Leben in Bayern

Detail eines Familienwappens. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

29.05.2017

Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit

Wappen sind altes Zeug? Nicht unbedingt. Heraldiker wie Dieter Linder entwerfen für Familien neue Wappen - aber nicht für alle

Große Gefahr drohe bei Esoterik, sagt Dieter Linder, und auch bei Hobbys sei Vorsicht geboten. Wenn er Familienwappen entwirft, nimmt er nicht alle Wünsche auf. Schließlich, sagt er, sollen Generationen etwas anfangen können mit so einem Wappen. Von Sportwagen und Raketen rät er deshalb ab. Linder ist Heraldiker - er entwirft Wappen und hat nicht über Auftragsmangel zu klagen.

Hauptberuflich arbeitet der 56-Jährige in der IT-Branche, aber Fans von Wappen gestatten ihm ein gutes Zubrot. Sein bayerischer Verein "Der Wappen-Löwe" registriert rund 50 neue Wappen jährlich, und Experten sehen zunehmend Wappen im Internet. "Auffällig viele Menschen präsentieren auf sozialen Netzwerken ihre Wappen", sagt Friedrich Ulf Röhrer-Ertl. Der Historiker unterrichtet an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Heraldik, die Wissenschaft, die sich mit Wappen befasst.

Ob das Internet den Hang der Menschen dazu nur sichtbarer macht oder tatsächlich mehr Menschen sich eigene Wappen erstellen, dafür gebe es keine verlässlichen Zahlen. In jedem Falle: Junge Fans der Serie "Game of Thrones" und ältere Adelsliebhaber - sie teilten einen allgemein-menschlichen Wunsch: Symbole zu haben für die Stellung in der Gesellschaft und für die Gruppe, der man zugehören will.

Seit der Fußball-WM in Deutschland 2006, gehören Fahnen in Schwarz-Rot-Gold wieder selbstverständlicher ins öffentliche Bild, in Bayern auch oft weiß-blaue Rautenbanner. "Es ist stärker geworden, dass man zeigt, womit man sich identifiziert", sagt Röhrer-Ertl. Dazu gehörten auch die Wappen - wobei sie eine recht spezielle Form sind, seine Identität nach außen zu tragen.

Die Wappen in klaren Farben waren früher Markenzeichen der Ritter

Wappen scheinen zu helfen dabei, etwas Besonderes darzustellen. "Und da schwingt immer eine Sehnsucht mit nach der guten alten Zeit", sagt Röhrer-Ertl. Und das war schon immer so, wenn es eine Wappenschwemme gab: "Früher war alles besser", der Idee waren schon die Menschen im 15. Jahrhundert verfallen, als sie sich Wappen gaben - aber die Ritter schon gar nicht mehr im Kampf waren. Daher nämlich stammen die eigentlich pragmatischen Zeichen in klaren Farben: Ritter sollten erkennbar sein und sich unterscheiden können.

Die bislang jüngste Schwemme liege mehr als 100 Jahre zurück: Ende des 19. Jahrhunderts stifteten Familien in Massen Wappen, als das Reisen immer schneller wurde und die Arbeit immer industrialisierter. Dagegen stemmte sich der Trend zur Romantisierung. "Und so ist es heute wieder", sagt Röhrer-Ertl. Unser Leben wird digitaler und globaler, Menschen fühlen sich verunsichert und besinnen sich auf das eigene, kleine Grüppchen - und auf ein greifbares Bild dafür.

Familienbewusstsein, das sei der rote Faden, der seine Kunden verbinde, sagt Heraldiker Dieter Linder. Außerdem eine gewisse regionale Anhänglichkeit. Im Extremen zeigt sich das bei den "Reichsbürgern", die mit Vorliebe Wappen basteln. Viele von ihnen sind nach Einschätzung des Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene aktiv, sie behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort, die Bundesrepublik Deutschland erkennen sie dagegen nicht als Staat an.

Fantasiewappen sind auch bei "Reichsbürgern" sehr beliebt

Da ist es nur konsequent, wenn sie sich eigene Wappen ausdenken, dafür auf Symbole aus dem Deutschen Reich zurückgreifen und sie frei kombinieren. Fantasiewappen seien typisch für die "Reichsbürger", sagt ein Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes. Auch der Mann, der in Georgensgmünd einen Polizisten erschoss, hatte sich sein falsches Staatswappen kreiert.

Verdächtige Anfragen habe er selten, aber doch bekommen, sagt Heraldiker Linder. Er lehne sie immer ab. Wenn seine Kunden ihre Symbole erklären, wie er es verlangt, und die Sätze seien braun angehaucht und sehr deutsch-patriotisch, sage er Nein.

Aber es ist eine leichte Übung, im Internet mehr oder weniger seriöse Gestalter von Wappen zu finden, die gegen manchmal viel Geld entwerfen, was Kunden sich wünschen. Und sei es in Sekunden: "Ihr Familienwappen! Zack, fertig." Zwar darf sich jeder hierzulande ein Wappen zulegen. Rechtliche Kraft aber hat es kaum mehr. Wer ein Recht beanspruchen will, sollte das Wappen als Marke beim Marken- und Patentamt melden, sagt Röhrer-Ertl. Ein Eintrag in eine Wappenrolle mag schön sein, verhindern aber, dass jemand das Zeichen klaut, könne damit niemand. Genau hier machen manche Wappen-Herolde falsche Versprechungen.

Mehr denn je seien Wappen heute deshalb eine Spielerei, sagt Röhrer-Ertl. Im gesamten deutschsprachigen Raum sind ihm zufolge rund 600 000 bis eine Million Wappen registriert - bei Verbänden wie dem größten in Deutschland, dem Herold in Berlin.

Schon rund 30 Jahre beschäftigen sich Röhrer-Ertl und Linder mit Wappen. Linder hat sich selbst eines gegeben, zentral im Zeichen: natürlich, die Linde. Röhrer Ertl hingegen hatte kein einziges Mal den Wunsch, sich eines zuzulegen. "So schön sie oft sind - man muss nicht gleich sagen: Ach, die gute alte Zeit, ich will Ritter spielen", sagt er. "Die Zeit ist vorbei." (Sophie Rohrmeier, dpa) Foto (dpa): Der Heraldiker Dieter Linder arbeitet hauptberuflich in der IT-Branche, aber im Nebenberuf entwirft er Familienwappen. Sein bayerischer Verein "Der Wappen-Löwe" registriert rund 50 neue Wappen jährlich. Anmerkung der Redaktion: Fälschlicherweise wurde die deutsche Nationalmannschaft in einer früheren Fasssung des Textes zum Fußball-WM-Sieger 2006 erklärt - das trifft leider nicht zu und wurde entsprechend korrigiert.

Kommentare (1)

  1. voa zua am 30.05.2017
    Hab ich was verpasst?
    WM-Sieg 2006?
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