Leben in Bayern

Der lange sterile Gang der geschlossenen Abteilung. Manche Türen sind abgesperrt, hinter einer hört man Schreie. (Foto: Stumberger)

11.10.2013

Die geschlossenen Räume der Station F3

Ein Besuch in der forensischen Abteilung der Frauen-Psychiatrie von Taufkirchen/Vils

Seit dem Fall Gustl Mollath herrscht viel Verunsicherung, was die forensische Psychiatrie betrifft – über das System an sich, aber auch über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Dass Patienten und Ärzte die Situation oft gänzlich unterschiedlich einschätzen, liegt in der Natur der Sache. Das zeigt sich auch bei dem Besuch der Staatszeitung in einem oberbayerischen Maßregelvollzug. „Hauptpforte Haus 19“ steht auf dem weißen Wegweiser, der in Richtung eines modernen, kaminrot gestrichenen Gebäudes aus Beton zeigt. Es ist die geschlossene Abteilung der psychiatrischen Isar-Amper-Klinik im oberbayerischen Taufkirchen an der Vils. Hier sind ausschließlich Frauen im so genannten Maßregelvollzug untergebracht, die wegen einer Straftat vor Gericht standen, für psychisch krank befunden und hier eingewiesen wurden. Ein Bereich, der seit dem Fall Gustl Mollath sehr kritisch von der Öffentlichkeit beobachtet wird.
Geschlossene Abteilung heißt, dass fast alle Türen in dem 2011 eröffneten Neubau abgeschlossen sind. Wer rein will, muss sich an der Pforte ausweisen. Wer raus will – jedenfalls als Insasse – muss dazu einen gerichtlichen Beschluss vorweisen. Den gibt es, wenn Ärzte und Gutachter schreiben, dass eine Besserung der Patientin eingetreten ist.
Bei Ilona H. ging es um Körperverletzung. Sie sitzt nun hier in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Klinik in Taufkirchen ein. In diesem Gebäude gibt es lange Gänge, von denen die Türen zu den Therapieräumen abgehen. Angeboten werden eine Mal-, Musik- und Arbeitstherapie, in einer Werkstätte wird auf Bestellung Keramik hergestellt, große Tonschnecken zum Beispiel. Ein anderer Raum dient dem Korbflechten. „Die Beschäftigung wird den Möglichkeiten der Patientinnen angepasst“, sagt Chefärztin Verena Klein, Leiterin der Forensischen Abteilung. Es gibt unter anderem eine große Turnhalle und einen durch hohe Mauern eingefassten Sportplatz im Freien, erklärt sie. Dann gibt ihr Piepser plötzlich Alarm und kurz darauf stürmen zwei Pfleger die langen Gänge hinunter.

Der Kicker erinnert ein wenig an ein Freizeitheim


Von den rund 160 Insassinnen der Klinik sind 22 auf der Station F3 untergebracht, das ist die Station für Patientinnen mit chronischer psychischer Erkrankung. Wer die Station betritt, der findet zu rechter Hand das verglaste Stationszimmer mit Krankenschwestern und Pflegern, natürlich abgeschlossen. Vor ihm halten sich mehrere Patientinnen auf, warten auf den Arzt oder einen anderen Ansprechpartner. Die Station hat einen Aufenthaltsbereich, der mit dem dort aufgestellten Kicker ein wenig an ein Freizeitheim erinnert. Dahinter liegt der Speisesaal, eine Tür führt zu einem begrünten Innenhof. Im ersten Stock befinden sich die Patienten-Zimmer, mit Schloss versehen, aber in der Regel unverschlossen.
Anstelle von Gittern vor den Fenstern ist dort ein perforiertes Metallschild, das sieht freundlicher aus. Aber forensische Abteilungen sind bei aller Freundlichkeit und Modernität immer auch ein Ort des menschlichen Leidens und Elends. Das zeigt sich auf der Station F3 in jenem Gang zur linken Hand, der zu den so genannten Wachräumen führt. Hier sind die Türen massiv und mit Sichtfenstern versehen, jemand schreit laut. Am Ende des Ganges liegt das – unabgeschlossene – Zimmer von Ilona H. Sie ist hier alleine untergebracht und beschäftigt sich gerade mit Schreibarbeit.
Wenn Mitarbeiter der Klinik den Raum betreten, werden sie von der 57-Jährigen demonstrativ ignoriert. Ilona H. führt einen Kampf gegen die Anstalt. Mit dabei von außen ist die Musikerin Nina Hagen, die sich als „Schirmfrau“ für psychiatrisierte Frauen und deren Entlassung einsetzt. Dazu telefoniert sie auch mit Insassinnen der geschlossenen Abteilungen. Dass diese Gespräche nicht nur aufgezeichnet, sondern auch veröffentlicht werden, teilt sie den Frauen allerdings erst nach einer Viertelstunde mit. Und Nina Hagen nimmt in ihrer – militanten – Hilfsbereitschaft kein Blatt vor den Mund: Sie spricht von Taufkirchen als „Folterhölle“, die Station müsse „sofort geschlossen werden“, der Klinikleiter – Professor Matthias Dose – sei ein „Stalinist“ und „Schwerverbrecher“.


