Als Kornelia Mayer vor zweieinhalb Jahren im Lokalfernsehen das Interview mit Sina Trinkwalder verfolgte, traute sie kaum ihren Ohren. „Die meint ja mich“, dachte die damals 48-Jährige. Denn die junge Unternehmerin sprach im TV-Interview davon, wie sie mit ihrer neu gegründeten Firma Manomama die Augsburger Textilwirtschaft wiederbeleben wolle. Und dass sie dafür ehemalige Näherinnen suchte: Alter egal, Arbeitslose willkommen.
„Ich konnte vor Aufregung nicht schlafen“, erinnert sich Mayer heute. Allzu große Hoffnungen machte sich die zweifache Mutter allerdings nicht, als sie ihre Bewerbung abschickte. Die Tochter hatte geholfen, das bisherige Leben in eine ansprechende Form zu bringen: gelernte Bekleidungsfertigerin, dann Kinderpause. Alle Versuche, wieder in den Beruf zurückzukehren, scheiterten, denn Näherinnen wurden in Augsburg einfach nicht mehr gebraucht. Als „Ältere“ wollte man ihr auch in anderen Berufen keine Chance geben. „Ich habe mich jahrelang durchgewurstelt“, erzählt die Schwäbin – beispielsweise mit Putzjobs.
Doch dann die Wende: Nur wenige Tage nach der Bewerbung wurde Mayer von Manomama eingeladen. Und nach kurzem Gespräch hieß es knapp und unkompliziert: „Willkommen im Team.“ Man merkt ihr an, dass sie bis heute ihr Glück kaum fassen kann. Das Glück, endlich wieder einen geregelten Tagesablauf zu haben und das Gefühl, gebraucht zu werden. Mayer genießt ihren Erfolg und freut sich, mit vielen netten Kollegen zusammenzuarbeiten.
24 Päckchen Stoff soll sie pro Tag zu Einkaufstaschen für eine Drogeriekette zusammennähen. Dafür erhält Mayer überdurchschnittliche zehn Euro pro Stunde. Und ihr Pensum schafft sie mit links. Für jede zusätzliche Tasche gibt’s einen netten Bonus.
Erfolgreiche Idee: Nähmaschinen-Paten
Mayer kann sich gut vorstellen, diesen Job bis zur Rente zu machen. Das wären in ihrem Fall noch 17 Jahre. Und geht es nach ihrer Chefin, wird es genau so kommen. Sina Trinkwalder steht mit ihrer Textilfirma Manomama zwar erst am Anfang. Aber sie wird bereits jetzt überrollt vom Erfolg. 94 Frauen und Männer arbeiten für die 34-Jährige – 30 weitere Mitarbeiter könnte sie noch gut gebrauchen. Denn die Aufträge nehmen zu, Überstunden sind bei Manomama aber verboten.
Trinkwalder hat ein ehemaliges Rohwarenlager im Augsburger Stadtzentrum angemietet. Die Hallenfläche wird gerade verdoppelt. Was allerdings fehlt, sind Nähmaschinen. Und Kapital. „Eine Odyssee“ nennt Trinkwalder ihre Versuche, bei Ministerien und Banken Aufbauhilfe zu erhalten. Immerhin setzt sie auf ein Konzept, das von der Politik gemeinhin als vorbildlich und unterstützenswert gesehen wird: Die Mutter eines Sohnes konzentriert sich bei der Mitarbeiterakquise auf Menschen am Rande der Gesellschaft wie Ältere, Arbeitslose oder Hartz IV-Empfänger. „Ich will diesen Menschen eine sinnvolle Arbeit geben“, betont sie. Und bei ihren Produkten legt Trinkwalder Wert auf nachhaltige Qualität: Bio und Fairtrade werden bei Manomama groß geschrieben.
