Rauf aufs Rad! Bei schönem Wetter ist das Fahrrad für viele das Verkehrsmittel der Wahl, erst recht in Corona-Zeiten. Sie strampeln momentan lieber an der frischen Luft, als sich in Bus oder U-Bahn womöglich mit Coronaviren anzustecken. Auf Fahrradwegen wird es deshalb oft sehr eng. 1,50 Meter Abstand halten - für Radler meist unmöglich. Die Stadt München will das ändern. Auf ausgewählten Straßen sollen einzelne Auto-Fahrspuren für Radler umgewidmet werden, vorerst bis Ende Oktober, wie der städtische Planungsausschuss am Mittwoch beschlossen hat. Das Vorbild für diese Pop-up-Radwege ist Berlin.
"Andere Städte in Bayern sollten dem Beispiel der Landeshauptstadt folgen und gerade jetzt mehr Platz für Rad- und Fußverkehr schaffen", fordert Laura Weis vom BUND Naturschutz in Bayern. Der BUND und andere Verbände haben eine Petition gestartet, die sich an Städte in Bayern richtet. Das Motto: "Macht Platz - Für corona-sichere Rad- und Gehwege".
Die Stadt Nürnberg ist solchen Ideen gegenüber aufgeschlossen. "Wir haben dazu zwei Routen von hoher Bedeutung in der Feinplanung, die wir dem Verkehrsausschuss im Juni vorstellen wollen", sagt Planungs- und Baureferent Daniel Ulrich. Am vergangenen Samstag gab es zudem Aktionen in mehreren Städten, darunter Augsburg, Regensburg oder Würzburg, wo Aktivisten für kurze Zeit Pop-up-Radwege errichteten.
Tatsächlich erlebt das Radfahren gerade einen Boom. Die einen kaufen sich ein neues Fahrrad, andere rüsten alte Gefährte auf. Und sie stellen fest: "Wie gut die Bewegung an der frischen Luft tut, wie viel intensiver sie die Natur und die Stadt erleben und wie flexibel man mit dem Fahrrad unterwegs ist", formuliert es der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC. Und es mache den Kopf frei - das könnten die Menschen in diesen krisenhaften Zeiten einfach gut gebrauchen.
Zudem wollen die Befürworter ein Verkehrschaos verhindern. Der ADFC zitiert Umfragen, nach denen bis zu 75 Prozent der bisherigen Nutzer des Öffentlichen Nahverkehrs momentan lieber privat fahren, um sich nicht anzustecken. "Fahren alle Menschen mit dem Auto zur Arbeit, kommt es in den Städten zum Verkehrschaos, das wiederum noch größere Gefahren für den Rad- und Fußverkehr birgt", glaubt Bayerns ADFC-Vorsitzende Bernadette Felsch.
Vorübergehende Fahrradwege
Der Münchner Fahrradbeauftragte Florian Paul registriert seit Beginn der Corona-Beschränkungen eine massive Zunahme des Radverkehrs. "Auf den Fahrradwegen war es schon vorher eng an vielen Stellen in der Stadt, jetzt wird es noch enger." Dasselbe Bild auf den Straßen: Im April, als die meisten Menschen zuhause saßen, waren rund ein Drittel weniger Autos unterwegs. Jetzt liege der Verkehr fast schon wieder auf normalem Niveau - und es könnte noch mehr werden. Deshalb müsse man jetzt die Weichen für eine Verkehrswende stellen, sagt Paul, "damit München nicht im Dauerstau erstickt".
Die Stadt will die vorübergehenden Radwege unter anderem an zwei Abschnitten der Rosenheimer Straße und an der Gabelsbergerstraße einrichten, möglichst rasch. Im Herbst soll dann beraten werden, ob das Projekt weitergehen kann, denn der Radverkehr spielt in Münchens Plan für eine langfristige Verkehrswende eine große Rolle.
Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) fordert "kluge und tatsächlich praktikable Lösungen, die die Situationen vor Ort berücksichtigen und daher auf Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen". Auch die Lage von Parkplätzen oder Grundstückszufahrten müssten die Kommunen berücksichtigen, ebenso wie den Wiederanstieg des temporär zurückgegangenen Autoverkehrs. "Die Corona-Pandemie darf nicht dazu führen, ohne hinreichende Verkehrsplanung und Beteiligung der Öffentlichkeit eine dauerhafte Umverteilungen des Verkehrsraumes durchzusetzen", warnte Schreyer.
Gegner der Pop-up-Radwege beklagen den Verlust von Fahrspuren für die Autos. Nicht glücklich sind auch manche Ladeninhaber, vor allem, wenn deswegen Parkplätze verloren gehen. Münchens Fahrradbeauftragter Paul hält diese Sorgen aber für unbegründet. Er geht davon aus, dass die Geschäfte entlang dieser Routen sogar mehr Kunden bekommen. Radler könnten spontan anhalten und einkaufen, ohne erst lange nach einem Parkplatz zu suchen.
Und aus Berlin kursieren Fotos und Videos im Internet: Autos nutzen die gelb markierten Radstreifen als Parkplatz, Lieferdienste halten an, um ihre Pakete auszutragen. "Das halte ich für Anfangsprobleme", sagt Ragnhild Soerensen vom Verein Changing Cities aus Berlin. Die Polizei müsse das Falschparken stärker ahnden. Das soll auch in München geschehen. Paul hofft zudem auf gegenseitige Rücksicht: "Ich appelliere an den gesunden Menschenverstand!"
(Cordula Dieckmann, dpa)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!