Dass die Sache eine solche Dynamik annehmen würde, damit hätte in Altenau vermutlich niemand gerechnet. Mit ihrem Projekt, das örtliche Wirtshaus wiederzubeleben, wurde das 600-Seelen-Dorf in der Nähe von Oberammergau schlagartig überregional bekannt. Denn mit dem Problem, das das im Landkreis Garmisch-Partenkirchen gelegene Altenau zu kämpfen hatte, steht es wahrlich nicht alleine da.
Eines Tages machte dort die „Post“, das örtliche Wirtshaus, dicht. Ein Schlag für das soziale Leben in dem Dorf, das zur Gemeinde Saulgrub gehört. Nicht nur die örtlichen Vereine hatten von da an kein Gasthaus mehr, in dem sie sich treffen konnten. Elf lange Jahre stand die „Post“, direkt neben der Dorfkirche St. Anton gelegen, leer. Doch jetzt endlich ist wieder Leben in dem alten Haus. Der „Dorfwirt“ ist dort eingezogen – dank engagierter Bürger.
156 Helfer packten mit an – zwei Jahre lang
Dass Altenau wieder ein Wirtshaus hat, ist einem außergewöhnlichen Bürgerprojekt zu verdanken. Einwohner taten sich zusammen, kauften das marode, aus dem Jahr 1954 stammende Gebäude und renovierten es innerhalb von zwei Jahren. Insgesamt 156 Helfer packten mit an und opferten viel Freizeit. Ganze 22 000 Arbeitsstunden kamen zusammen. Alle ehrenamtlich abgeleistet.
„Es war wirklich beeindruckend, wie der Ort zusammengestanden ist“, sagt Robert Soukup. Der 51-Jährige ist der Sprecher der zehn Köpfe umfassenden Projektgruppe. Und Soukup ist überzeugt: „Die Bauphase hat den Ort verändert.“ Und die Leute zusammengeschweißt.
Der älteste Helfer war 76, der jüngste 15 Jahre alt – gemeinsam mit den anderen Engagierten formten sie aus einer Ruine nach und nach ein richtiges Juwel. Dort haben die Bürger jetzt wieder einen Treffpunkt, können sich austauschen, feiern, zusammen essen und trinken. „Die Dorfgemeinschaft kommt wieder in die Kommunikation“, betont Soukup. In den vergangenen Jahren sei es so gewesen, dass sich die Musikanten mit anderen Musikern, Sportler mit ihresgleichen und Feuerwehrler mit ihren Kameraden getroffen haben. Aber vereinsübergreifend kam man kaum mehr zusammen. Das ist jetzt anders.
Aber nicht nur über die Vereinsgrenzen hinweg kommen die Leute des Dorfes
wieder vermehrt in Kontakt. Der „Dorfwirt“ ist auch ein Treffpunkt der Generationen. 15- und 16-Jährige sitzen gemeinsam am Stammtisch mit den älteren Altenauern. „Das ist schön“, sagt Wirt Florian Spiegelberger. „Das ist ganz viel wert“, findet auch Soukup.
Bei der Auswahl der Wirtsleute war den Altenauern wichtig, dass die Pächter eine kleine Karte mit frischen, regionalen und saisonalen Gerichten anbieten würden. Und der Saal sollte mit Kultur-Veranstaltungen belebt werden. Am Ende fiel die Wahl auf den 38-jährigen Florian Spiegelberger und seine 32-jährige Frau Izabella. Er ist gelernter Koch, sie Restaurantfachfrau. Zuvor betrieb das Paar fünf Jahre lang eine Wirtschaft in Farenzhausen im Kreis Freising. In Altenau bieten sie unter anderem Schweinebraten, Kürbiscremesuppe und Hirschragout an. Das Wild stammt aus den Wäldern der Umgebung.
