Leben in Bayern

Thomas Glasmeyer fertigt alle seine Puppen selbst. (Foto: Pat Christ)

21.04.2020

Der Würzburger, der nie erwachsen wurde

Thomas Glasmeyer schmiss einst das Jura-Studium, um Puppenspieler zu werden – seit 30 Jahren verzaubert er Kinder und Erwachsene mit seinen Stücken

Der Mensch braucht doch einen anständigen Beruf, oder? Also setzte sich Thomas Glasmeyer sich auf den Hintern und begann, für das juristische Staatsexamen zu pauken. „Doch ich scheiterte“, bekennt der 63-Jährige. Nun ist das alles andere als ungewöhnlich für angehende Juristen. Meist klappt es dann beim zweiten Anlauf. Doch Glasmeyer hatte genug. Er begann nun endlich, das zu tun, wonach es ihn schon als kleinen Bub gedrängt hatte: Er wurde Puppenspieler. Heute lebt der Würzburger Glasmeyer mit seiner großen Familie von Puppen. Der Peter Iljitsch Violin aus Peter und der Wolf gehört dazu ebenso wie der Prinz Zain-el-Asnam aus dem gleichnamigen Stück für Kinder. 

Dass sich Glasmeyer nach dem Abi zunächst entschieden hatte, Jura zu studieren, hatte nicht nur etwas mit Sicherheitsdenken zu tun. Es gab es einen Mann, der ihn wegen seiner Brillanz, mit der er vor Gericht auftrat, faszinierte: „Das war Thomas Morus, den ich als Gymnasiast in unserer Theatergruppe gespielt hatte.“ Allerdings stellte sich schnell heraus, dass das Jurastudium wenig mit jener flammenden Streitrede zu tun hatte, mit welcher Morus Anfang des 16. Jahrhunderts seinen Freimut gegenüber dem König verteidigte. „Das schematische Denken, das wir im Jurastudium lernten, war gar nicht mein Ding“, so Glasmeyer.

Schon als Kind war Glasmeyer ein leidenschaftlicher Puppenbauer. Die, die fabrikneu in Spielwarengeschäften lagen, interessierten ihn nicht. Ein Bild, da war er etwa sechs Jahre alt, ist ihm unvergesslich. Auf dem Küchentisch der Großtante lag, rupfbereit, ein Huhn. Welche tollen Sachen man aus den Federn machen könnte, dachte er sich. Lange, bevor das Wort Upcycling aufgekommen war, praktizierte Glasmeyer es: Aus nicht mehr benutzten Stoffen, Gegenständen und Materialien fertigte er Puppen, die er am Anfang seiner Karriere als Puppenspieler auch auf Märkten verkaufte.

Vor 30 Jahren baute Glasmeyer sukzessive sein „piccolo teatro espresso“ auf. Der Anfang war nicht leicht. „Weil ich kein ausgebildeter Puppenspieler war.“ Dadurch fehlten ihm auch entsprechende Kontakte. Mühsam musste er sie aufbauen. Ja, es gab damals Existenzangst, räumt Glasmeyer ein. Doch nach und nach gelang es ihm, nicht zuletzt durch „Kollege Zufall“, wie er sagt, in der Szene Fuß zu fassen. 1991 wurde Glasmeyer bei einer seiner Puppen-Ausstellungen angesprochen, ob er nicht ein Kinderstück schreiben und aufführen möchte. Glasmeyer wollte. Das Ergebnis: die wundersame Geschichte vom armen, aber zufriedenen Ritter Valentin Gundelfinger, 25 Minuten lang. „Das ist bis heute mein meistgespieltes Stück“, sagt Glasmeyer.

Inzwischen existieren zwei weitere Rittergeschichten. Wenn es Corona zulässt, will Glasmeyer anlässlich seines 30-jährigen Bühnenjubiläums die Korken knallen lassen. In den beiden letzten Oktoberwochen wird er es im Würzburger Theater am Neunerplatz mit einem „Best-of“ feiern. Wegbegleiter aus 30 Jahren sind dazu eingeladen. Und davon gibt es eine ganze Menge. Denn auch, wenn Glasmeyer letztlich eine One-Man-Show macht, schätzt es der gebürtige Bochumer sehr, mit anderen Künstlern zu kooperieren – mit Bühnenbildnern, Regisseuren, Literaten, Komponisten und auch anderen Puppenspielern.

