Leben in Bayern

Umringt von Alpakas: Sonja Schreibers Betrieb gehört zu den ersten zehn Höfen in Deutschland, die diese Kamelart einführten. (Foto: Bäumel-Schachtner)

13.12.2024

Die Wuschelköpfe erobern Bayern

Immer mehr Höfe halten Alpakas, die eigentlich in Südamerika beheimatet sind – eine Niederbayerin war Vorreiterin

Sie kennen den Ruf „Alpakas!“ schon ganz genau. Kaum hat Sonja Schreiber ihn ausgesprochen, recken sich 20 Wuschelköpfe. Die ganze Herde kommt angetrabt. Es könnte ja Futter von der Besitzerin geben – oder vom Besuch. Denn die Landwirtin aus Sicking bei Schaufling im Landkreis Deggendorf bietet allen Interessierten Erlebnisse rund um ihr Lieblingstier, das Alpaka. Die charmanten Südamerikaner sind auf alle Fälle bestechlich. Ist eine Gruppe Menschen bei ihnen, dann laufen die Tiere von Hand zu Hand und lassen sich dann auch kurz streicheln. Echte Kuscheltiere sind sie aber trotz ihres wolligen Felles und ihrer putzigen Ausstrahlung mit ihren großen Augen unter langen Wimpern nicht.

Alpakas sind voll im Trend. Sie haben in den vergangenen Jahren Bayern erobert. Wie das bayerische Landwirtschaftsministerium auf Anfrage mitteilt, werden in Bayern rund 5200 Alpakas und Lamas in 640 Betrieben gehalten. Im Vergleich zu 2023 sei die Anzahl der gehaltenen Tiere um rund 300 – das sind 4 Prozent – und der erfassten Betriebe um 17 – 3 Prozent – gestiegen.

Die Niederbayerin Sonja Schreiber war Vorreiterin. Deutschlandweit zählt sie zu den ersten zehn Alpakahalter*innen. „Damals, als ich beim Veterinäramt angerufen habe, musste ich das Wort Alpaka erst buchstabieren“, erinnert sie sich mit einem Lächeln zurück. Der Amtstierarzt habe zudem erst eine Kollegin aus einem Zoo um Rat fragen müssen.

Nur in der Herde fühlen sie sich wohl

Schreiber ging ihrem kränkelnden Vater, einem Landwirt, zunächst parallel zu ihrer Banklehre auf dem Hof zur Hand. Nach seinem frühen Tod übernahm sie die Landwirtschaft, zu der 6 Hektar Grund gehörten. Das war nicht genug, um eine Familie im Haupterwerb zu ernähren. Sie wollte auch nicht dreimal täglich im Kuhstall stehen – und doch wollte die junge Frau genauso wenig einfach ihr Erbe verscherbeln. Zusammen mit ihrem Mann Karl-Heinz suchte sie dann nach anderen Tieren. Schafe und Ziegen überzeugten sie nicht. Ein Nachbar erzählte ihnen schließlich von einer Fernsehsendung über Alpakas. Einige Zeit später fuhr das Paar zu einem der ersten oberbayerischen Züchter nach Landsberg am Lech – und kehrte mit zwei trächtigen Stuten zurück.

Nikita-Lisa, eine pechschwarze Chilenin, und Firefly, eine schneeweiße Bolivianerin, zogen ein und brachten Monate später ihren Nachwuchs zur Welt. Damals war Alpakahaltung nicht einfach: Es gab kein Futter, dieses musste erst produziert werden, und ein Tierarzt war nicht leicht zu finden. Das Ehepaar machte Kurse, es lernte viel über die Haltung und das Scheren. „Das Wichtigste war aber, in der Praxis Erfahrungen zu sammeln“, erklärt die Alpaka-Bäuerin. Besonders wichtig an der Haltung von Alpakas ist: „Herde, Herde, Herde.“ Die Tiere der geselligen Kamelart fühlen sich nur in der Gruppe wohl und sicher.

Anfangs wollte Sonja Schreiber vor allem züchterisch wertvolle Tiere zur Welt bringen, doch schnell merkte sie, dass das Ausstellen kein Spaß für die Tiere ist, sondern purer Stress. Heute hat sie das Fahren zu Zuchtschauen ganz aufgegeben. Da auf ihrem Hof jedes Jahr mehrere Fohlen zur Welt kommen, verkauft sie diese aber nach wie vor an geeignete Menschen. Sie wählt dabei genau aus, wem sie die Tiere anvertrauen kann. Ein Alpaka für den Hobbybereich kostet rund 1000 Euro, eine Zuchtstute zwischen 3500 bis 5000 Euro, und ein prämierter Hengst mit guter Blutlinie kann auch mal einen Preis von 10.000 Euro und mehr bringen. Alpakas haben sehr unterschiedliche Tragezeiten: zwischen elf und zwölfeinhalb Monaten, je nach Tier. Da es in den Anden, wo sie eigentlich herkommen, nachts kalt und tagsüber warm ist, kommen Alpakafohlen immer tagsüber zur Welt, um bis zum Nachtfrost zu trocknen. 

Was sie nicht im Angebot hat: Alpaka-Wanderungen. Davon hält Sonja Schreiber nämlich nichts. „Sie sind immer noch Fluchttiere und nicht dazu geschaffen, zwei Stunden mit einem Fremden zu gehen, der vorher nur eine ganz grobe Einweisung bekommen hat“, sagt sie. So habe sie vor Jahren auch eine Anfrage vom bekannten Outdoorevent-Anbieter Jochen Schweizer abgelehnt.

