Leben in Bayern

Ob kurz oder lang, pink, rot oder blau, mit oder ohne Bluse – erlaubt ist was gefällt. Es muss ja nicht jeden Geschmack treffen. (Foto: dpa)

19.09.2014

Die Macht der Tracht

Das Oktoberfest ist eine riesige Party, da gehört das richtige Outfit einfach dazu – auch wenn es mit der historischen Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun hat

Thomas Wimmer hat 1950 das traditionelle Wiesn-Anzapfn erfunden. Und was trug Münchens damaliger Oberbürgermeister: einen Anzug. Ohne Dirndl oder Lederhosen aufs Oktoberfest zu gehen, gleicht heute dagegen schon fast einer Mutprobe. Warum eigentlich? Die Staatszeitung hat bei Experten nachgefragt. „Dirndl-Gate!“, titelten die Zeitungen 2008. Schon Wochen vor dem Anstich war die Weigerung der Ministerpräsidenten-Gattin Marga Beckstein zum Anstich im Dirndl zu kommen ein großes Thema. Beim Anzapfen selbst waren sogar vereinzelte Buh-Rufe zu hören. „Da war für mich die Grenze eindeutig überschritten“, sagt Alexander Wandinger. „Ich fand’s einfach nur peinlich, mit welcher Empörung alle darauf reagiert haben. Warum hat denn damals Frau Beckstein niemand zu ihrer Courage und ihrem eigenständigen Denken gratuliert?“
Wandinger ist Leiter des Trachten-Informationszentrums Benediktbeuern, dessen Träger der Bezirk Oberbayern ist. Über Jahre hinweg hat er das Thema Tracht umfassend erforscht – voller Leidenschaft. Genauso leidenschaftlich setzt sich Wandinger auch für Toleranz ein, er wendet sich gegen jede Form von Dogmatismus. „Über so genannte Experten, die alle unbedingt auch noch etwas zum Thema zu sagen haben, amüsiere ich mich“, sagt er.
Denn die angebliche historische Wirklichkeit „Zum Oktoberfest gehört die Tracht einfach dazu“ ist schlichtweg falsch. Auf historischen Wiesn-Fotos tragen die Männer schwarze Anzüge und die Frauen dunkle Kostüme. „Übrigens hat auch der damalige Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer, der den traditionellen Anstich eingeführt hat, im Anzug angezapft“, erzählt Wandinger. „Wäre der damals in der Lederhosen angekommen, hätten alle gesagt: Der spinnt doch.“
Die spinnen doch – das denken  so manche Wiesn-Besucher heute, wenn sie beim Bummel über das Festgelände sehen, was vor allem das Jungvolk an Ramsch – oft voll Glitzer, Rüschchen und extrem kurz stolz als Tracht trägt. „Ich rege mich da nicht auf, auch wenn ich manchmal lachen muss“, sagt Birgit Jauernig. Sie ist Leiterin des Bauernmuseums in Frensdorf und Trachtenberaterin für den Bezirk Oberfranken. „Es ist doch schön, dass es plötzlich Kult ist, in Tracht auf Volksfeste zu gehen.“ Sei etwas gut gemacht und kreativ, finde sie das toll. „Außerdem gefällt es mir, wenn junge Leute ihre eigenen Vorstellungen von regionaler Identität entwickeln“, betont Jauernig. „Denken Sie zum Beispiel an die neue bayerische Volksmusik, die kaum Tabus kennt. Bei der Tracht sollte das ebenso möglich sein. Was zählt, ist der eigene Geschmack!“ Dass man darüber dann auch mal lästern darf, sei eine andere Sache, meint sie. „Macht ja auch Spaß – da nehme ich mich nicht aus.“

