Leben in Bayern

Kunst an der Fassade: Dank Bernhard Ludwig Rieger klettert an diesem Hotel in Garmisch ein Bergsteiger empor. (Fotos: Gert Krautbauer)

28.08.2020

Geschichtenerzähler mit Pinsel

Bernhard Ludwig Rieger aus dem oberbayerischen Wallgau pflegt die alte Tradition der Lüftlmalerei – ein vom Aussterben bedrohtes Kunsthandwerk

Die alte kunstvolle Lüftlmalerei prägt seit Jahrhunderten das Ortsbild vieler oberbayerischer Dörfer. Der 39-jährige Bernhard Ludwig Rieger bewahrt diese uralte Tradition vor dem Aussterben und gibt Hausfassaden ein neues Gesicht. In seinen riesigen Bildern interpretiert er Geschichten der Hausbesitzer. Und erzählt vom Leben in der Region.

Bereits als kleiner Bub entdeckte der gebürtige Münchner Bernhard Ludwig Rieger seine Leidenschaft für die Kunst: „Schon im Kindergarten und auch später während meiner Schulzeit war die Malerei meine größte Leidenschaft“, sagt der 39-Jährige, der in Wallgau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen lebt. „Vom kleinen Täfelchen bis zur großformatigen Kartonage wurde von mir einfach alles bemalt. Sein bevorzugtes Motiv: König Ludwig II. Unser Kini hat mich schon immer fasziniert, begeistert und durch seine Aura inspiriert“, schwärmt Rieger. Was ihn neben dem Kini bereits als Kind faszinierte: die Lüftlmalerei. So sehr, dass er nach dem Abitur sich die Lüftlmalerei selber beigebracht hat. „Bis heute bin ich von dieser kreativen Arbeit mehr als begeistert. Es ist für mich Hobby, Beruf und Berufung zugleich.“

Die Lüftlmalerei prägt bereits seit mehreren Jahrhunderten die Ortsbilder von oberbayerischen Dörfern und Städten. Sie ist insbesondere in Mittenwald und im Werdenfelser Land am Fuße des Karwendels zu finden, denn hier gibt es viele alte Häuser, die gut erhalten sind. Und teilweise komplett bemalt: Große bunte Bilder mit unterschiedlichen Motiven strahlen in prächtigen Farben von den Wänden. Sie erzählen meist ihre eigenen Geschichten – vom traditionellen regionalen Leben und dem tief verwurzelten Glauben der Dorfbewohner. Sie zeigen etwa Holzarbeiter und Flößer bei ihrer Arbeit, den heiligen Christophorus, der das Jesuskind auf seinem Arm über einen Fluss trägt, oder ein großes Trink- und Essgelage bei einer fröhlichen Wirtshausfeier.

Dank Rieger, der nun bereits seit vielen Jahren das traditionelle Handwerk der Lüftlmalerei pflegt, entstehen in der Region auch immer wieder neue Geschichten an den Wänden. Er gestaltet, wie seit Jahrhunderten üblich, riesige Gemälde an den Häusern. Wie die alten Lüftlmaler interpretiert er dabei oft die Geschichten aus dem Leben der Hausbesitzer. „Zuvor habe ich ausführlich mit ihnen gesprochen und befasse mich dann mit dem Gebäude, seinen Bewohnern, deren Umfeld und lasse diese für mich wichtigen Informationen immer wieder gerne in meine Gestaltung einfließen.“

Gerade malt er in Grainau auf einer 200 Quadratmeter großen Hauswand die Schlösser von König Ludwig II. Es sind romantische Bilder. Manchmal verschönert er ganze Hauswände, manchmal nur die Fensterrahmen oder den Eingangsbereich mit unterschiedlichen Motiven. „Streng genommen sind viele meiner Arbeiten eher Fassadenkunst“, sagt Rieger und verweist auf das Gebäude des Hotels Rheinischer Hof in Garmisch-Partenkirchen. „Hier sind zwei Bergsteiger aus verschiedenen Epochen zu sehen, die gemeinsam eine Bergflanke erklimmen.“ Der dreifache Familienvater ist mit großer Leidenschaft bei der Arbeit und dabei sehr erdverbunden geblieben: „Ich nutze das Handwerk der Lüftlmalerei, um den Menschen ein Stück ihrer Heimat näherzubringen, sei es auf dem Land oder in einer Großstadt, in Bayern oder auch außerhalb.“

