Allein in München landen 168 Tonnen Nahrungsmittel im Müll – und das an nur einem Tag. Daniel Nagy und seine Mitstreiter haben dem Wegwerf-Wahn den Kampf angesagt. Sie sammeln übrig gebliebene Lebensmittel von Supermärkten, Bäckereien oder Restaurants, um sie zu verteilen. Manches davon kommt in einen der drei Fairteiler-Kühlschränke – jeder darf sich dort bedienen.
„Fairteiler“ steht auf dem Blatt Papier, das mit Tesafilm an der Tür des Kühlschranks klebt. Darunter
ist mithilfe von Strichmännchen erklärt, was man darf und was man bitte zu unterlassen habe. „Nicht alles anfassen“, heißt es da, „Nicht alles mitnehmen“ und „Zusammenhelfen“. Im Kühlschrank liegen ein paar grüne Salate und Kohlrabiknollen. Neben dem Kühlschrank, in einem Holzregal, steht eine Bäckerkiste. Brezenstangen und ein Kastenbrot liegen darin.
Dieser besondere Kühlschrank steht im ersten Stock des EineWeltHauses in der Münchner Schwanthalerstraße. Er ist eine von insgesamt drei Münchner Verteilstellen von geretteten Nahrungsmitteln. Aufgestellt haben ihn die Mitglieder des Vereins Foodsharing, der sich um Lebensmittel kümmert, die normalerweise im Abfall landen. Jeder, der will, darf sich dort bedienen. Eine Fairteiler-Pinnwand im Netz informiert darüber, was an den Standorten gerade zur Verfügung steht.
Allein in München landen pro Tag etwa 168 Tonnen Nahrungsmittel im Müll, erklärt Daniel Nagy – eine Verschwendung, die den 33-Jährigen maßlos aufregt. „Uns geht es zu gut, wir wissen nicht mehr zu schätzen, was die Natur uns gibt.“ Um das zu ändern, hat sich Nagy vor fünf Jahren der „Foodsharing“-Bewegung angeschlossen. Bei Händlern, Restaurants und Unternehmen holt er übrig gebliebene Lebensmittel ab. 30 Prozent aller Lebensmittel landen weltweit im Müll. Damit soll endlich Schluss sein.
30 Prozent der Lebensmittel landen weltweit im Müll
Und so hat Nagy auch an diesem Tag einige Taschen dabei, als er am frühen Abend einen Bioladen in Haidhausen betritt. Im VollCorner in der Weißenburger Straße hat Filialleiter Simon Gruber hinter der Kasse alle Hände voll zu tun – viele Kunden kaufen für das Abendessen ein. Trotzdem aber bleibt immer wieder Gemüse übrig, das am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden kann. Auch Milch und Joghurt, deren aufgedrucktes Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, müssen aussortiert werden. „Ich würde gerne abholen, was übrig geblieben ist“, erklärt Nagy dem Filialleiter, der dem jungen Mann die aussortierten Nahrungsmittel überreicht. „Das gehört zu unserer Unternehmenskultur“, sagt Gruber. „Wir wollen Lebensmittel nicht wegwerfen.“
Daniel Nagy verdient sein Geld mit einem Job im Marketing bei einer Firma. In der Freizeit rettet er nicht nur Lebensmittel, er ist auch als eine Art Botschafter unterwegs. „Ich will die Menschen über Lebensmittelverschwendung aufklären und zeigen, was man dagegen tun kann, auch zu Hause“, sagt er. Auch eigene überschüssige Lebensmittel können Community-Mitglieder abgeben. Nagy verarbeitet gerettete Lebensmittel oft selbst – der gebürtige Ungar kocht leidenschaftlich gerne. Oder aber er gibt sie weiter an Freunde.
Gegründet wurde die Foodsharing-Initiative 2012 in Berlin, heute besteht sie aus einem Dachverband mit zahllosen lokalen Initiativen, in denen sich bundesweit 30 000 Mitglieder engagieren. In München gibt es seit 2014 eine Gruppe, die sich in einem Verein mit rund 800 Mitgliedern organisiert. Nichts zu tun haben sie übrigens mit dem sogenannten Containern, bei dem Aktivisten Abfälle von Supermärkten durchsuchen, was Gerichte bereits mit drastischen Strafen geahndet haben. Und auch Bedürftigkeit spielt anders als bei den „Tafeln“ bei den Foodsharing-Aktivisten keine Rolle.
Win-win-Situation für Aktivisten und Handel
Wie bei den Tafeln aber arbeiten die Mitglieder der Foodsharing-Community ehrenamtlich und unentgeltlich. Wer mit dabei sein will, muss aber ein paar Regeln beachten. Leicht verderbliche Lebensmittel wie Fisch, Geflügel, Fleisch, rohe Eierspeisen und zubereitete Lebensmittel sowie Medikamente sind vom Foodsharing ausgeschlossen. Wer dem zustimmt, muss sich nur noch mit Adresse und Namen registrieren und einen kleinen Fragebogen ausfüllen. Wird man als neues Vereinsmitglied aufgenommen, bekommt man einen Ausweis mit Foto, der den Inhaber berechtigt, für Foodsharing Lebensmittel einzusammeln. Eine eigene Abteilung des Vereins kümmert sich um die Kontakte zu Supermärkten, Restaurants, Bäckereien oder sonstigen Läden, die mit Lebensmitteln zu tun haben. Wer dann wann und wo die Ware abholt, wird vom Verein über eine Online-Plattform organisiert. Für jede Kooperation mit einem Betrieb gibt es einen betriebsverantwortlichen Foodsaver. Da man das Tagesgeschäft der Betriebe so wenig wie möglich beeinträchtigen will, werden die Abholungen immer im Vorfeld abgestimmt und vereinbart.
Auch für Betriebe wie den Münchner Bioladen ist die Food-sharing-Kooperation von Vorteil. Zum einen natürlich, weil sie damit ein Zeichen gegen die Verschwendung setzen können. Zum anderen aber können sie auch Entsorgungskosten reduzieren. „Letztlich profitieren auch die Firmen, indem sie sich Müllgebühren sparen“, betont Daniel Nagy.
Manchmal kommt es vor, dass der Münchner umsonst einen Supermarkt aufsucht. Weil es nichts abzuholen gibt. Darüber aber ärgert sich Nagy nicht – im Gegenteil: „Ich freue mich dann darüber, dass mit den Lebensmitteln gut geplant wurde und nichts übrig geblieben ist.“
(Rudolf Stumberger)
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