Leben in Bayern

Peter Astner zeigt stolz seinen Campus, bald sollen die Beton-Laubengänge hinter vertikalen Gärten aus Kiwipflanzen verschwinden. (Foto: Baur)

16.02.2022

Eine Riesen-WG für 211 Leute

Als Baurecht-Dozent Peter Astner sah, wie Rosenheimer Studierende mangels Zimmer im Auto schliefen, wurde er selbst aktiv – und baut ein Wohnheim

In Rosenheim entsteht gerade Deutschlands nachhaltigstes Studierendenwohnheim. Konzipiert hat es Peter Astner, Fachanwalt für Baurecht, der auch an der Technischen Hochschule lehrt. Ebenso wichtig wie die Nachhaltigkeit sind dem 55-Jährigen aber Bezahlbarkeit und Wohlfühlfaktor. Die ersten Studierenden sind schon eingezogen – und finden das Ergebnis einfach nur „cool“.

Also, die Küchenlampen gehen ja mal überhaupt nicht. Ein Angriff auf das ästhetische Empfinden – das ist einhellig Meinung der Studierenden. Markus Mühlbacher hat die Lampe in seinem Appartement gleich mal abgehängt; hier in der benachbarten WG, wo er gerade mit seinen Kommilitoninnen Zoe Dudek und Luise Bussjäger am Küchentisch zusammensitzt, haben sie sie zumindest etwas höher gehängt, damit man sie nicht so sieht.

Harsche Kritik, und doch: Wer solche Kritiker hat, braucht keine Freunde mehr. Denn viel mehr fällt den dreien nicht ein, wenn sie über den Campus RO in Rosenheim lästern sollen. Sie gehören zu seinen ersten 70 Bewohner*innen, sind im Dezember hier eingezogen. „Schon cool“ sei es hier. Dudek und Bussjäger, beide 20, kommen aus dem Münchner Speckgürtel. Dort eine Wohnung finden? Eher schwierig. Es war deshalb nicht zuletzt der Wunsch der beiden BWL-Studentinnen, daheim auszuziehen, der den Ausschlag für Rosenheim gegeben hat. Mühlbacher ist bereits 25 und gelernter Schreinermeister. Der Traunsteiner studiert im dritten Semester Ingenieurspädagogik, will Berufsschullehrer werden.

Auf der Dachterrasse Bier trinken und Gemüse ziehen

Aktuell befinden sie sich alle im Prüfungsstress, aber hier lässt er sich aushalten. Campus RO, das ist das wohl nachhaltigste Studierendenwohnheim Deutschlands und vielleicht auch das studentenfreundlichste. Wobei: Wohnheim – Peter Astner, das ist gewissermaßen der Erfinder des Campus RO, wird nicht müde zu erwähnen, dass er diesen Begriff im Zusammenhang mit dem Campus RO überhaupt nicht schätzt. In ganz Deutschland habe er sich Studierendenwohnheime angesehen, auch in der Schweiz und in Österreich. Und nein, so würde er nicht wohnen wollen. Alles total heruntergekommen.

Kleiner Ortswechsel, über den Laubengang mal schnell zwei Stockwerke weiter nach oben. Von hier aus überblickt man das Gelände ganz gut. Es ist kalt und windig. Astner, ein Mann von fast zwei Metern, hat sich warm angezogen, trägt eine graue Mütze. Er zeigt auf die künftigen Dachterrassen, auf die beiden Häuserblocks, die im Frühjahr als Nächstes bezogen werden. Angefangen hat das Projekt bei der Zeitungslektüre. Vor etwa zehn Jahren muss das gewesen sein, da stieß Astner auf einen Text über das Studierendendorf in München, dem ehemaligen Olympischen Dorf. Seitdem hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen. Gut, ein bisschen vom Fach ist der 55-Jährige als Anwalt für Baurecht natürlich. Außerdem lehrt er Baurecht an der Technischen Hochschule in Rosenheim. Als er dann noch mitbekommen hat, dass die Studierenden hier zu Semesterbeginn teilweise im Auto schlafen, weil sie kein bezahlbares Zimmer gefunden haben, fand er, da müsse man doch was tun. Und „man“, das war dann er.

