „Wenn wir scheitern, dann scheitern wir. Aber dann haben wir’s wenigstens versucht.“
Es ist die Küche der Nachbarn Verena Hägler und Andy Ebert im ersten Stock, die einmal in der Woche zum Krisenzentrum wird. Sie ist geräumig und gemütlich, hohe Decken, Stuck. Am Küchentisch beratschlagen sie sich nun schon seit Monaten jeden Donnerstag, wie sie es anstellen können, dass sie auch in ein paar Jahren noch hier wohnen – und das zu bezahlbaren Mieten. Seit sie die Annonce gesehen haben, dass ihr Haus zum Verkauf steht, herrscht Alarmstimmung in der Wörthstraße 8.
Betritt man das Haus, steht man zunächst zwischen Kinderwagen auf einem Mosaik, das stolz das Baujahr des Hauses verkündet: 1894. Ein unsanierter Altbau mit Holzfußboden, Kastenschlössern und allem, was dazugehört. Die alte Holztreppe knarzt beharrlich, von den Wänden im Treppenhaus blättert etwas die Farbe ab, aber sonst – das haben sich die Bewohnenden von Gutachtern bestätigen lassen – ist das Haus gut in Schuss.
13 Wohnungen hat das Haus und 29 Bewohner*innen. Von der Schneiderin über den Schreiner und die Grafikerin bis zur Tierärztin ist alles vertreten. Unten befinden sich noch ein Schreibwaren- und ein Schmuckladen sowie ein Friseursalon.
Haidhausen also. Sicherlich eines der schönsten Stadtviertel Münchens. Das Viertel hat den Krieg für Münchner Verhältnisse gut überstanden. Laut Wikipedia sind sogar zwei Drittel der Gebäude über 100 Jahre alt. Biergärten gibt es hier, Cafés, kleine Läden, den Bayerischen Landtag und sogar eine richtige inhabergeführte Metzgerei. Ein Dorf mitten in der Stadt, schreiben die Reiseführer.
Eine Woche zuvor, zweiter Stock. Wer bei Katrin Göbel vor der Tür steht, auf den richten erst einmal die Cartwrights ihre Colts. Als gelte es, die Ponderosa gegen Eindringlinge zu verteidigen. Hinter der Tür, an der die Bonanza-Postkarte klebt, trifft man im Wohnzimmer dann neben Katrin Göbel auch Andy Ebert und Hendrik Wirschum; die drei gehören zum harten Kern der Hausgemeinschaft und erzählen von ihrem eigenen Häuserkampf. Göbel, 57 Jahre alt, wohnt bereits seit 33 Jahren in der Wörthstraße 8. Gemeinsam mit einer anderen Hausbewohnerin betreibt sie den Schreibwarenladen Kokolores im Erdgeschoss. Ebert, 48, arbeitet als Informatiker, Wirschum, 39, als Gewässerökologie.
„Wird unser Haus UNSER Haus?“ lautet die Frage, die auf den Flyern und Postkarten prangt, die sie haben drucken lassen. Eine große Frage. Mit einem großen Fragezeichen. Denn in der Tat ist es gerade in München etwas ziemlich Einzigartiges, was diese Menschen hier planen: „Unsere drei Hauptziele“, erzählt Wirschum, „sind, dass wir erstens mal dieses Haus für immer dem Spekulationsmarkt entziehen, dass wir sozialverträgliche Mieten garantieren können und dass wir selbstverwaltet sind.“
Dass sie von der Annonce erfahren haben, war reiner Zufall. Eine Bewohnerin des Hauses wurde im vergangenen Sommer von einer Bekannten auf die Anzeige in einem Immobilienportal hingewiesen: „Das ist doch euer Haus.“ 6,5 Millionen Euro, das war die Summe, die der Eigentümer für das Haus wollte – genaugenommen für eine Hälfte davon, denn die andere gehörte seiner Schwester.
