Leben in Bayern

Auch wenn die Inflation wieder zurückgegangen ist, haben in Bayern viele Menschen mit weiter steigenden Preisen zu kämpfen. (Foto: dpa/Bernd Weißbrod)

25.10.2024

Der Wirtshausbesuch wird zum Luxus

Alles wird teurer – auch in Bayern kommen Menschen mit geringem Einkommen nur schwer über die Runden: Eine von ihnen ist Siglinde B.

Der Bierpreis war im 19. Jahrhundert in Bayern ein deutliches Zeichen dafür, wo vor allem für die ärmere Bevölkerung der Spaß ein Ende hatte. Im Mai 1844 kam es in München wegen einer Erhöhung des Preises für die Maß Bier zu Tumulten, Tausende Bürger randalierten in den Biergärten und Wirtshäusern wegen der Teuerung. Die Polizei rief das Militär zu Hilfe, aber die durstigen Soldaten verbrüderten sich mit den Bier-Rebellen. Nach vier Tagen musste König Ludwig der I. den Bierpreis wieder senken.

Würde sich Geschichte wiederholen, dann hätte Ende September dieses Jahres eigentlich ein Wut-Tsunami über die bayerische Landeshauptstadt hinwegrollen müssen. Was war geschehen? Der Preis für die Maß Bier auf dem Oktoberfest war auf stolze 15 Euro geklettert. Ein Index für die allgemeine Teuerungswelle, die derzeit die Geldbeutel der Bürger*innen leerspült. Betroffen sind vor allem jene, bei denen das Geld ohnehin knapp ist. Aber Proteste gibt es bislang keine.

Siglinde B. (Name von der Redaktion geändert) wohnt in München-Waldtrudering, für ihre Zwei-Zimmerwohnung mit 52 Quadratmetern zahlt die 79-jährige Rentnerin 900 Euro Miete warm. Ihre Rente aber beträgt nur 1233 Euro, sie leidet seit Jahrzehnten an Multipler Sklerose und wurde früh arbeitsunfähig. Mit den Bezügen aus der Grundsicherung im Alter – das ist die Sozialhilfe für Senior*innen – hat sie an die 550 Euro pro Monat zum Leben. „Bevor ich einkaufen gehe“, so die Rentnerin, „schaue ich mir genau die Sonderangebote der Supermärkte in der Umgebung an.“ Sie ist auf diese Schnäppchen angewiesen.

Mit den gestiegenen Energiekosten fing es an

Die Teuerungen bemerkt sie seit etwa zwei Jahren. Neulich hat sie sich über den Butterpreis gewundert: 2,33 Euro hat sie für ein halbes Pfund bezahlt: „Dabei war das doch schon ein Sonderangebot.“ „Rekordpreis: Butter ist so teuer wie nie“, titelte dann Anfang Oktober auch der Bayerische Rundfunk auf seiner Internetseite.

Nach Angaben des Statistischen Landesamts zahlten die Verbraucher*innen im August 2024 für das Streichfett 41 Prozent mehr als 2020. Ein geringes Angebot treffe auf rege Nachfrage, auch bedingt durch das anlaufende Weihnachtsgeschäft bei Backwaren. Außerdem gebe es immer weniger Milchkühe im Land und der Import ist zurückgegangen.

Ursächlich verantwortlich für die allgemeine Teuerungswelle ist der Anstieg der (Energie-)Preise im Gefolge des Krieges in der Ukraine. So stieg nach Angabe des Statistischen Bundesamts von Dezember 2021 zu Dezember 2022 der Preis von Sonnenblumenöl um 77,5 Prozent, von Zucker um 65 Prozent und von Käse und Quark um 39,9 Prozent.

Das macht sich alles in den Backstuben deutlich bemerkbar. Auf Höhenflug befindet sich zum Beispiel der Preis für die Brezn. Im Schnitt kostet sie aktuell in „normalen“ Bäckereien ohne Discounter knapp 94 Cent, vor zwei Jahren war sie noch für 85 Cent angeboten worden. Davor gab es das Backwerk auch schon mal für 70 Cent.