Schleife rechts oder links? „Nur eine fantastische Story“

Die Billigmode, die man heute viel auf der Wiesn sieht, kommt zum Großteil aus Fernost. „Wenn etwas zum Massenphänomen wird, muss es auch zwangsläufig erschwinglich werden“, erklärt Wandinger. Ohnehin könnte die Menge an Oktoberfestmode hierzulande gar nicht mehr produziert werden. „Aber von dem Boom profitieren auch die traditionellen Hersteller.“
Auch Wandinger ist der Meinung, jeder solle tragen, was er will. „Dirndlgwand als Trachtenmode gibt es erst seit 100 Jahren – ursprünglich eine Arbeitskleidung, die sich bis heute immer wieder der Mode anpasst. Mini-Dirndl waren zum Beispiel bereits in den 60er Jahren in.“ Nicht nur Vorschriften hinsichtlich der Rocklänge findet er albern. „Fantasie“ sei auch, dass die Schleife der Dirndlschürze bei Verheirateten rechts gebunden sein muss, bei Ledigen links und bei Jungfrauen vorne. „Das ist zwar eine gute Story, entbehrt historisch aber jeder Grundlage.“
Und es ist ein „Story“, die  vor allem den jungen Volksfest-Besuchern Spaß macht. Die Wiesn ist heutzutage eine riesige Party. Da gehört das richtige Party-Outfit für viele dazu. „Das ist vielleicht vergleichbar mit der Fankleidung, die man im Stadion trägt“, sagt Jauernig. „Manche wollen damit wohl auch eine Botschaft vermitteln: die Zugehörigkeit zu Bayern.“
Eine Rolle spiele aber sicher auch, dass Tracht sehr körperbetont ist, meint Jauernig. „Ein Dirndl sitzt immer eng und macht eine betont weibliche Figur. Dadurch verhält man sich anders, bewegt sich anders und steht anders da.“ Ähnlich sei es bei der Lederhose. „Ein junger Mann kann sich darin richtig männlich fühlen.“ Das bestätigt auch Wandinger. „Dieses Spiel zwischen Mann und Frau – das geht mit der Tracht besonders gut.“
Mit dem, was Jauernig als Trachtenberaterin macht, hat die Oktoberfestmode allerdings kaum mehr etwas zu tun. „Karierte Hemden gehen in Oberfranken zum Beispiel gar nicht“, sagt sie. Die sind aber auch auf den Kerwas in Franken immer häufiger zu sehen. „Ich fühle mich auch gar nicht zuständig für historische Kostüme“, betont Jauernig. Gemeinsam mit Schneiderinnen übersetze sie viel mehr das Historische und Regionaltypische, das sie in Museen, aber auch bei Familien findet, in die Gegenwart. „Die Silhouette und die Stoffe müssen heute tragbar und attraktiv sein. Früher war es zum Beispiel üblich, die Hüften auszupolstern. Wer würde das heute wollen?“, fragt sie. „Und warum sollten wir zum Beispiel einen kratzigen Wollstoff nehmen, wenn es heute viel schönere und leichtere Stoffe gibt. Auch sind heute andere Farben und Muster gefragt.“
Dass man sich rechtfertigen muss, wenn man auf der Wiesn keine Tracht trägt – damit könnte es ohnehin bald wieder vorbei sein. „Der Boom und damit der Gruppenzwang werden auch wieder nachlassen – und zwar in gar nicht so ferner Zeit“, behauptet Wandinger. Alle 30 Jahre ändere sich das seiner Erfahrung nach.

„Der Boom wird auch wieder nachlassen“

Aus der Mode aber kommt zumindest hochwertige Tracht wohl nie: „Denn damit ist man immer gut und korrekt gekleidet“, betont Jauernig. „Fürs Theater kombiniere ich zum Beispiel gerne ein schönes Mieder aus Seide mit einem klassischen schwarzen Rock.“ Schöner Nebeneffekt: „Dadurch komme ich oft mit Leuten in Kontakt“, erzählt Jauernig. „Denn viele sprechen mich darauf an.“
(Angelika Kahl) (Fotos: Alexander Wandinger ist Leiter des Trachten-Informationszentrums des Bezirks Oberbayerns in Benediktbeuern.
Trachtenberaterin für den Bezirk Oberfranken: Birgit Jauernig; BSZ)

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