Leben in Bayern

Die Schlüssel fest in der Hand: Michael Stumpf im Flur des Krankentraktes. Einmal die Woche geht er „durchs Haus“. (Foto: Katharina Alt)

31.01.2014

Der Mann mit den Schlüsseln

Sein Arbeitsplatz ist Bayerns größter Knast: ein Besuch bei Michael Stumpf, Leiter der Justizvollzugsanstalt Stadelheim

Michael Stumpf geht Tag für Tag ins Gefängnis. Und Abend für Abend wieder hinaus. Er ist verantwortlich für fast 1000 Mitarbeiter, für 1400 Gefangene. Für die Sicherheit. Für Besuchszeiten, Autorenlesungen, Kantinenessen, Suizid- und Ausbruchsvermeidung, Mutter-Kind-Bindung, Resozialisierung. Der 53-Jährige ist Leiter der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Bayerns größtes, Deutschlands zweitgrößtes Gefängnis.
Ein adretter Mann ist er, mit exakt geschnittenem Haar. Seine Krawatte sitzt stets mittig. Er lächelt häufig – und doch lacht er selten. Sein Büro ist groß, hell und karg. Es riecht nach Reinigungsmittel und Papier. Teppichboden. Einige Zimmerpflanzen. Und drei Bilder: Urlaubsfotos. Sie zeigen das Meer, Griechenland, den Süden. Zeigen die Freiheit. Ein Geschenk, das Stumpf schätzen gelernt hat. Denn blickt er nach draußen, sieht er unter sich barackenähnliche Gebäude. Kleine Fenster haben sie nur, Gitter, schwere Türen. Es sind Gefängnistrakte, der älteste ist 120 Jahre alt, der jüngste fünf.

„Mich hat das Auftauchen der Guillotine überrascht“


Die Garagen und Werkstätten, in denen in der Zeit des Nationalsozialismus mehr als 1000 Gefangene hingerichtet wurden, gibt es nicht mehr. Dort steht jetzt der Ostbau, ein Unterkunftsgebäude. „Die Nachricht, dass die Guillotine aufgetaucht ist, mit der auch die Mitglieder der Weißen Rose hingerichtet wurden, hat mich sehr überrascht“, sagt Stumpf. Ältere Kollegen hatten ihm berichtet, dass sie in den letzten Kriegstagen mit einem Transport von Todeskandidaten nach Straubing gebracht worden war. Und dann in der Donau versenkt.
Nach Stadelheim will Stumpf die Guillotine nicht zurückholen. Zwar gibt es dort eine Gedenkstätte, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. „Doch diese ist als Ausstellungsort völlig ungeeignet“, sagt Stumpf. Sie ist im Sicherheitsbereich und zudem ein offener Raum. Die Guillotine wäre dort also der Witterung ausgesetzt. Und überhaupt: „Wenn man solch ein Instrument des Schreckens zeigen will, müsste man das in ein umfassendes museumspädagogisches Konzept einbetten“, fordert Stumpf.
Stumpf ist ein Mann, auf den man hört. Soll ein Gefangener frühzeitig entlassen werden, hat er meist das letzte Wort. Denn das grüne Licht, das er gibt, ist oft ausschlaggebend für das Entlassungsurteil der Richter. So entscheidet er mit über die Freiheit von Räubern, Kinderschändern, Mördern – Menschen, die er jeden Tag sieht. Menschen, die ihn offener gemacht haben – und doch misstrauischer, verschlossener. Wenn Stumpf in der U-Bahn angerempelt wird, denkt er an Taschendiebe. Und nicht an ein Versehen.