Schreiber bietet stattdessen Erlebnispädagogik an, wie sie erklärt: Begegnungen mit dem Tier für Groß und Klein. Doch immer nur so, dass auch die Tiere etwas davon haben. „Bei mir gibt es kein Remmidemmi wie in einem Freizeitpark.“ Nur wohldosiert kommen Gruppen auf den Hof, zwischendurch gibt es viele Pausen für die Alpakas. Und Kinder dürfen die Alpakas zwar streicheln, aber nur unter Aufsicht und ohne die Tiere zu etwas zu zwingen.

Ministerium schätzt die pädagogische Wirkung

Das bayerische Landwirtschaftsministerium sieht genau hier eine Bedeutung für die Alpakahaltung: im Heranführen von Kindern und Jugendlichen ans Thema Bauernhof. Eine nennenswerte Bedeutung für die Bewirtschaftung der vorhandenen Grünlandflächen liegt dagegen aus Sicht des Ministeriums nicht vor. Für Weidehaltung und Futter bestehe ein geschätzter Flächenbedarf von einem Hektar je zehn Tiere. „Somit benötigen die 640 Betriebe eine Fläche von 520 Hektar Grünland. Von den eine Million Hektar Grünland in Bayern werden daher nur 0,05 Prozent durch Alpakas und Lamas genutzt.“, erklärt eine Sprecherin. Auch die Bedeutung für die Wirtschaftsleistung der gesamten bayerischen Landwirtschaft hält das Ministerium für überschaubar – zumindest aktuell.

Die Schreibers sind mit den Möglichkeiten, die die Alpakahaltung bietet, sehr zufrieden. Auch die Wolle der Tiere können sie verwerten. Der kostbare Rohstoff wird jedes Jahr zwischen Ende April und Anfang Mai geschoren. Die Familie schert jedes Tier mit viel Ruhe und Geduld selbst, bis nach etwa zwei Tagen die feine Wolle zu einem Berg aufgetürmt daliegt. Die Babywolle wird zu Kleidung und Wollknäueln verarbeitet, aus dem Fell der älteren Tiere werden Schuhsohlen und warme Bettdecken, aus den Resten wird Seife. Alles wird im eigenen Hofladen verkauft. Auch bei Kreativkursen, die angeboten werden, wird mit der Wolle gearbeitet.

In jüngster Zeit baut Sonja Schreiber, die ihren Betrieb einmal in der BR-Sendung Landfrauenküche vorstellte, immer mehr den Bereich Erlebnisgastronomie aus. Ganz neu im Portfolio: Sie bietet chilenische Küche an. Lange hatte sie nach jemandem, der so etwas kann, gesucht. „Eines Tages kam eine Frau aus Chile in meinen Hofladen – und zack, das war es dann.“ Beim diesjährigen Christkindlmarkt auf dem heimischen Hof wurden dann auch südamerikanische Speisen angeboten.

Dass die früheren Exoten aus den Anden mit einer Lebenserwartung von rund 20 Jahren nun Modetiere sind, sieht Sonja Schreiber mit sehr gemischten Gefühlen. Denn die Popularität der Tiere birgt auch Risiken – die 46-Jährige hat Angst, dass Menschen nicht immer genügend sachkundig mit ihnen umgehen. Sie begrüßt daher, dass das Veterinäramt einen genauen Blick auf die Tiere hat. Wie ein Sprecher des Veterinäramts Straubing-Bogen bestätigt, müssen die Halter von Kameliden – dazu zählen die Alpakas – ihren Betrieb beim zuständigen Veterinäramt nach der Viehverkehrsverordnung spätestens ab Beginn der Haltung anzeigen. Sie müssen auch ein Bestandsregister führen.

Für die gewerbsmäßige Zucht und Haltung von Alpakas, auch zum Beispiel für Trekkingtouren und tiergestützte Aktivitäten, ist eine Erlaubnis nach Tierschutzgesetz erforderlich. Denn Alpakas zählen per rechtlicher Definition nach wie vor nicht zu den landwirtschaftlichen Nutztieren. Die Voraussetzung für die Genehmigung ist laut Sprecher des Veterinäramts, dass der Halter genügend Sachkunde für die jeweilige Tätigkeit mitbringt, geeignete Räumlichkeiten hat und als zuverlässig gilt. Gut so, finden die Schreibers.

Der Alpaka-Boom der vergangenen Jahre hat für die Familie Schreiber aber auch Vorteile. So lernen jetzt Tiermediziner bereits im Studium Grundlagen der Alpaka-Gesundheit und es gibt mehr Tierärzte vor Ort, die sich auskennen.

Der Boom wirkt sich auch auf Tiermedizinstudium aus

Dennoch musste sie mit einem an der Wirbelsäule verletzten Fohlen einmal bis nach München in die Tierklinik fahren, weil Alpakas nicht als Kleintiere zählen und daher nicht in einer Kleintierpraxis geröntgt werden dürfen – auch, wenn der Alpaka-Nachwuchs nur ein Sechstel des Gewichts eines Berner Sennenhunds auf die Waage bringt. Noch heute gibt es kaum spezielle Medikamente für Alpakas, es müssen Arzneien etwa für Schafe oder Ziegen verwendet werden.

Auf mehr als 20 Tiere soll Schreibers Herde auf jeden Fall nicht anwachsen. Sie möchte ihr eigenes Futter für ihre Tiere erzeugen können und erinnert an die Trockenheit vor einigen Jahren, als viele größere Alpakahöfe ihre liebe Mühe hatte, noch Heu zu bekommen. Da war sie auf der sicheren Seite, denn dafür reicht ihr Grund und Boden aus. (Melanie Bäumel-Schachtner)
 

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