Am Anfang nannten ihn Naturschützer einen Spinner und bekämpften ihn. Auch weil er kein Biologe ist, sondern Totengräber – noch dazu einer, der seinen Beruf liebt. Inzwischen schmücken sich selbst die ehemaligen Gegner gerne mit den Erfolgen des 42-jährigen Woid Woife. Ein Besuch in Woifes Bauwagen. Else sitzt im Türstock und blinzelt in die Sonne. Der Simmerl hängt mit gespreizten Beinchen kopfüber am Baumstamm. Die Bäume stehen dicht und der Schnee liegt hoch. Vorwitzig lugt der Simmerl durch das offene Fenster in den Bauwagen. Und der Woid Woife steht am Ofen und kocht Kaffee.
Unter den Baumwipfeln von Buchen, Fichten und Eichen hat sich der 42-Jährige eingerichtet. Am Ortsrand von Bodenmais, inmitten einer ganz und gar idyllischen Eintracht zwischen Mensch und Natur. Die kleine Waldgemeinschaft besteht außerdem aus Else, der französischen Bulldogge, die am liebsten ihre Ruhe hat. Und Simmerl, ein roter, pfiffiger Eichkater. „Und ich, ich bin ganz einfach der Woife“, sagt der kräftige Mann mit den gutmütigen Augen. Er trägt ein grünes Hemd, grüne Hose und Tirolerhut. Seine Stimme ist kraftvoll. So kraftvoll wie die Natur rings um ihn herum.
Sein Bauwagen könnte aus Grimms Märchen stammen
Der „Wald Wolfgang“, wie man Woid Woife wohl übersetzen muss, ist Totengräber und Naturschützer, Fotograf und neuerdings auch Buchautor. Sein Bauwagen könnte als Bühnenbild für eine Szene aus Grimms Märchen herhalten. Düster ist er. An Wänden und Decke hängen ausgestopft Habicht, Fuchs und Dachs. Auch ein aufgeblasener Auerhahn, den er besonders mag. Dazwischen ducken sich, längst vergilbt, Fotos von den Eltern und Großeltern. Aber der Woid Woife, der eigentlich Wolfgang Schreil heißt, ist alles andere als eine düstere Figur. Und für die schaurigen Geschichten über Wald und Wolf aus Grimms Märchen hat er auch wenig übrig.
Die Natur habe ihre eigenen Gesetze, sagt Woife. Hier geht es nicht um Gut oder Böse. Nur ums Überleben. Der Stärkste setzt sich durch, sagt er. Stärke hat ihn immer fasziniert. Als er mit seinem Bruder einen Film von Jean-Claude van Damme sieht, ist es um ihn geschehen. Er trainiert hart, gewinnt Meisterschaften als Bodybuilder. International auch als Strongman. Er ist körperlich durchoptimiert. Und so liegt seine Karriere als Bodybuilder viel näher an der Natur, als man zunächst annimmt. Das Schwache verachtet er dennoch nicht. Der Mensch habe schließlich die Intelligenz und

könne es sich leisten, das Schwache zuzulassen, es zu schützen. „Anders als die Natur kann er Erbarmen zeigen“, sagt der Woife. „Das ist schon ziemlich viel.“
Er liebt den Kraftsport und fördert den Sport in seiner Heimatgemeinde. Mit 20 lernt er Sabine kennen. Mit 24 hört er auf. Er fragt sich: „Was mache ich hier eigentlich? Ich hatte ein Sixpack und war grantig.“ Für Woife steht fest: Er will zurück in seinen Wald. Alleine. Unter die Baumwipfel und auf den Moosboden, wo er mit seiner Mutter saß und ein Apfelviertel aß. Stunde um Stunde kann er Kleiber, Meise und Eichkater zusehen. Manchmal trinkt er mit Freunden ein Bier im Bauwagen. Und wäre da nicht seine Frau Sabine, er würde sich wohl ganz im Wald einrichten.
Die Wurzeln seiner Naturliebe liegen tief. Die Mutter nahm den Buben mit auf ihre Streifzüge durch den Wald. Was zwischen Bäumen, Sträuchern und Büschen wächst, brachte sie auch in die heimische Küche.
Kein einziger Tag vergeht, an dem der Woife nicht im Wald wäre. Sommers wie winters trotzt er jeder Wetterlage. Nur dass er im Winter nicht ganz so hoch in die Berge geht, um die Tiere nicht zu stören. Das sei der einzige Unterschied, sagt er. „Dort oben sollen sie ihre Ruhe haben.“ Dafür kommen sie alle zu ihm an den Bauwagen. Rehe, Spechte und Eichelhäher. Nur die Finken verbringen den Winter in wärmeren Gefilden und sein geliebter Auerhahn lässt sich auch nicht blicken. „Er ist sehr scheu“, sagt Woife. Und Simmerl natürlich, der Eichkater, den der Woife einst aufgezogen hat. Und der die Extraportion Nüsse am Bauwagen zu schätzen weiß.