Die Suche nach dem passenden Ort dauerte ein paar Jahre, doch dann fand sich 2015 das ideale Grundstück am Rande eines Gewerbegebiets. Auf der anderen Seite der Straße geht es direkt auf das Hochschulgelände. Astner fand eine Bank, die das Geld für das Projekt zur Verfügung stellte, steuerte selbst etwas Kapital bei und legte los.

Insgesamt hatte das Gelände 15 000 Quadratmeter. Ein Drittel davon verkaufte Astner an die Stadt, die darauf nun ein Projekt für geförderten Wohnraum und ein Schwesternwohnheim errichtet. Den verbliebenen Hektar behielt der Bauherr für „seine“ Studierenden. Im August 2020 schließlich war Spatenstich. Und nicht einmal anderthalb Jahre später, im Dezember 2021, war bereits der Erstbezug im Gebäudekomplex A. In den B- und C-Häusern sind aktuell noch die Handwerker am Werk. Ein Netz von Laubengängen und Treppen verbindet alle drei Gebäudekomplexe, mit einem einzigen Aufzug lässt sich jede der Wohnungen barrierefrei erreichen.

Peter Astner führt in das letzte noch nicht bezogene Appartement des Blockes A. 23 Quadratmeter, einfach, aber modern eingerichtet. Allenfalls könnten Boden und Möbel für manchen Geschmack etwas zu dunkel geraten sein. Gleich neben der Tür ist die Kochnische. Astner setzt sich an das kleine Küchentischchen und deutet auf die Sitztruhe. Sie sei genau so konzipiert worden, dass zwei Tragerl Bier hineinpassen.

Vom Bier kommt Astner schnell zurück auf das große Ganze: „Wir verbauen hier 1800 Kubikmeter Holz“, erzählt er. „Der gesamte Campus ist aus Holz, alle tragenden, alle nichttragenden Wände, die Decken.“ Das Holz kommt aus Bayern und Österreich, aus zertifiziert nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Nur auf den Decken wurde aus Statikgründen noch eine zusätzliche Schicht Ortbeton aufgebracht, und die Laubengänge sind wegen des Brandschutzes aus Beton-Fertigteilen. Derzeit dominieren sie noch die Optik der Anlage, lassen sie etwas kalt erscheinen. Doch schon bald sollen sie hinter vertikalen Gärten aus Kiwipflanzen verschwinden.

Der Campus RO war von Beginn an als nachhaltiges Vorzeigeprojekt konzipiert. Die Holzhybridbauweise, die den CO2-Fußabdruck beim Bau um die Hälfte reduzieren soll, ist dabei nur ein Aspekt. Auch die Innenhöfe sollen möglichst grün werden, auf verschiedenen Ebenen gibt es bepflanzte Dachterrassen, dort können sich die Bewohner*innen auf ein Bier treffen oder gemeinsam in einem der Hochbeete Gemüse ziehen. Nur ganz oben, da ist weniger Platz – wegen der Photovoltaikanlagen. Schließlich wird der gesamte benötigte Strom hier selbst produziert.

Durch den rundum nachhaltigen Ansatz, der vom Bau über den Betrieb und die Wiederverwertbarkeit aller baulichen Komponenten bis zu den kurzen Wegen zur Hochschule reicht, erhielt das Projekt auf Anhieb Gold im Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Dadurch angespornt, schielten Astner und ein Partnerunternehmen, das er zwischenzeitlich noch mit ins Boot geholt hat, nun auch auf Platin, den höchsten Standard. Viel war dafür an ihrem Konzept nicht zu ändern. Ein paar Nistkästen für Fledermäuse, mehr nicht.

