Leben in Bayern

Freie Fahrt für Radelnde in Bayern dank des neuen Radgesetzes? Viele sind skeptisch. An vielen Stellen, etwa an der Lindwurmstraße in München, muss dafür noch viel getan werden. (Foto: Stumberger)

01.09.2023

Durch die Radfahrhölle Lindwurmstraße

Das seit Anfang August geltende bayerische Fahrradgesetz soll die Qualität der Mobilität für Zweiräder verbessern – eine Bestandsaufnahme in München

Noch vor der Sommerpause hat die bayerische Staatsregierung ein Radgesetz auf den Weg gebracht, nachdem der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) mit seinem Volksbegehren zum gleichen Thema vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gescheitert war. Das Gesetz ist erst einen Monat in Kraft. Wirft es schon seine Schatten voraus? Betrachtungen und Bewertungen entlang einer Radlfahrt von München-Laim zum Sendlinger-Tor-Platz in der sommerlichen Landeshauptstadt.

Radgesetz Bayern, Artikel 1, Absatz 1, Satz 1: Der Freistaat Bayern erstellt mit den kommunalen Gebietskörperschaften ein Netz für den Radverkehr in Bayern (Radnetz Bayern), das bei Bedarf weiterentwickelt wird.

Der geradeste Weg von Laim zum Sendlinger-Tor-Platz führt über die Landsberger Straße. Hier gibt es zwar einen Radweg, der ist aber kein Zuckerschlecken: Von Wurzeln aufgebrochener Asphalt, Lieferwägen versperren den Weg, jede Menge Ampeln und Ausfahrten. Ich nehme lieber eine ruhige Wohnstraße, die parallel zur Landsberger Straße liegt, hier radelt es sich angenehmer. 

Anfrage an das Baureferat der Stadt München, was man dort vom neuen Radgesetz halte. Man schickt mich weiter zum Mobilitätsreferat. „Die Landeshauptstadt München ist durch das Radgesetz des Freistaats nur bedingt tangiert, da die Planungen zur Radverkehrsinfrastruktur durch die Kommune selbst erfolgt“, lautet die Antwort auf die Anfrage.

Das Mobilitätsreferat befürworte sämtliche Bemühungen, den Radverkehr durch eine bessere Finanzausstattung zu fördern und die Verflechtungen zwischen Stadt und Umland zu verbessern, heißt es weiter. „Denn es ist eines der erklärten Ziele der Mobilitätsstrategie 2035, den Umweltverbund zu stärken und die Mobilitätswende voranzubringen. Dafür soll unter anderem die Fahrradinfrastruktur weiter ausgebaut werden, um das Rad noch stärker in den Alltagsverkehr zu integrieren und gleichzeitig Fahrradfahrer*innen zu schützen.“

Radgesetz Bayern, Artikel 1, Absatz 1, Satz 2: Das Radnetz Bayern gliedert sich in ein Radnetz für den Alltagsverkehr und ein Radnetz für den Freizeitverkehr.

Inzwischen habe ich auf der Hansastraße den Mittleren Ring überquert und bin links abgebogen, dann wieder rechts in die Ridlerstraße. Es geht am Bavariapark vorbei, entlang der Neubauten auf dem ehemaligen Messegelände. Bisher eine ruhige Fahrt ohne Stress.

Jetzt kommt der schönste Teil des Weges ins Büro, bei der Bavaria den Hang hinunter und dann mit Schwung über die Theresienwiese – was für ein befreiendes Gefühl. Von wegen! Weil irgendwann in den nächsten Wochen die Wiesn stattfindet, werden jetzt schon die Bierzelte aufgebaut, die Durchfahrt ist durch einen Zaun verstellt. Also abbremsen und einmal außen herumfahren.

Radgesetz Bayern, Artikel 1, Absatz 1, Satz 3: Das Radnetz Bayern umfasst Alltagsradverbindungen zwischen Städten und Gemeinden sowie Fernradrouten in ganz Bayern.

Wie wird das neue Radgesetz draußen im Land gesehen? Anruf in Fürstenfeldbruck bei Claudia Gessner, sie ist seit 2016 die Radverkehrsbeauftragte der 40 000-Einwohner-Stadt. Ihre Meinung zum neuen Radgesetz? „Das ist noch schwer abzuschätzen“, so Gessner, das müsse sich erst zeigen.

Fürstenfeldbruck sei ohnehin schon eine „radlaktive Kommune“, man sei auf einem guten Weg, aber trotzdem sei noch nicht alles optimal. An manchen Stellen fehlen noch Radwege und manche Straßen seien eben zu eng für eigene Radspuren. Auch sei die Haushaltslage schwierig. Ob hier das Gesetz helfen könne, müsse man prüfen. 