Als die Mieter daraufhin die Geschwister kontaktierten, lernten sie zwei vergleichsweise gesprächsbereite Exemplare der Gattung Vermieter kennen, die ihren Mieter*innen auch gern dauerhaft bezahlbare Mieten sichern würden.
So ergab sich in den folgenden Gesprächen ein Plan, der kompliziert, aber vielversprechend erschien: Der eine Eigentümer würde seinen Anteil der Hausgemeinschaft verkaufen und sich mit 5 Millionen Euro begnügen, von denen 2 Millionen erst nach fünf Jahren bezahlt werden müssten. Seine Schwester, die mittlerweile in der Schweiz lebt, würde ihre Hälfte einer dortigen Stiftung überschreiben, die dann wiederum ihre Hälfte des Gebäudes gegen die andere Hälfte des Grundstücks eintauschen würde, um daraufhin das Gesamtgrundstück der Hausgemeinschaft in Erbpacht zu überlassen. Das Modell der Stiftung sieht ohnehin vor, Grundstücke der Spekulation zu entziehen und mit dem Pachtzins „das freie Kultur- und Geistesleben“ zu fördern. Gehört der Stiftung einmal ein Grundstück, darf sie es nicht mehr verkaufen.
Damit der Deal funktioniert, müsste die Hausgemeinschaft sich nun also nur noch das nötige Geld leihen, um den Bruder auszubezahlen, und das zu Konditionen, die ihnen erlaubten, mit ihrer Miete den Kredit abzubezahlen, den Erbzins von jährlich 75 000 Euro zu begleichen und das Haus instand zu halten.
Deshalb will sich die Hausgemeinschaft jetzt dem Mietshäuser Syndikat anschließen. Ziel dieser Initiative ist es, möglichst viele Häuser und Grundstücke dauerhaft aus dem Spekulationsmarkt herauszukaufen. Dazu schließen sich die Bewohner*innen eines Hauses zu einem Verein zusammen, der zusammen mit dem Syndikat eine GmbH gründet, der wiederum das Haus gehört. Dadurch wird verhindert, dass die Bewohner das Haus doch irgendwann verkaufen.
Im Fall der Wörthstraße 8 soll das nötige Geld über Direktkredite von Menschen reinkommen, die das Projekt unterstützen wollen. In den vergangenen Wochen gingen Absichtserklärungen für Kredite in Höhe von mehr als 400 000 Euro ein. Laufzeit und einen Zins von bis zu 1 Prozent dürfen die privaten Finanziers selbst bestimmen.
Geht der Plan auf, könnten die Bewohnenden den Kauf des Hauses mit akzeptablen Mieten stemmen. Derzeit zahlen sie im Schnitt nur 9 Euro pro Quadratmeter, künftig wären sie bereit, auf 12 Euro hochzugehen.
„Wenn wir scheitern, dann scheitern wir. Aber dann haben wir’s wenigstens versucht.“
Klingt natürlich gut. Endlich mal eine positive Geschichte aus dieser Stadt, in der Wohnen längst zum Luxusgut geworden ist. Das dachten die Bewohner*innen des Hauses zunächst auch. Sie machten sich ans Werk, bastelten eine Homepage, berieten sich mit Experten des Mietshäuser Syndikats, warben um Direktkredite. Doch dann der Dämpfer: In einem Telefonat erklärte der Hauseigentümer plötzlich, das Ganze gehe ihm nun doch zu langsam, sei ihm zu unsicher. Er werde sich wieder auf die Suche nach anderen Käufern machen. Kurz darauf kamen bereits Interessenten zur Hausbesichtigung.
„Mein erster Gedanke war da schon: Jetzt haben wir keine Chance mehr“, erzählt Katrin Göbel. Vorübergehend wich der Kampfgeist im Haus der Tristesse. Drei der Mieterparteien entschieden sich sogar, ganz aus dem Projekt auszusteigen. Es fehlte ihnen der Glaube.
