Leben in Bayern

Ausgestopft endete Braunbär Bruno im Museum Mensch und Natur in München. (Foto: dpa)

19.05.2016

Geliebt, gefürchtet - ausgestopft

Wie ein netter Teddy benahm er sich nicht. Bär Bruno fraß Schafe, plünderte Hühnerställe und lief frech mitten durch Orte. Diagnose: Falsch erzogen. Vor zehn Jahren kam der Bär aus Italien nach Bayern

Die einen feierten ihn als Freiheitshelden und "Mahatma Gandhi" der bayerischen Wälder. Die anderen forderten seinen Tod. Im Sommer 2006 streifte Braunbär "Bruno" durch den Freistaat, stahl Honig, riss Schafe - und sorgte weltweit für Schlagzeilen. Nach nicht einmal zwei Monaten wurde er abgeschossen: zu gefährlich für das zivilisierte und dicht besiedelte Bayern. Seither kam kein Bär mehr. In Österreich sind Bären seit einigen Jahren wieder verschwunden, und in "Brunos" Heimatland Italien sieht man sie inzwischen mit Skepsis. Vor zehn Jahren im Mai, als die Welt sich auf die Fußball-WM in Deutschland vorbereitet, ist der junge Bär aus dem Trentino in Österreich Richtung Bayern unterwegs. Dort fiebert man ihm entgegen. Der damalige Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) spricht ihm ein herzliches Willkommen aus, und aus dem Ministerium heißt es: "Wir wollen wirklich ein netter Gastgeber sein." Am Wochenende des 20. und 21. Mai 2006 setzt "Bruno" als erster Braunbär seit 170 Jahren seine Tatzen auf bayerischen Boden - und hinterlässt gleich eine blutige Spur: Bei Dickelschwaig im Graswangtal bei Garmisch-Partenkirchen reißt er drei Schafe. Tags darauf, es ist ein Sonntag, werden bei Farchant vier weitere Tiere tot gefunden.

Edmund Stoiber: "Schadbär und Problembär"

Die Stimmung kippt. Was die Behörden am meisten beunruhigt: "Bruno" wagt sich nah an Orte heran - es könnte gefährliche Begegnungen mit Menschen geben. "Wir haben einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär und dem Problembär. Und es ist ganz klar, dass dieser Bär ein Problembär ist", erläutert der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) die Sache. "Der Bär ist zu einem Problembären geworden", konstatiert auch das Umweltministerium. Er wird zum Abschuss frei gegeben. Tierschützer sind empört. "Ich hatte weinende Tierfreunde am Telefon: "Ihr müsst ihn retten"", erinnert sich Jörn Ehlers vom WWF. Der Umweltverband lässt aus den USA eine Bärenfalle einfliegen, eine Alu-Röhre: "Bruno" soll in ein Wildgehege. Rund um den Globus verfolgen die Menschen sein Schicksal. Es sei das einzige Mal gewesen, dass er Anrufe von der "Washington Post" und der "New York Times" bekommen habe, sagt Ehlers. Der damalige Münchner Zoo-Direktor Henning Wiesner bietet an, den gut 100 Kilo schweren Bären per Blasrohr-Schuss zu betäuben. Die Idee, ihn mit einer Bärendame anzulocken, wird verworfen. Bären werden erst mit vier bis fünf Jahren geschlechtsreif, heißt es. "Bruno" ist aber erst zwei. Und interessiert sich noch nicht für weibliche Reize. Er sei nur scharf auf Schafe, erklärt ein Ministeriumssprecher.

Im Internet wird gewettet: Fliegt Deutschland bei der WM raus oder wird Bruno gefangen?

Mit seinen Eskapaden zieht "JJ1" - Erstgeborener von Mutter Jurka und Vater José - die Sympathien auf sich. Im Internet werden Wetten abgeschlossen: Fliegt Deutschland bei der WM raus oder wird "Bruno" gefangen? Es gibt Solidaritäts-T-Shirts mit Aufdrucken wie "JJ Guevara" oder "Mich kriegt ihr nie". In Tourismus-Orten im Oberland werden Bärenhonig und süße Bärentatzen angeboten, im Internet erfreut sich das Spiel "Jagd auf Bruno" steigender Beliebtheit. In den Medien ist er längst ein "Schlaubär" oder gar "Braunbär Bruno Superstar". Für den Tiroler Landesrat Anton Steixner ist hingegen klar: "Ein Sonderling." Experten sind sich einig: Das schlechte Benehmen hat "Bruno" von Mutter "Jurka" gelernt. Sie hat ihrem Nachwuchs gezeigt, dass sich bei den Menschen gut Fressen lässt, solange man nicht an den Tatort zurückkehrt - wie es Bären normalerweise tun. Bayern holt für mehrere Zehntausend Euro finnische Bärenjäger mit Elchhunden. "Bruno", der viele hundert Kilometer zurücklegt und vermutlich oft um sein Leben läuft, scheint sie nur zu narren. Er läuft durch den Ort Kochel, rastet unter den Augen von Kneipengästen direkt vor der Polizei - um sich aus dem Staub zu machen, bevor die Finnen dort eintreffen. Nach zwei Wochen reisen sie ab.