Radgesetz Bayern, Artikel 1, Absatz 2, Satz 1: Es wird den kommunalen Gebietskörperschaften empfohlen, das eigene Radnetz auf lokaler Ebene weiter zu verdichten.

Nachdem der Oktoberfest-Aufbau-Maschendrahtzaun umradelt ist, kommt jetzt der gefährliche Teil der Tour: die gefürchtete Lindwurmstraße. Links und rechts von der vierspurigen Fahrbahn schlängelt sich ein schmaler Radweg hin bis zum Sendlinger Tor. Hier gibt es die schon bekannten Wurzelverwerfungen, hinzu kommen Aus-, Ein- und Zufahrten. Und weil das Trottoir der Lindwurmstraße nicht wirklich breit ist, weichen manchmal Fußgänger*innen und Frauen mit Kinderwagen auf den Radweg aus.

Das wirklich Gefährliche aber sind nicht die baulichen Verhältnisse, sondern die anderen Radfahrer*innen. Jedenfalls jene, die links und rechts mit einem Affenzahn überholen oder als Lebensmittellieferanten mit ihren E-Bikes gnadenlos dahinwalzen. Hier braucht man Helm, Schutzausrüstung, Rückspiegel, Erste-Hilfe-Kasten.

Vor allem die Kommunen sollen beim Radnetz tätig werden. Anruf beim Bayerischen Städtetag, was meint der zum neuen Radgesetz? Hier reagiert man eher verhalten. „Der Gesetzentwurf wirkt jedenfalls beim ersten und dann vielleicht auch beim zweiten Blick sehr vage und zurückhaltend“, heißt es in einer Stellungnahme.

Er greife einige Inhalte des Radentscheids Bayern auf, bleibe aber in vielen Bereichen dahinter zurück. Die Zielvorgaben wirkten „wenig ambitioniert“. Damit es mit der Verkehrswende etwas werde, fordert der Bayerische Städtetag zusätzliches Geld für die Kommunen, sodass diese mehr Personal einstellen können.

Radgesetz Bayern, Artikel 2, Absatz 1, Satz 2: Bis zum Ende des Jahres 2030 sollen in Bayern gegenüber dem Ende des Jahres 2022 1500 Kilometer neue Radwege gebaut werden.

Nach der Herausforderung der Lindwurmstraße kommt der Sendlinger-Tor-Platz, derzeit eine einzige Spaßbremse für Radfahrende. Hier wechseln die Fahrbahnen wegen des gefühlt immerwährenden Umbaus der Untergeschosse öfter die Richtung und man ist froh, wenn man die Kreuzung mit heilen Knochen hinter sich gebracht hat. Links Autos, rechts Autos, dazwischen der Pulk aus Rennrädern, Lastenrädern, Kinderrädern, Dreirädern.

Anruf beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Der begrüßt zwar einige Punkte des neuen Gesetzes: „Positiv ist, dass einige der von uns seit Langem geforderten Regelungen, wie eine deutlich günstigere Radmitnahme oder eine Zentralstelle Radverkehr, in diesem Gesetzestext zu finden sind.“

Positiv zu bewerten sei auch, dass der Freistaat Bayern sein jährliches Radverkehrsbudget in etwa verdoppele, auch die geplante personelle Aufstockung für den Radverkehr sei vor dem Hintergrund der Herausforderungen notwendig und zu begrüßen. Gleichwohl bleibe der Gesetzentwurf an vielen Stellen sehr vage oder beschreibe lediglich den Status quo und formuliere viele Vorbehalte.

Viele wichtige Regelungen aus dem Volksbegehren „Radentscheid Bayern“ seien nicht berücksichtigt. Vor allem fehle die Festlegung, „dass beim Aus-, Neu- oder Umbau von Straßen von Beginn der Planungen an zu prüfen ist, ob eine geeignete, bedarfsgerechte, sichere und möglichst kreuzungsfreie Radverkehrsführung vorliegt“.

Radgesetz Bayern, Artikel 3, Absatz 1, Satz 1: Der Freistaat Bayern wirkt auf ein einheitliches Erscheinungsbild der nichtamtlichen Wegweisungen an Radverbindungen hin.

Nach der Radfahrerhölle Lindwurmstraße und Sendlinger-Tor-Platz biege ich von der Müllerstraße in die Fraunhoferstraße ein und denke, ich bin im Fahrradhimmel. Ein breiter Fahrradstreifen links und rechts, keine parkenden Autos, freie Sicht und freie Fahrt voraus. Hier hat das Zweirad den Kampf gegen die vierrädrigen Straßenvehikel gewonnen. Jedenfalls wenn man nicht am Vormittag unterwegs ist, wenn die Lieferanten parken. (Rudolf Stumberger)
 

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