Anfangs glaubte niemand an den Erfolg – wohl auch, weil die junge Unternehmerin einige Grundsätze konventionellen Wirtschaftens einfach über den Haufen warf. Mit Sätzen wie „einen Businessplan braucht kein Mensch“ und „nicht lange reden, einfach machen“ oder Strategien wie „ich will keine großen Margen, die Firma soll so viel abwerfen, dass ich meine Leute bezahlen und weiter investieren kann – und schon bin ich konkurrenzfähig“ stieß sie gemeinhin auf ungläubiges Staunen und gesenkte Daumen. „Die tackern dir einen Vogel“, beschreibt die Firmenchefin die Reaktion der Bürokraten in ihrer lockeren, unkonventionellen Art. Und mindestens so unkonventionell wie ihre Ausdrucksweise sind Trinkwalders Lösungen. Sie pfeift inzwischen auf das Geld von Behörden und schießt Privatkapital zu. Das kommt auch von der erfolgreichen Werbeagentur, die die Augsburgerin im Alter von 21 Jahren mit ihrem Mann gegründet hat . Außerdem akquiriert Trinkwalder über das Internet Nähmaschinenpaten – mit großem Erfolg, fast 50 000 Euro hat sie schon beisammen, um ihre zukünftigen Mitarbeiter mit Arbeitsgeräten zu versorgen. Mit Hilfe von Social Media und einem eigenen Blog holt sich die ehemalige BWL-Studentin ohne Abschluss eine junge Zielgruppe ins Boot. Denn neben den Stofftaschen für einen Drogerieriesen stellt Manomama vor allem Öko-Mode her und vertreibt diese über das Internet.
An offizieller Anerkennung mangelt es indes nicht. Den Bürgerkulturpreis des Bayerischen Landtags hat sie 2011 bekommen. Und vom Rat für Nachhaltige Entwicklung erhielt sie den Titel „Social Entrepreneur 2011“. Nach zweieinhalb Jahren kann Trinkwalder vermelden: „Wir kratzen die schwarze Null.“ Dass sie ihren Erfolg als Triumph über die – wie sie sagt – Besserwisser aus Politik und Wirtschaft sieht, ist ihr anzumerken. Niemand hatte ihr zugetraut, so schnell so weit zu kommen.
Woher die junge Unternehmerin die Energie für all das nimmt? Die Geburt ihres Kindes habe ihr Leben verändert, erklärt Trinkwalder. „Ich möchte nicht, dass mein Sohn mir angesichts der globalen Probleme einmal vorwirft, nichts getan zu haben.“ Und nicht am anderen Ende der Welt wollte sie helfen, sondern vor der eigenen Haustüre. „Ich habe mir überlegt: Wer ist arbeitslos und was kann ich mit so jemandem machen?“
Sozialromantikerin? Auf diesen Titel ist sie stolz
Ein Wiederbeleben der Textilwirtschaft, die in Augsburg zwar eine jahrhundertelange Tradition hatte, sich aber der Billig-Konkurrenz aus Fernost geschlagen gab, lag da für sie nahe. Und auf dieses Projekt stürzte sich Trinkwalder mit einem kompromisslosen Idealismus. Den ihr von Medien verliehenen Titel „Sozialromantikerin“ trägt sie mit Stolz. Eine „Wirtschaft 2.0“ möchte sie einläuten, sagt sie. Eine ökosoziale Marktwirtschaft, in der die Menschen mehr zählen als Bilanzen. In der es keine Hierarchien gibt und keinen aufgeblähten Verwaltungs-„Wasserkopf“.
Ob sich Sina Trinkwalder damit auch langfristig durchsetzen kann, muss sich zeigen. „Ich habe keinen Plan, ich werde einfach weitermachen“, und das ohne all die Unternehmensberater, die ihr zurzeit ungefragt die Türen einrennen und Hilfe anbieten, die sie aber nicht will. Stattdessen verlässt sie sich auf ihren „gesunden Menschenverstand“. Und man wünscht ihr, dass sie damit weiterhin Erfolg hat, wenn man sieht, wie gut gelaunt ihre Angestellten zur Sache gehen. Wie die Mitarbeiter sich freuen, wenn die Chefin für einen kleinen Plausch bei ihnen stehen bleibt. Denn eines ist für Trinkwalder eine Selbstverständlichkeit: Sie kennt nicht nur alle Mitarbeiter mit Namen, sondern auch deren Lebensgeschichte. Wie die der heute 50-jährigen Kornelia Mayer, die es sich nicht nehmen lässt, noch einmal zu betonen: „Frau Trinkwalder hat mich aus meiner Misere herausgeholt, ich bin ihr unendlich dankbar.“ (Gabi Peters)
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