Nach dem Abschuss kursieren Morddrohungen gegen Verantwortliche

"Bruno" wird erneut zum Abschuss freigegeben - am 26. Juni wird er im Rotwandgebiet erlegt. Der Schütze ist unbekannt. Morddrohungen gegen Verantwortliche kursieren. Die Emotionen schlagen hoch. "Er war der Mahatma Gandhi der bayerischen Wälder", schreibt ein Fan im Internet. Und: "Er wurde zum Symbol der Freiheit, zum letzten Einzelkämpfer, der durch die engen Maschen unseres Staates schlüpfen konnte." Ehe "Bruno" ausgestopft als Honigdieb neben großen Grizzlys im Museum ausgestellt wird, liegt er ein Jahr lang tiefgefroren an einem geheimen Ort. Paparazzi sollen versucht haben, an ihn heranzukommen. Im Tiefkühlfach eines Hobby-Jägers lagert zur selben Zeit eine der letzten Hinterlassenschaften "Brunos", für Jäger eine wichtige Spur. Der Versuch, das Häufchen im Internet zu versteigern, scheitert. Zwischen Rom und München sorgt der gefrorene Bär zeitweise für frostige Stimmung: Rom möchte den Kadaver, da Bruno zum Bären-Projekt in der Adamello-Brenta-Gruppe gehörte und so Eigentum Italiens sei. Derzeit ist kein Bär zu erwarten. Die Population in Österreich, die vor zehn Jahren gut 20 Tiere umfasste, gibt es nicht mehr. "Viele sind spurlos verschwunden. Von einigen weiß man, dass sie gewildert wurden", sagt Roland Gramling vom WWF. Nach dem Tod eines Jägers wurde bei dessen Witwe ein ausgestopfter Bär gefunden. Die nächsten Bären leben im Trentino, "Brunos" Heimat. Einzelne Tiere wanderten von dort nach Graubünden und Tirol "Alpenflüsse wie der Inn, aber auch dicht besiedelte Gebiete mögen dazu beigetragen haben, dass nach JJ1 bisher kein weiterer Bär nach Bayern vorgedrungen ist", sagt der Präsident des Landesamtes für Umwelt, Claus Kumutat. Falls sich doch ein Bär nach Bayern wagt, haben die Behörden einen Managementplan in der Schublade. Etwas für starke Nerven: Bei einem Angriff flach auf den Boden legen, Hände im Nacken. Beschnuppern lassen. Und einfach warten, bis der Bär abzieht. (Sabine Dobel, dpa) Foto (dpa): Holzkreuz mit der Aufschrift "Bruno d. Bär am 26. Juni 2006 von hintergründigen Mördern erschossen....", aufgenommen 2007 unterhalb der Rotwand. Chronologie: Brunos Streifzüge durchs Grenzgebiet 10. Mai: Der Braunbär reißt in Vorarlberg zwei Schafe. 17. Mai: Erste Sichtung nahe der deutschen Grenze im Tiroler Lechtal. 18. Mai: "Der Bär ist in Bayern willkommen", erklärt der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf. 19. Mai: Der Bär räumt eine Bienenhütte aus - zwei Kilometer vor der Grenze zu Bayern. 20. Mai: Der erste wilde Bär nach 170 Jahren erreicht Deutschland. Bei Garmisch-Partenkirchen reißt er drei Schafe. 21. Mai: Vier weitere Schafe fallen dem Bären zum Opfer. 22. Mai: In der Nähe von Wohnhäusern tötet der Bär in Grainau Geflügel und reißt zwei Schafe. Das bayerische Umweltministerium erklärt: "Der Bär ist zu einem Problembären geworden." Das Tier wird zum Abschuss frei gegeben. Tierschützer sind empört. 23. Mai: Der Landkreis Garmisch-Partenkirchen warnt vor Spaziergängen. Auch in Österreich gilt eine Abschussgenehmigung. 23. Mai: Der Münchner Ordinariatssprecher Winfried Röhmel teilt mit: "Der Papst hat mit der Aufnahme des Bären in sein Wappen das Heimatrecht des Bären in Bayern neu bekräftigt." 