Zwangsfixierung: eine der erschütternsten Maßnahmen


Die Ungeheuerlichkeit der Vorwürfe stößt sich auch nicht daran, dass eine Patientin ihr am Telefon erklärt: „Mir geht es gut“, sie habe alle Freiheiten. Ilona H. jedenfalls, die in einem dieser Telefonate erklärte, sie sei „total isoliert“, will mit der Staatszeitung nur sprechen, wenn ihr Anwalt dabei sei. Den ruft sie auch gleich über das stationseigene Telefon an, er ist aber nicht erreichbar. Sie wirft der Klinik vor, ihr die Post nicht auszuhändigen, Patientinnen würden drei Tage lang gefesselt und gefüttert, ihr seien Bücher, Radio und andere Habseligkeiten weggenommen worden.
Wegen der Vorwürfe, die von der Klinikleitung zurückgewiesen werden, wurde bereits die Menschenrechtsbeauftragte der bayerischen Ärztekammer, Maria Fick, eingeschaltet. Doch die Kontaktaufnahme scheiterte, da sie mit einem „Raus!“ von der Patientin begrüßt worden sei. Eine schwarze Krankenschwester soll von Frau H. zudem rassistisch beleidigt worden sein. Man erzählt, wie die Patientin Pfleger in den Genitalbereich getreten habe. Deshalb wurde sie im August zwangsfixiert – eine der erschütternsten Maßnahmen der Psychiatrie. „Manchmal müssen die Patienten davor geschützt werden, sich selbst oder andere zu gefährden“, sagt Chefärztin Verena Klein.
Ilona H. ist seit 2007 zwangsweise in der Psychiatrie. Vorangegangen war eine dreimonatige Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung. Nach einem erneuten Vorfall, bei dem sie im Supermarkt einen Einkaufswagen mit erheblicher Wucht gegen das Opfer gestoßen hatte, wird bei ihr eine wahnhafte Störung diagnostiziert. Das Opfer äußerte, ihr Leben sei durch die Verfolgung durch Frau H. so eingeschränkt gewesen, dass sie sich nur noch mit männlicher Begleitung auf die Straße getraut habe. Freilich, es stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Dafür, sagt Klinikleiter Dose, sei letztendlich das Gericht zuständig. Und die Psychiatrie stelle auch keinen rechtsfreien Raum dar. Es gebe ein klinikinternes „Beschwerdemanagement“, bei dem Vorwürfen nachgegangen werde, einen unabhängigen Patientenfürsprecher, die beiden Klinikgeistlichen, eine Unterbringungskommission der Regierung von Oberbayern, die mindestens einmal jährlich die Klinik aufsuche und zu der (die Termine würden auf den Stationen bekannt gegeben) alle Patientinnen Zugang hätten. Und schließlich gebe es auch den Anspruch auf regelmäßige Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung durch die zuständigen Strafvollstreckungskammern.
Dose: „An Instrumenten fehlt es nicht.“ Was allerdings fehle, so der Facharzt für Psychiatrie, sei ein vom bayerischen Unterbringungsgesetz getrenntes eigenes Maßregelvollzugsgesetz, das die bisherigen Grauzonen wie Postkontrolle, Überwachung oder Zwangsmedikation eindeutig regele. „Und es ist nicht so“, sagt der Klinikleiter, „dass hier keiner mehr rauskommt.“ Dazu dienen zwei Entlassungsstationen in Form von Wohngemeinschaften mit je vier Plätzen. Dort leben die Patientinnen vor ihrer Entlassung aus dem Maßregelvollzug selbständig ihren Alltag, werden aber noch betreut.
Die 44 im Jahr 2010 aus dem Maßregelvollzug in Taufkirchen entlassenen Patientinnen hatten eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von zwei Jahren und sieben Monaten in der Klinik. Bei den im Jahr 2011 entlassenen 43 Patientinnen waren es schon weniger: zwei Jahre und ein Monat.
(Rudolf Stumberger)

Kommentare (1)

  1. Martin Bott am 21.10.2013
    Wir alle haben gesehen wie im Fall von Gustl Mollath die BRD sich gegenüber der Weltöffentlichkeit als Unrechtsstaat exponiert hat. So lange Menschen aus politischen Gründen mit Mitteln des Unrechtsstaates ohne irgendeine ÖFFENTLICHE Kontrolle verfolgt und sogar in Irrenanstalten gesperrt werden sind solche Darstellungen wenig glaubhaft. Öffentliche Kontrolle heisst natürlich nicht eine Kontrolle der Verwaltung durch andere Teile der Verwaltung, auch nicht durch Beamte die Richter oder Staats (!) anwalt spielen. Öffentliche Kontrolle heisst Kontrolle durch die Öffentlichkeit, z.B. durch die Wiedereinführung der 1924 auf dem Weg in totalitäre Diktatur abgeschafften Geschworenengerichte mit aus allen Wahlberechtigten ausgelosten Geschworenen.

    Martin Bott,
    www.totalitaer.de
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