„Ich möchte an das Gute im Menschen glauben“


Seine Haustür an Münchens Stadtrand sperrt er auch von innen ab. Seiner Familie hat er schon früh erzählt, von Männern, die keine guten sind. Die Angst, die er hat, ist berechtigt: Zwar nicht er, aber einige seiner Kollegen seien schon Opfer geworden von Rachezügen ehemaliger Gefangener. Von Drohungen und Verfolgungen.
Und doch möchte gerade Stumpf an das Gute im Menschen glauben. An Besserung und Veränderung. An eine Resozialisierung der Kriminellen. „Manchmal allerdings“, sagt er, „fällt das sehr schwer.“ Grund dafür ist sein Alltag. Um acht Uhr parkt Stumpf seinen Wagen vor der tristen Mauer in der Stadelheimer Straße. Sein Arbeitsplatz ist der Ort, an dem schon der Fußballer Breno Borges einsaß und Adolf Hitler. An dem Sophie Scholl enthauptet wurde. Prominenteste Insassin aktuell: Beate Zschäpe.
Der Anstaltsleiter führt Besprechungen mit Pädagogen, Rechtsanwälten, Ministern, Schlossern, Antifolterbehörden, Polizisten, Pfarrern. „Der Kontakt zu so vielen verschiedenen Menschen ist das Schönste an meinem Beruf.“ Etwa einmal wöchentlich geht er „durchs Haus“. Einzelne Teile des Gefängnisses nimmt er sich dann vor. Mal die Gruppenräume der Frauen, dann das obere Stockwerk im alten Trakt: der Ort, an dem die Sozialtherapie für Sexualstraftäter stattfindet.
Dann spricht Stumpf mit Mördern, Betrügern, mit Pädophilen. Der Mann mit den Schlüsseln steht vor jenen mit blauen Gefängnisanzügen. Stumpf schaut sie konzentriert und direkt an – nur herzlich ist er nicht. Emotionale Distanz gehört zu seinem Handwerk. Als hätte er es auswendig gelernt, erklärt er: „In erster Linie muss man das Gegenüber als Person wahrnehmen.“ Nicht nur als Verbrecher. Es stecke mehr hinter den Menschen, als ihre Tat. Zu wissen, dass sie bereits bestraft wurden, helfe auch. Und schließlich gewöhne man sich an den Umgang mit jenen, mit denen niemand umgehen möchte.
Lange schon beschäftigt Michael Stumpf sich mit Kriminalität. In Erlangen und Wien studierte er Jura, ging 1989 nach Stadelheim als Abteilungsleiter des Ostbaus. Es folgten einige Jahre im Ministerium: Gefängnissicherheit. Als Anstaltsleiter kehrte er 2009 zurück nach Stadelheim.
Fragt man ihn, was ihn fasziniere an der Arbeit mit den Eingesperrten, sagt er: das immer Neue. Dass kein Insasse, kein Besuch, kein Fall sei wie der andere. Neu ist auch, dass Mitarbeiter den Insassen Drogen und Handys zuschmuggeln. Gerade erst wurde eine ehemalige Gefängnispsychologin verurteilt, einem Häftling für sexuelle Zuwendungen ein Handy zugesteckt zu haben. „Das macht mich als Chef traurig, andererseits ist es bei über 600 Festangestellten auch nicht verwunderlich, wenn sich einige nicht ordnungsgemäß verhalten“, sagt Stumpf.
Trotzdem wünscht sich Stumpf mehr Personal. In den bayerischen Gefängnissen arbeiten insgesamt mehr als 5400 Beamte. Nicht genug, findet der Münchner. Es fehlen Vollzugsbeamte, Betreuer, Verwaltungsangestellte. Und Platz: Laut Gesetz sollten die Gefangenen möglichst einzeln untergebracht sein. In Stadelheim teilen sich einige Insassen eine Zelle. Ein winziger Raum ist das, voll gestellt mit wenigen Möbeln: dem schmalen Bett, dem kleinen Holztisch, dem Stuhl und dem schlichten Regal. An den Wänden hängen Bilder, Familienfotos – oder Pornos. Übergroß wirken darin die Gefangenen mit ihren breiten Schultern und tätowierten Armen.
Der Direktor möchte, dass es den Häftlingen gut geht, so gut wie möglich. Sie zu triezen, sei falsch. „Die größte Strafe wurde ihnen schon auferlegt.“ Der Freiheitsentzug. Hätte Stumpf mehr Personal, könnten sich mehr Psychologen um die Insassen kümmern. Stumpf will die Gebäude sanieren, sodass es im Winter in den Zellen nicht mehr zieht. Er will mehr kulturelle Veranstaltungen organisieren, weitere Lehrer beschäftigen.

Ein Gefangener kostet  88,44 Euro am Tag


Er will viel, der Leiter der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Er kann wenig. Denn der Gefängnis-alltag ist teuer. 88,44 Euro kostet ein Gefangener pro Tag. Allein die Heiz- und Stromkosten betragen jährlich rund 1,8 Millionen Euro.
Bei seinem ersten Besuch in Stadelheim waren es die Türen, die sich in Stumpfs Gedächtnis einbrannten. Die vielen schweren, verschlossenen Türen. „Alle paar Meter wurde der Weg versperrt“, erzählt er. „Ein Beamter musste ihn mir frei machen.“
Weil er jeden Tag sieht, was es heißt, gefangen zu sein, schätzt Michael Stumpf seine Freiheit sehr. Sich ihrer bewusst wie kaum ein anderer, geht er also Tag für Tag ins Gefängnis. Und Abend für Abend wieder hinaus.
(Gesa Borgeest, AKA)

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