Die Nachhaltigkeit ist das eine, und Luise Bussjäger etwa sagt, das sei einer der Punkte gewesen, die den Campus RO für sie attraktiv gemacht hätten: „dass hier alles sustainable ist“. Aber Nachhaltigkeit macht per se noch keinen Wohnkomfort. Und dass sich die Menschen, die hier leben und studieren sollen, auf dem Campus wohlfühlen, ist Astner mit das Wichtigste. Fast noch wichtiger als das Wohlbefinden der Fledermäuse.

Lounge-Atmosphäre: in den Waschsalon zum Chillen

Um auch wirklich den Geschmack seiner Zielgruppe zu treffen, hat Astner im Vorfeld viel mit Studierenden zusammen am Konzept gefeilt. Dabei kam etwa heraus, dass sich die meisten von ihnen Einzelappartements wünschen, keine WGs. Entsprechend wurde dann der Schlüssel festgelegt: 32 WG-Plätze wird es nun geben, zwei Familienwohnungen und 173 Einzelappartements. Aber jeder allein in seinem Kämmerchen – ist das wirklich noch studentisches Wohnen? Astner erhebt Einspruch: Was heißt allein? Gemeinschaftliches Wohnen sei hier ganz wichtig. Und die Studierenden lebten hier sehr wohl in einer WG: „Es ist halt keine Zweier- oder Vierer- oder Achter-WG; es ist eine 211er-WG. Und gleichzeitig hat jeder die Möglichkeit, sich in seine Bude zurückzuziehen.“

Treffen kann man sich zum Beispiel im Waschraum. Wobei man sich dabei keinen dieser dunklen Kellerräume vorstellen darf, in dem ein paar alte Waschmaschinen rumstehen. Nein, es ist ein Waschsalon mit Tageslicht, Lounge-Atmosphäre und Getränkeautomat. Auch wer gerade keine schmutzige Wäsche hat, kann hier zum Chillen kommen. Es ist einer von Astners Lieblingsräumen auf dem Gelände. „Mein wunderbarer Waschsalon“, sagt er. Eine Anspielung, die hier freilich keiner versteht, denn als der Film von Stephen Frears in den Kinos lief, da war Astner selbst noch im Alter seiner jetzigen Mieter*innen.

Gegenüber gibt es eine Community Kitchen zum gemeinsamen Kochen oder für Partys. Dazu ein großer Veranstaltungsraum, Co-Working-Spaces, eine komplett eingerichtete Fahrradwerkstatt. Ein Sharing-System für E-Bikes, vielleicht sogar für E-Roller und E-Autos wird auch nicht fehlen. Und gerade wird der Keller eines sechsstöckigen Boarding-Houses, ausgehoben. Hier können beispielsweise Eltern günstig logieren, die ihre studierenden Kinder besuchen. Oder Gastdozent*innen.

Die Gemeinschaftsräume sind selbstverständlich in der Miete inbegriffen, ebenso ein eigener Internetanschluss im Zimmer sowie WLAN auf dem ganzen Gelände. Gut, die Miete ist etwas höher als in „normalen“ Wohnheimen, aber das, da sind sich Zoe Dudek, Luise Bussjäger und Markus Mühlbacher einig, ist es wert. Und Peter Astner weist darauf hin, dass er ja anders als ein Studierendenwerk keinerlei Fördermittel für studentisches Wohnen bekomme. Dennoch mache man sich Gedanken, wie man ein Kontingent an Zimmern an Studierende günstiger vermieten kann, die sich den Campus sonst nicht leisten könnten. Derzeit liegen die Mieten etwa zwischen 400 und 700 Euro.

Die Höhe orientiert sich dabei in erster Linie an der Lage der Wohnung. Wer ganz oben wohnt, zahlt am meisten. Aber der hat dann auch ein „Penthouse mit Bergblick“, wie es Astner nennt. Was will man da mehr? Da wären nur noch die Lampen ...
(Dominik Baur)

Fotos im Text (Baur, PONNIE Images/ACMS Architekten GmbH):
Zoe, Luise und Markus sind bereits im Dezember eingezogen und sitzen in der WG-Küche.
Der Entwurf stammt von ACMS Architekten aus Wuppertal.

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