Das Kaffeewasser dampft und zischt im Kessel. Und ganz nebenbei erzählt der gemütliche Mann in strammem niederbayerischen Dialekt, wie es kam, dass er der Woid Woife ist und nicht einfach Wolfgang Schreil.
Die Hochzell war in Gefahr. Sein „Traumberg“. Sie wollten eine Bergbahn auf die Hochebene bauen. Gegen den Tourismus sei er nie gewesen, sagt Woife. „Aber sanft muss er sein.“ Und diese Bergbahn hätte den geliebten Hochwald zerstört. „Ich dachte, ich muss nur zur Umweltbehörde gehen, sie auf die geschützten Tiere aufmerksam machen, und sie werden das Projekt schon stoppen.“ Ein Irrtum, wie er schnell merkte. Niemand nimmt ihn ernst. Seine Gegner diffamieren ihn. Er erzählt von Rufmord und davon, dass die Bezeichnung „Spinner“ noch die freundlichste war. „Bist du überhaupt einer? Ich meine, ob du ein Anerkannter bist?“, wollten Naturschützer wissen. Aber der Woife war keiner. Kein Biologe, sondern Totengräber. Einer, der seinen Beruf auch noch liebt. „Weil er nah an der Natur ist“, wie er sagt. Weil er uns die Endlichkeit des Lebens vor Augen hält. Wie fragil das Leben sein kann, muss er selbst erleben. 2015 hat er zwei Schlaganfälle, einen Bandscheibenvorfall und Herzrhythmusstörungen. Es war aber auch das Jahr, das die Wende brachte.
Alles, was er will, ist den Wald retten. „Ich habe nie gegen etwas gekämpft“, sagt der Woife fast beschwörend. „Immer nur für etwas.“ Um sich Gehör zu verschaffen, beginnt er die Artenvielfalt des Hochwaldes zu fotografieren, legt ein Facebook-Profil an mit dem Namen Woid Woife und zeigt den Menschen, wie schön sein Wald ist.
„Ich kämpfe nie gegen etwas, sondern für etwas“
Und tatsächlich: Endlich wird ein Fachmann auf die Hochzell geschickt. Er bestätigt, was der Woid Woife über Jahre dokumentiert hat. Im November 2015 wird die Hochzell zum „Auwild-Schutzgebiet“ und die Bergbahn ist Geschichte. Aus dem einstigen Bodybuilder Wolfgang Schreil war der Wald- und Naturschützer Woid Woife geworden.
Ein Naturromantiker aber ist er nicht. Sondern einer, der die Natur verstehen lernte. „Man muss bei ihr sein. Mit ihr leben. Ohne Tütütü und Bububuhhh“, wie er sagt. Wolf, Luchs und Wald weder verteufeln noch romantisieren. „Irgendwo dazwischen“, glaubt Woife, „ist der Punkt, an dem Mensch und Natur zusammenleben könnten.“ Könnten! Denn ganz sicher ist er nicht. Zu weit habe der Mensch sich schon von der Natur entfernt, glaubt er. Aber aufgeben will er nicht. Wenn ihn einer fragt, brauchen wir den Luchs oder brauchen wir den Wolf, dann fragt er gerne zurück: „Brauchen wir den Menschen?“
Inzwischen ist der Woife bekannt und die ehemaligen Gegner vermarkten ihn gerne. 2018 adeln die Bayerischen Staatsforsten und die Gemeinde Bodenmais ihren ungewöhnlichsten Naturschützer mit „Woid Woifes Naturlehrpfad“. Das alles sei irgendwie auf ihn zugekommen, sagt er. Auch das Buch, das er gemeinsam mit einer Co-Autorin veröffentlichte, über sich und seinen Kampf für den Wald und den Bauwagen mit den ausgestopften Turmfalken, Habichten und Sperbern – alles Geschenke. „Ich nehme sie gerne her für Kinder, wenn sie mich und die Waldbewohner besuchen.“
Lieblingstiere hat der Woife keine. Er mag alle. Nur der Auerhahn, gibt er zu, der hat eine Sonderstellung. „Der ist ein bisschen wie ich“, sagt der Woid Woife. „Irgendwie auch ein Kulturflüchter.“ (
Flora Jädicke)
Foto (Jädicke): Bestens eingerichtet: Der Woid Woife kocht Kaffee in seinem Bauwagen.
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