25. Mai: Ein Jäger trifft im österreichischen Rofangebirge auf den Braunbären. 27. Mai: Der Bär vernascht einen Bienenstock im Zillertal (Tirol). 30. Mai: Genetische Analysen klären endlich die Herkunft von "JJ1". Er stammt aus Südtirol. 01. Juni: Bayern will mit Hilfe finnischer Bärenhunde den Streuner aufspüren. Das Tier soll nur im Notfall abgeschossen werden. 02. Juni: Österreich widerruft die Abschussgenehmigung. 04. Juni: "JJ1" reißt bei Garmisch-Partenkirchen drei Schafe und verletzt vier weitere. 05. Juni: Der Bär tötet drei Schafe in Lautersee. 06. Juni: "JJ1" wird nun fast überall "Bruno" genannt. Er plündert in Tirol einen Kaninchenstall. Jugendliche sehen ihn auf einer Straße vom österreichischen Scharnitz nach Leutasch. 7. Juni: Die Umweltstiftung WWF stellt eine Röhrenfalle aus den USA auf, die auch mit einem Hubschrauber transportiert werden kann. "Bruno" wird oberhalb von Innsbruck bei einer Skihütte gesehen. 9. Juni: Ein Spaziergänger im Bezirk Imst beobachtet, wie Bruno einem Wildhasen den Kopf abbeißt. 10. Juni: "Bruno" knackt nordöstlich von Innsbruck einen Kaninchenstall. 11. Juni: Finnische Bärenjäger nehmen mit ihren Hunden die Spur auf. Ein Jagdpächter untersagt ihnen die Durchquerung seines Gebietes. 13. Juni: Der Suchtrupp findet neue Spuren, nachdem der Bär im Karwendel gesehen wurde. Durch die Hitze verflüchtigt sich die Spur. 14. Juni: Am Sylvensteinspeicher bei Lenggries streift ein Auto den Bären - der verschwindet. 15. Juni: Bei Lenggries wird "Bruno" von einem der finnischen Elchhunde gestellt. Doch der Bär kann wieder entwischen - nachdem er wieder einmal ein Schaf gerissen hat. Zuvor hatte er Bewohner zweier Berghütten erschreckt. 17. Juni: "Bruno" marschiert durch Kochel am See, wird von einem Spaziergänger beobachtet und sitzt kurz vor der Polizeiwache. Mitten im Ort bricht er einen Kaninchenstall und einen Bienenstock auf. Ein Platzregen verhindert, dass die Jäger die Spur aufnehmen können. 20. Juni: Im oberbayerischen Kreuth reißt "Bruno" Schafe und bricht Bienenstöcke auf. 21. Juni: "Bruno" rennt in Österreich durch Maurach am Achensee. An einer Klamm bei Brandenberg wird er von den Jägern lokalisiert, kann aber in einem Unwetter entkommen. 22. Juni: Bayern erteilt eine allgemeine Abschussgenehmigung, falls die Betäubung des Bären fehlschlägt. Der Bär wird im Tiroler Bezirk Kufstein gesichtet. Dort reißt er einen Schafwidder. 23. Juni: Bayern erteilt eine vom 27. Juni an geltende Abschussgenehmigung. Der Tierschutzbund protestiert. 24. Juni: Das finnische Bärenfangteam reist ab. Auch Tirol erteilt eine Abschussgenehmigung, die vom 26. Juni an gelten soll. Der Bär begegnet Radfahrern und wird von ihnen beobachtet, wie er durch den Soinsee unterhalb der Rotwand schwimmt. Wanderer folgen ihm, treten aber den Rückzug an, als "Bruno" sich zu ihnen umdreht. 26. Juni: "Bruno" ist tot. Er wird in der Nacht in der Nähe des Spitzingseegebiets im Landkreis Miesbach von Jägern erschossen. Um die Frage, wer der Schütze war, wird bis heute ein Geheimnis gemacht. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass Jäger aus dem Landkreis Miesbach dafür abgestellt wurden.

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