Rieger stöberte in Schriften aus dem 18. Jahrhundert

Dabei ist die Lüftlmalerei, so wie sie einst betrieben wurde, in der heutigen Zeit eigentlich gar nicht mehr realisierbar. Denn vor vielen Jahrhunderten wurden die Farben auf noch feuchten Kalkputz aufgetragen; das hielt ewig. Das gehe heute so leider nicht mehr, erklärt Rieger. Die heutige Fassadenbemalung arbeitet mit teils vollmineralischen Pigmenten, die von der Zusammensetzung her den modernen, bauphysikalischen Untergründen angepasst werden. „Durch die moderne Putz- und Farbtechnik halten die Farben – je nach Material – aber längst nicht mehr so lange wie die Bilder von anno dazumal“, bedauert Rieger. Er selbst verwende neun mineralische Farbtöne mit verschiedenen Naturfarben, die zusammen den schönen pastellfarbigen Charakterton eines Gesamtgemäldes ergeben, das sich seit Jahrhunderten nicht verändert habe. Sein Spezialwissen über die chemischen Prozesse der Lüftlmalerei fand Rieger zum großen Teil in alten Schriften aus dem 18. Jahrhundert.

Den Beruf eines Lüftlmalers, der kein Ausbildungsberuf ist, kann man durchaus mit dem eines Kirchenmalers vergleichen. Rieger betont: „Hier sind oft talentierte Handwerker als Künstler bekannt geworden, zum Beispiel Hans Georg Asam.“ In vielen Kirchen seien so bedeutende barocke künstlerische Arbeiten entstanden. „Genau wie bei der Lüftlmalerei ist in allen großdimensionierten Arbeiten die räumliche Vorstellung sehr wichtig“, erklärt Rieger.

So gerne Rieger in seinem Beruf ist, einfach ist er für ihn nicht. „Die Auftragslage ist derzeit leider sehr überschaubar“, sagt er. „Dieses schöne alte Handwerk ist vom Aussterben bedroht.“ Deshalb hat sich der Künstler ein zweites Standbein geschaffen. In seinem offenen Atelier und Schauraum AlmBiente in Wallgau können Besucher*innen dem Künstler bei der Arbeit über die Schulter schauen. Auf Wunsch stellt er ihnen auch seine verschiedenen künstlerischen Facetten vor. Neben Motiven aus der Lüftlmalerei gibt es hier auch Leinwandbilder im Pop-Art-Stil sowie Einrichtungsgegenstände und Dekorationen seines eigenen Labels Alpenterieur. Auch in der Einrichtungsszene des Alpenraums hat sich Rieger mit seinen schrägen Designprojekten bereits einen Namen gemacht – jedes Teil ist ein Unikat.

Aus alpinen Rohstoffen und Materialien gestaltet Rieger mit viel Kreativität „designträchtige“ Objekte und Accessoires, wie der Künstler sie selbst nennt – in Kleinserien und limitierten Auflagen. Heimatverbunden und authentisch trägt er seine Ideen für ausgefallene Möbelstücke getreu seinem Motto „vom Berg ins Tal und von der Alm in die Stadt“ nach draußen. Auch diese künstlerische Ader hat ihren Ursprung in der Kindheit von Bernhard Ludwig Rieger. Den Umgang und die Verarbeitung von alpinen Bau- und Rohstoffen hat er schon als kleiner Bub von seinem Vater mitbekommen. „Altholz und alte Baustoffe waren bei uns zu Hause immer schon ein wertiges Material. Dieses wurde durch geschickte Wiederverwendung auf kreative Art und Weise zu neuen Gebrauchs- oder auch Dekorationsgegenständen aufgearbeitet.“
(Sabine Neumann)

Foto: Bernhard Ludwig Rieger vor seinem Atelier, das für Besucher offensteht.

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