Leben in Bayern

Leo Wagner (Mitte) 1973: der damalige parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe mit Bundeskanzler Willy Brandt (links) und dem CDU-Vorsitzende Helmut Kohl. (Foto: dpa/Peter Popp)

09.04.2021

Familien- und Staatsgeheimnisse

Doku mit aufklärerischer Wirkung: "Die Geheimnisse des schönen Leo" über den käuflichen CSU-Mann Leo Wagner

In welcher Relation stehen die Werte der CSU zu fünf- bis sechsstelligen Geldwerten? In der BR-Mediathek ist derzeit ein Film zu diesem Thema zu sehen, in dem gleich zu Beginn Alfred Sauter zu Wort kommt. Aha, denkt man sich. Falsch gedacht. Der Film mit dem ominösen Titel „Die Geheimnisse des schönen Leo” handelt gar nicht von Alfred Sauter und der zielstrebigen Verwertung seiner „Nebentätigkeit” als Landtagsabgeordneter für private Zwecke. Sauter tritt als unverdächtiger, ja integrer Zeitzeuge auf, der seine Expertise zu einem längst abgetretenen CSU-Politiker namens Leo Wagner abgibt, dessen zwielichtige Transaktionen hier unter die Lupe genommen werden. Der Film ist ja auch bereits 2018 herausgekommen, als Sauter noch völlig unbescholten war. Einziger Bezugspunkt zwischen den beiden CSU-Politikern ist Günzburg: Dort betätigte sich der heute 70-jährige Sauter in jungen Jahren als Wahlhelfer von Leo Wagner.

Immense Schulden durch sein intensives Nachtleben

Leo Wagner? Der Mann hinter Franz Josef Strauß? Kennt man heute nicht mehr. Dem kometenhaften Aufstieg des Günzburger Volksschulrektors zum parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion in der Bonner Republik folgte der jähe Absturz 1975: Leo Wagner (1919-2006) hatte durch sein intensives Nachtleben immense Schulden aufgehäuft und war dadurch empfänglich geworden, zum Beispiel für stattliche Zuwendungen aus Ostberlin. Wagner steht unter dringendem Verdacht, einer der beiden „Verräter” innerhalb der Union gewesen zu sein, die am 27. April 1972 das konstruktive Misstrauensvotum, das Bundeskanzler Willy Brandt stürzen sollte, scheitern ließen.

Benedikt Schwarzer bringt in einem 80-minütigen Dokumentarfilm Licht in die „Geheimnisse des schönen Leo” (noch bis Ende April in der BR-Mediathek). Man könnte den jungen Filmemacher für befangen erklären: er ist der Enkel von Leo Wagner. Doch die Familienbande haben in dem Fall ausnahmsweise aufklärerische Wirkung. Denn so ausdauernd Schwarzer auch Archive durchforstet, Zeitzeugen aufspürt und Historiker befragt – die Person, die entscheidend daran mitwirkt, dass der Film am Ende tatsächlich frappierend neue Erkenntnisse präsentieren kann, ist seine Mutter. Ruth Schwarzer, geborene Wagner, war als Kind Teil der für einen CSU-Politiker in den Sechziger Jahren unabdingbaren Vorzeigefassade einer heilen Familie ...

Für eine Zuwendung aus Ostberlin vergaß er seine politische Überzeugung

Eine von Leo Wagners Geliebten, sein Chauffeur, ein Angestellter einer Kölner Rotlicht-Bar – es ist durchaus sensationell, wie viele Zeitzeugen der Film auffahren kann. Am beeindruckendsten ist Horst Kopp, Wagners Stasi-Führungsoffizier, der mit seinen himmelblauen Augen in die Kamera sagt, dass er Wagner anfangs für eine Finte des westdeutschen Geheimdiensts gehalten habe: ein prominenter CSU-Bundestagsabgeordneter, der durch sein ausschweifendes Kölner Nachtleben so tief in der Kreide stand, dass er für eine fünfstellige Zuwendung aus Ostberlin seine politische Überzeugung vergaß.

Stasi-Offizier Horst Kopp war anfangs wie gesagt misstrauisch: Der Fall Leo Wagner war zu schön, um wahr zu sein. Doch dann stellte sich heraus, dass Leo Wagner einfach nur Leo Wagner war. Mit einer Zuwendung von 50.000 Mark war er zu haben. Genauso wie ein zweiter Unionsabgeordneter. Und das Misstrauensvotum, das am 27. April 1972 Willy Brandt (SPD) stürzen und Rainer Barzel (CDU) zum Bundeskanzler machen sollte, scheiterte. Kopps Job 1972: Brandt als Kanzler zu halten. Dafür überwies die Stasi zweimal 50.000 Westmark, das war es ihr wert. 49 Jahre danach gibt es wohl niemanden mehr, der diesen erfolgreich ausgeführten Auftrag für ein Verbrechen hielte.
(Florian Sendtner)

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