Wie sich der Preis aktuell zusammensetzt, ist eher kompliziert: So ging der Mehlpreis nach Beginn des Ukraine-Krieges stark nach oben, ist inzwischen aber wieder gesunken. Steigende Energiepreise machen sich nun nach dem Auslaufen langfristiger Verträge mit Energieversorgern bemerkbar. Den größten Kostenfaktor für die Bäckereien stellt mit bis zu 50 Prozent das Personal dar. So kommt es, dass in Konditoreien mittlerweile das Stück Torte 3,80 Euro und mehr kostet.

Für Siglinde B. ist deshalb klar: „Ich verkneife mir den Kuchen.“ Stattdessen brüht sie sich den Kaffee zu Hause auf und backt selber. „Für das, was ich im Café zahle, kann ich mir ein ganzes Päckchen Kaffee kaufen“, so ihre Rechnung. Überhaupt, essen gehen ist für die Rentnerin weitgehend tabu: „Das mache ich nur noch ganz, ganz selten.“

Neben dem Anstieg der Energie- und sonstigen Kosten schlägt in der Gastronomie seit Auslaufen der Corona-Sonderregelung nun auch wieder der normale Steuersatz von 19 Prozent zu Buche. Damit wird der Besuch eines Restaurants inzwischen fast zum Luxusgut, jedenfalls für die weniger Betuchten.
„Deutlich überdurchschnittlich von der Teuerung betroffen sind Alleinlebende mit geringem Einkommen“, konstatierte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung vergangenes Jahr. Generell seien ärmere Haushalte stärker von der Inflation betroffen, „da Nahrungsmittel und Haushaltsenergie, bei denen kaum gespart werden kann, ein sehr hohes Gewicht in ihrem Warenkorb haben“. Die geringste haushaltsspezifische Belastung durch die steigenden Preise wiesen die Singles mit einem hohen Einkommen auf.

Die Tafeln haben Hochkonjunktur

Zwar ist inzwischen die Inflationsrate auf unter 2 Prozent gefallen, „allerdings wird die Teuerungswelle der Jahre 2021 bis 2023 sowohl beim Preisniveau insgesamt als auch im wichtigen Bereich Energie bis auf Weiteres deutliche Spuren hinterlassen“, so die Stiftung in einer aktuellen Analyse.
Ist für Singles mit hohem Einkommen ein Schweinebraten zum Preis von 18 Euro oder gar noch mehr kein Problem, sieht es für die normal verdienende Familie mit zwei Kindern schon anders aus. Fast 100 Euro dann für den Wirtshausbesuch am Sonntag hinzublättern, ist nicht jedermanns Sache. Manche Wirte versuchen, die Teuerung zu kaschieren, indem sie zwar die Preise nicht anheben, dafür aber die Leistung reduzieren: Plötzlich gibt es den Rinderbraten mit Spätzle nur noch ohne Salat, der dann extra bezahlt werden muss.

Kein Wunder, dass die Tafeln Hochkonjunktur haben und die Zahl ihrer Kund*innen steigt. Siglinde B. allerdings macht davon keinen Gebrauch. Dafür sieht sie sich im Supermarkt nach reduzierten Waren um, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist: „Da gibt es 30 Prozent Rabatt“, weiß die Rentnerin. Und sie wird vom Verein „Ein Herz für Rentner“ unterstützt, etwa wenn besondere Ausgaben anstehen. Mit ihrer Nachbarschaft unterhält sich Siglinde B. nicht über die Teuerungen („die wissen nicht, dass ich nur wenig Geld habe“), mit ihren Freundinnen schon. Die seien ebenso entsetzt über die Preise wie sie selbst.

Eine Unterschriftenliste gegen die Teuerung

Und warum gibt es keine sichtbaren Proteste, so wie es sie auch gegen die horrenden Mieten in Großstädten gibt? „Es hat sich inzwischen jeder damit abgefunden, dass alles so teuer ist“, meint die Seniorin. Sie selbst aber nicht. Besonders wurmt sie, dass die Rentenerhöhungen von der Grundsicherung aufgesogen würden. Ihre Reaktion: „Ich verfolge die Politik und mach mir meine Gedanken.“ Und sie denkt daran, vielleicht eine Unterschriftenliste zu organisieren. Gegen die Teuerungen und für eine gerechte Rente. (Rudolf Stumberger)
 

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