Leben in Bayern

Nur einer der zwei Flieger der Rosenheimer Hagelabwehr. Hinten links befindet sich der raketenähnliche Rauchentwickler. (Foto: Stumberger)

08.09.2017

Direktflug in die Gewitterfront

Arbeiten in luftigen Sphären: Georg Vogl „impft“ Gewitterwolken mit Silberjodid – das schützt vor Hagel

Der Blick von Georg Vogl richtet sich skeptisch nach oben in den Himmel. Nur ein paar Schäfchenwolken ziehen an der Sonne vorbei. „Das schaut heute gut aus“, sagt er. „Das kann sich aber auch schnell ändern.“

Vogl ist Chefpilot der Hagelflieger von Rosenheim. Das siebenköpfige Team kämpft mit Silberjodid-„Raketen“ gegen Unwetter. Das Ziel: Schäden von der Landwirtschaft abhalten. Der Einsatzflugplatz ist Vogtareuth. Gerade hat der 59-Jährige eine zweimotorige Maschine mit Hilfe eines knallgelben Gabelstaplers aus dem Hangar gezogen, um im Auftrag des Landratsamtes Gewitter zu jagen. In Bayern ist das einzigartig, nur in Baden-Württemberg gibt es weitere Gewitterjäger.

Hagelkörner verhindern, bevor sie gebildet werden

Die Hageljäger befliegen ein Gebiet von rund 4800 Quadratkilometern, das sich etwa 40 Kilometer am nördlichen Alpenrand entlangzieht. Auch 18 Gemeinden der österreichischen Bezirke Kufstein und Kitzbühel werden so geschützt. Über Funk sind die Piloten mit den Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes verbunden. Aktuelle Daten liefert ein meteorologisches Büro in München. Und mithilfe der Hochschule Rosenheim werden Radarbilder der Wetterlage direkt ins Cockpit gesendet.

Meist kommen die Gewitterwolken am Nachmittag. Die Landkreise Rosenheim, Traunstein und Miesbach sind besonders von der Hagelgefahr, die große Schäden auf den Feldern und beim Obstanbau anrichten kann, betroffen. Im Vergleich zu nördlicheren Gebieten werden dort gut 40 Prozent mehr Hagel registriert. Ursache dafür sind die großen Wassermassen von Chiemsee, Ammersee und Starnberger See, die zur Wolkenbildung beitragen.

Vogl, Ex-Pilot der Bundeswehr, bekämpft die gefährlichen Eiskörner mit Silberjodid – eine Verbindung von Silber und Jod. Die Arbeitsgeräte von Vogl und seinem Team heißen „Hannelore“ und „Käthi“, benannt nach den Ehefrauen von Rosenheimer Landräten. Sie sind zwei siebensitzige Flugzeuge des italienischen Modells „Partenavia P68“. Sie verfügen jeweils über zwei Turbolader-Motoren mit 210 PS.  In eines klettert Vogl nun hinein. Drinnen ist es eng und es riecht nach Metall, Öl und Leder. Neben den normalen Instrumenten wie Höhenmesser oder Spritanzeige verfügt das Flugzeug Baujahr 1985 über zusätzliche ungewöhnliche Bedienungshebel. „Der hier“, erklärt Vogl und deutet auf einen weißen Knopf mit der Aufschrift Ignition, „dient zur Zündung der Rauchentwickler unter den Tragflügeln“.

Die Rauchentwickler wurden extra für den Hageleinsatz entworfen und gebaut. Sie sehen aus wie Raketen. Das Ganze funktioniert wie ein Triebwerk: Die vorne angesaugte Luft wird in der Brennkammer durch das Beifügen des Lösungsmittels aus Silberjodid-Aceton zu einem Gasgemisch, das über einen elektronischen Funken entzündet wird. Hinten tritt das Gemisch mit einer grüngelben Rauchfahne aus. Durch das Silberjodid gelangen dann Billionen kleinster Partikel, sogenannte Aerosole, in die Luft. An diesen Kondensationskeimen fängt sich in den Wolken der Wasserdampf und das Wasser setzt sich an ihnen fest. Dadurch bilden sich statt einiger großer Hagelkörner viele kleine, die auf dem Weg nach unten schmelzen und so zu Regen werden. Auf diese Weise wird die Hagelbildung bekämpft Außerdem wird beeinflusst, wann und wo die Wolken abregnen. Früher geschah die Abwehr mit sogenannten Hagelraketen, mit denen das Silberjodid vom Boden aus in die Wolken geschossen wurde.

Im Gewitter wird Vogl im Flugzeug gehörig durchgerüttelt

Heute dagegen peilen die Piloten, die meist alleine im Einsatz sind, in der Gewitterfront die Zone der Aufwinde an. Diese können in etwa 2000 Metern Höhe eine Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde erreichen – genau der richtige Ort, um die Silberjodidteilchen in die Wolke einzubringen. Denn mit dem Wind werden sie so in bis zu 15 Kilometer Höhe getragen.

Die Hagelpiloten tun also genau das, was sonst von Fliegern vermieden wird: Sie steuern direkt in die Gewitterzone. Notwendig für derartige Einsätze sind neben einer Blindflugerlaubnis – man orientiert sich nur an den Instrumenten – und einer Lizenz für mehrmotorige Flugzeuge auch eine Ausbildung in der Hagelbekämpfung.

Chefpilot Vogl ist ein alter Hase, er ist seit 1980 dabei. Im Gewitter wird er im Flugzeug gehörig durchgerüttelt. „Es ist turbulent, manchmal sehr turbulent“, sagt Vogl. Die Sicherheit der Piloten hat immer Vorrang vor der Verhinderung eines Hagelschauers. Wenn es zu gefährlich wird, kehren Vogl und seine Kollegen um. Angst kennt der Vater dreier erwachsener Kinder nicht, nur Respekt vor der Gefahr.

Der Kampf gegen den Hagel ist dabei nicht unumstritten. Es gibt nämlich keine Beweise für die Wirksamkeit. Gleichwohl hält der Landkreis an seinen Hagelfliegern fest. Neue Erkenntnisse soll jetzt das Forschungsprojekt „Roberta“ bringen. Dabei wertet die Hochschule Rosenheim über mehrere Jahre hinweg die Daten der Hagelflieger aus. Eines haben die Wissenschaftler dabei aber noch nicht ändern können: „Mich mögen die Gewitter nicht“, sagt der leidenschaftliche Hagelflieger Vogl. „Wenn ich im Dienstplan stehe, ist das Wetter meistens schön.“
(Rudolf Stumberger) Foto (dpa): Seit 1980 jagt er schon Gewitter: Georg Vogl.

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