Leben in Bayern

Zum renovierten Gasthaus Grüner Baum gehört auch eine Hausbrauerei. Braumeister Christian Honig gießt sich eine Halbe ein. (Foto: Pelke)

19.01.2024

Ein Wirtshaus fast so wie früher

Der Nürnberger Gastronom Till-Jonas Heinz hat sich in ein leer stehendes Lokal mitten in der fränkischen Provinz verliebt – und ihm eine neue Zukunft gegeben

Warum tut man sich das an? Einen alten Gasthof in der fränkischen Pampa mit viel Fleiß, Geld und Hirnschmalz wachküssen zu wollen? „Ich will hier gemeinsam etwas Nachhaltiges schaffen“, sagt Till-Jonas Heinz, und seine Mitstreiter im frisch renovierten Gastraum mit den großen Fenstern, hellen Möbeln und den kupferfarbenen Sudkesseln im Hintergrund nicken. „Wir müssen zurück zu den Leuten“, lautet für Heinz die einfache Antwort auf die vielen Krisen unserer Zeit. „Ich will hier etwas aufbauen, das sich gesellschaftlich trägt“, sagt er und meint weder Schnellimbiss noch Luxustempel.

Kai Kammerer, der 24-jährige Gasthausleiter, kommt sogar aus Egersdorf, einem Ortsteil des mittelfränkischen Marktes Cadolzburg. Dort, wo das Gasthaus „Grüner Baum“ steht. Der österreichische Küchenchef Christoph Lerchner wohnt eine Etage über den Pfannen und Töpfen. Der Brauereichef Christian Honig hat seinen alten Lehrerjob gegen die neuen Berufung am Sudkessel eingetauscht. Zur Eröffnung hat die neue Besetzung das halbe Dorf ins alte Gasthaus eingeladen. „Da habe ich mich wie der Messias gefühlt“, erklärt Heinz. Die Leute seien einfach dankbar gewesen, dass nicht schon wieder Leberknödel, Sauerbraten und Co gegen Gyros, Pizza und Frühlingsrollen den Kürzeren ziehen müssen.

Eine Hausbrauerei im großen Gastraum eingebaut

Ein örtlicher Immobilieninvestor hatte das leer stehende, 200 Jahre alte Gasthaus im historischen Ortskern entdeckt und gemeinsam mit Heinz nach einer Zukunft für das Anwesen gesucht. „Die alten Wirtsleute haben in der Corona-Krise aufgegeben. Da kann man gemeinsam was Schönes draus machen“, hatte sich Heinz beim ersten Rundgang gedacht und seine Freunde nach Egersdorf eingeladen. „Ich habe die Gäste schon sitzen sehen“, erinnert sich Heinz an seinen allerersten Eindruck zurück.

Nur der große Saal mit den vielen Tischen habe den erfahrenen Gastronomen abgeschreckt. „Was willst du heute mit über 80 Sitzplätzen?“, fragte sich Heinz und entwickelte schnell eine Idee: „Lasst uns in einem kleinen Teil des großen Gastraums eine richtige Hausbrauerei hineinbauen.“ Die habe es früher in den kleinen Dörfern schließlich überall in Franken in den unzähligen Wirtshäusern gegeben.

„Wir brauen hier mit anständigen Rohstoffen ein handwerkliches, richtig gescheites helles Lagerbier“, sagt Christian Honig, der ehemalige Hauptschullehrer und aktuelle Bierbrauer im Grünen Baum und zeigt auf sein Reich aus großen und kleinen Kesseln. Mit „Reifkraft“ haben sich die Freunde schnell auf einen neuen Namen für das neue Bier aus Egersdorf geeinigt. Hier Gastraum, dort Brauerei: Jetzt können die Gäste mit Blick auf den Sudkessel hinter der gläsernen Trennwand den Feierabend gemütlich im Dorf ausklingen lassen.

„Jetzt haben wir noch 50 Sitzplätze. Die können wir mit unseren Mitarbeitern total rocken“, sagt Heinz. „Früher musste die ganze Familie im Wirtshaus rund um die Uhr mit anpacken. Heute müssen wir unsere Mitarbeiter sorgsam behandeln, ordentlich entlohnen und dürfen dabei keinen überlasten“, erklärt Heinz. Sogar die Wege zur großen Sonnenterrasse habe man aus diesem Grund optimiert, um den Köch*innen und Kellner*innen nicht nur an schönen Sommersonntagen unnötig lange Wege zu ersparen.

Das Konzept kommt im Dorf offensichtlich an. „Der Stammtisch trifft sich wieder hier und die Kartler kommen auch regelmäßig zum Schafkopfspielen“, sagt Gasthausleiter Kammerer und erzählt, dass das Dorf den geselligen Mittelpunkt im Ort nach dem Weggang der vorherigen Besitzer einfach vermisst habe. Die Wiedergeburt der Wirtshauskultur fernab der angesagten Fressmeilen muss sich auch in der fränkischen Provinz tragen.

Die Nürnberger Projekte laufen weiter

Finanzielle Hasardeure sind Heinz und seine Mitstreiter nicht. „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen.“ Der Sauerbraten mit Blaukraut und Klößen kostet 19 Euro. Die Brotzeitvesper 10 und die Suppe 7 Euro. „Wir wollen echte Qualität anbieten, die sich der Normalbürger leisten kann.“ Durch die Rückkehr der 19 Prozent Mehrwertsteuer wird das Vorhaben auch für den „Grünen Baum“ nicht leichter. „Wir müssen alle richtig anpacken, damit es klappt.“ Das gehe nur mit Leuten, die „richtig Bock“ hätten und nicht sofort die Flinte ins Korn werfen, wenn der Wind aus der falschen Richtung weht. „Wir müssen alle auf Allianzen setzen.“ Für Heinz grenzt es an Selbstmord, in der aktuellen Krisenzeit eigene Süppchen kochen zu wollen.

Woher er die Kraft nimmt, neben seinem feinen Restaurant Ess.Tisch und seinem florierenden Catering Ess.Brand im angesagten Nürnberger Stadtteil Gostenhof noch ein Projekt in der Provinz zu stemmen? „Als unsere erste Tochter vor acht Jahren gestorben ist, hatte ich genau zwei Möglichkeiten: mich entweder danebenzulegen oder zu versuchen, den anderen Kindern eine anständige Welt zu hinterlassen.“

Seitdem will Heinz dem komfortablen Mittelweg für immer Adieu sagen. Und traut sich einfach alles zu. „Im Frühjahr wollen wir hinter dem Wirtshaus die Kirchweih gemeinsam mit dem Dorf auf die Beine stellen“, sagt Heinz und blickt erfreut in die Zukunft, die für ihn und seine Freunde genau jetzt und genau hier in Egersdorf beginnen soll. (Nikolas Pelke)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.