Die „gute Seele“ des „Dorfwirts“ aber ist Mathilde Stadler. Die 55-Jährige war bei dem Projekt von Anfang an dabei. Am beeindruckendsten war aus ihrer Sicht der Enthusiasmus der Altenauer, die unermüdlich werkelten und bis zum Ende durchhielten. „Das war eine Wahnsinns-Euphorie, eine Super-Gemeinschaftsleistung. Bis zum Schluss war es ein gutes Miteinander. Wir hatten viel Spaß auf der Baustelle.“ Stadler hat sogar nach 40 Jahren ihren Job bei der Apotheke aufgegeben, um als Hausdame beim „Dorfwirt“ anzufangen. „Das ist schon ein Schritt“, sagt sie. Doch sie habe ihn nicht bereut.
Als Hausdame kümmert sich Stadler um die Übernachtungsgäste. Das Haus verfügt nämlich auch über sechs Fremdenzimmer. Doch auch die Buchhaltung fällt in ihren Augabenbereich, und sie arbeitet im Service und in der Küche mit. Die Altenauerin ist zudem Schriftführerin von einer der beiden Genossenschaften, die im Zuge des Vorhabens gegründet wurden.
Gleich nach der Eröffnung im August war das neue Gasthaus brechend voll. „Es war sehr viel los, vor allem an den Wochenenden“, erzählt Soukup. Das lag auch an dem Medienecho, das das Projekt „Ein Dorf wird Wirt“ ausgelöst hatte. Viele Neugierige wollten selbst sehen, was die Altenauer auf die Beine gestellt haben. „Alle finden es super, dass das in Angriff genommen wurde“, sagt Pächter Florian Spiegelberger. Ihm selbst passierte am ersten Öffnungstag leider ein Malheur: Er brach sich den Ellenbogen.
Doch dem Betrieb tut das keinen Abbruch. Der Laden läuft. Sonntags kommen die Leute nach der Kirche zum Frühschoppen in die Gaststube, die 60 Plätze umfasst. Einmal im Monat ist Musikantenstammtisch. Da kann jeder kommen, der will. „Das wird gut angenommen“, freut sich Spiegelberger. „Es sind auch viele junge Leute dabei.“ Da sind dann im „Dorfwirt“ schon mal La-Brass-Banda-artige Töne zu vernehmen. Musik gehört aus Sicht der Wirtsleute zum Gasthaus wie der Senf zur Weißwurst. Den „Dorfwirt“ wünschen sie sich als gemeinsame Heimat für traditionelle und moderne Klänge. Regelmäßig finden Konzerte statt, auch Kabarettisten haben Gastspiele.
Preis für „Schaffung eines kulturellen Mittelpunktes“
Beheizt wird der „Dorfwirt“ mit Fernwärme. Die betreffende Hackschnitzel-Heizung gehört Josef Niklas. „Ich bin froh, dass das geklappt hat“, sagt der Landwirt. Die 100-KW-Anlage ist nur eines seiner Standbeine. Der Betrieb hat zudem 18 Milchkühe und außerdem noch Pensionspferde. Das Holz, das Niklas hacken lässt, stammt fast komplett aus seinem eigenen Wald.
Saulgrubs Bürgermeister Rupert Speer kann angesichts des Engagements der Bürger nur seinen Hut ziehen. „Die Altenauer waren von der ersten bis zur letzten Minute mit Begeisterung dabei. Das ist schon etwas Besonderes.“ So eine Sanierung mache ja fast mehr Arbeit als ein Neubau. „Die Gemeinde hat das Projekt mit Rat und Tat und auch finanziell unterstützt, so weit es ging.“
Auch sogar die bayerische Staatsregierung hat registriert, dass im Ammertal etwas Besonders entstanden ist. Landwirtschaftsminister Helmut Brunner zeichnete die Teilnehmergemeinschaft und die Gemeinde Saulgrub für die Reaktivierung des Wirtshauses mit dem Staatspreis 2014 aus. Mit ihm werden herausragende gemeinschaftliche und öffentliche Leistungen der Ländlichen Entwicklung gewürdigt. Mit dem neuen Gemeinschaftssaal hätten die Bewohner einen neuen kulturellen Mittelpunkt geschaffen, so die Begründung. Die Ehrung geht am 13. November in der Münchner Residenz über die Bühne. (
Roland Lory)
(Bild: Hinter der Theke des neuen Wirtshauses: Projektsprecher Robert Soukup (l.) mit Pächter Florian Spiegelberger. Foto: Lory)
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