Auch Anne Hübner kennt die angespannte Situation. Sie wohnt selbst in Haidhausen, nur etwa 500 Meter entfernt, und ist Vorsitzende der SPD-Fraktion im Münchner Stadtrat. Als sie von dem Projekt erfahren hat, hat sie sich gleich auf den Weg gemacht, die Bewohner*innen der Wörthstraße 8 besucht und gefragt, wie die Stadt helfen könne.
Denn die Möglichkeiten der Kommunalpolitik, den Ausverkauf der Stadt aufzuhalten, sind begrenzt. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts haben Kommunen in Erhaltungssatzungsgebieten in der Regel kein Vorkaufsrecht mehr. Wo möglich, kauft die Stadt München zwar dennoch Immobilien, aktuell beispielsweise das Hohenzollernkarree in Schwabing, doch solche Gelegenheiten sind rar – und teuer. Mieterinitiativen mit Darlehen zu unterstützen ist da deutlich günstiger. „Geld spielt eigentlich keine Rolle“, sagt Hübner am Telefon, „solang wir es wiederbekommen.“
Gemeinsam mit dem grünen Koalitionspartner hat ihre Fraktion einen Antrag im Stadtrat gestellt, um einen gangbaren Weg zu regeln, um in Fällen wie diesem zu helfen. Im Sommer, so hofft Hübner, könne dann schon Geld an die Hausgemeinschaft in der Wörthstraße fließen. Dann könne das Projekt auch Pilotcharakter haben.
So sehen das auch die Bewohnenden der Wörthstraße 8. „Es ist der Wahnsinn, wie sehr das den Zahn der Zeit trifft“, erzählt Andy Ebert. „Die Leute sagen zu uns: Wenn ihr das schafft, ist das wirklich ein Leuchtturmprojekt.“ Schließlich geht es der Initiative auch darum, anderen Mut zu machen. „Wir wollen zeigen, dass auch Normalos wie wir so etwas machen und in einem selbstverwalteten Haus leben können.“
Und bei der Krisensitzung in seiner Küche sagt Ebert: „Ich bin wieder total optimistisch.“ Er berichtet den Nachbarn von dem Antrag im Stadtrat. Der, so die Hoffnung, werde die Zweifel einiger möglicher Kreditgeber zerstreuen, ob das wirklich eine seriöse Sache sei. Das Damoklesschwert freilich hängt weiter über ihnen: Was, wenn ihnen jemand zuvorkommt?
Je länger sie brauchen, bis sie das nötige Geld beisammen haben, desto riskanter wird das Unternehmen, das wissen die Mieter*innen. Deshalb geht man auch gleich zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung über: Öffentlichkeitsarbeit. Wie adressiert man potenzielle Kreditgeber? Als erstes soll nun ein neuer Flyer in Druck gehen, der die Dringlichkeit deutlicher artikuliert. Man entscheidet sich für den Slogan: „Ein Wettlauf mit der Zeit – jetzt brauchen wir Ihre Hilfe!“
Anfang Mai soll es zudem ein großes Hausfest geben, bei dem sich das Haus der Nachbarschaft vorstellt – mit Kulturprogramm. Armin Kasper hat bereits die Zusage einer Band. Und ein befreundeter Künstler würde gern das gesamte Haus verpacken.
Immerhin: Es scheint nicht ganz so einfach zu sein, ein halbes Haus loszuwerden. Nicht zuletzt auch, weil die eine Hälfte mittlerweile bereits an die Stiftung übergegangen ist – was die Immobilie für Spekulation weniger attraktiv macht.
Neulich hat Hendrik Wirschum einen Bekannten aus einem Nachbarhaus getroffen. Er habe gesehen, erzählte ihm dieser, wie mal wieder ein paar Interessenten das Haus besichtigt hätten. Einer von ihnen habe beim Rauskommen gleich sein Smartphone am Ohr gehabt und lautstark den ersten Eindruck kundgetan: „So ‘ne Scheißbude.“ Nicht gerade das, was man gern über das eigene Haus hört. In dem Fall haben sich die Mietenden dennoch gefreut. (Dominik Baur)
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