Glasmeyer reizt das Skurrile

Glasmeyer geht es nie nur darum, eine Geschichte zu erzählen. Als Künstler hat er einen ganz speziellen Blick auf die Welt. „Das Skurrile reizt mich“, sagt er. Skurril, so muten auch viele seiner Puppen an. Skurril sind aber auch seine Inszenierungen. Vieles ist aber auch in unserem Alltag höchst skurril, glaubt Glasmeyer. Zum Beispiel, wie sich Männer verhalten. So stellt er zum Beispiel Shehrijar aus Tausendundeiner Nacht als reichlich skurrilen, ziemlich tumben und lächerlich-machistischen Mann dar.

Als Glasmeyer sein Theater gründete, gab es Menschen, die nicht die leiseste Ahnung hatten, was Puppenspiel bedeutet. „Nach meiner Gewerbeanmeldung wurde ich im Telefonbuch als Spielwarengeschäft geführt“, erzählt er und schmunzelt. Immerhin kam dadurch ein erster Auftrag rein: „Eine Hebammenschule wollte 15 Holzstörche für ihre Absolventinnen gefertigt haben.“ Inzwischen wissen, auch dank ihm, mehr Menschen, was es heißt, mit Puppen Geschichten zu erzählen. Eigentlich, findet Glasmeyer, sollte das jedes Kind erfahren. Doch in den letzten Jahren sei es schon lange vor Corona zunehmend schwieriger geworden, in Kitas und Grundschulen aufzutreten.

Glasmeyer ist niemand, der gern am Computer arbeitet. Er liebt das Manuelle. Die Arbeit mit der Nähmaschine. Mit Werkzeugen. Doch auch das Puppenspiel entwickelt sich weiter. „Junge Künstler kombinieren heute das Puppenspiel mit künstlicher Intelligenz“ – und aufregenden Bühnenprojekten. Und doch sind die Mittel des klassischen Puppenspiels nicht Makulatur. Im Gegenteil. Viele von Glasmeyers Vorstellungen sind ausverkauft. Ein besonderer Erfolg war für ihn vor knapp vier Jahren die Aufführung des Puppenspiels Der Aufruhr um den Junker Ernst – eine historische Erzählung von Jakob Wassermann, die im Mittelpunkt der Aktion „Würzburg liest ein Buch“ stand. Wassermann erzählt in seinem Roman eine böse Geschichte aus der Zeit der Hexenverbrennung. Im Zentrum steht Junker Ernst, Neffe des Fürstbischofs, der, von seiner Mutter vernachlässigt, in bitterer Armut aufwächst. Sehr früh schon flüchtete er sich in bunte Fantasiewelten. Dabei entwickelte er die Gabe, seine Zuhörer mit Geschichten in seinen Bann zu ziehen. Der Zauberei verdächtigt, wird er schließlich gefangen genommen. Diesen Stoff zu bebildern, bedeutete für Glasmeyer eine neue Herausforderung. Eine so tragische Geschichte hatte er bis dato noch nie erzählt.

Glasmeyer ist ein Puppenspieler mit Leib und Seele. „Ich habe noch tausend Ideen im Kopf, was ich gern realisieren möchte“, sagt der 63-Jährige. Da ist zum Beispiel die Idee, mit einem befreundeten Pianisten einmal ein Puppenspiel als eine Art Stummfilm aufzuführen.

Der Applaus hält Glasmeyer jung. Auch die Freude an dem, was unter den eigenen Händen entsteht – bunt, skurril und liebenswert –, verhindert das Altwerden. Oder besser: verhindert das Erwachsenwerden. Oft sagt Glasmeyer, wenn er auf etwas in der Zukunft angesprochen wird: „Ah ja, echt gute Idee, vielleicht mach ich das mal, wenn ich erwachsen geworden bin.“ (Pat Christ)

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