Mit dem zwölften Böllerschuss, der am Samstag über die Münchner Theresienwiese hallte, hatte das 200. Oktoberfest eröffnet. Oberbürgermeister Christian Ude hatte stolz verkündet: „Ozapft is!“ Bis Montagabend dauert das rege Treiben auf der Theresienwiese noch. Mit dabei: Die sechs Münchner Groß-Brauereien. Nur sie dürfen die Wiesn beliefern. So hat es der Stadtrat bestimmt. Das jüngste Gewächs der Münchner Brauerszene ist nicht darunter: Der Bräu von Giesing.
Dreimal hat sich Geschäftsführer Steffen Marx bereits beworben und dreimal eine Absage erhalten: Ihm fehle die Wiesn-Erfahrung. Unter dem Signet „Bierlaboratorium“ produziert der 32-jährige Marx im ehemaligen Arbeiter- und Überschwemmungsviertel Untergiesing eine ganze Palette von Bieren. Hergestellt in keinem Chemielabor, sondern in einer richtigen Brauerei. Eine, die Platz findet im einstigen Pferdestall eines Lohnkutschers.
Im Vorderhaus Nr. 5 der Kopfsteinpflasterstraße Birkenau wohnen die Familien Wagner und Winter. Und im Hinterhaus blubbert das Bier im Edelstahlkessel. „Untergiesinger Erhellung“, „Untergiesinger Pilschen“ oder „Weber’s Weiße“ heißen die gängigsten Sorten. Gebraut wird vorwiegend nach Jahreszeit. „Delirium“ zur Starkbierzeit oder das Rauchbier „Hausbrand“ während der Heizperiode.
Handarbeit ist aufwändig und hat ihren Preis. 19,80 Euro kostet das Tragl plus 10 Euro Pfand, damit die teuren Kisten wieder zurückkommen. Für Familienfeste oder Geschäftsfeiern braut Marx einen eigenen Sud und klebt Spezialetiketten drauf. Und bei seinen Mixgetränken treibt es der Neumünchner aus Usedom ganz bunt. Versetzt mit Fruchtsäften leuchtet das Bier rot, gelb, blau oder grün. Nur Bier heißt es nicht mehr, sondern „Zosch“. Na dann zosch, äh, prost!
Vier Mal in der Woche wird gemaischt, geläutert, gekocht und gegoren. Jeweils 500 Liter, deren Hauptbestandteil einfach aus der Leitung fließt. Das Münchner Wasser kommt direkt aus dem Mangfalltal nach Giesing und es hat allerbeste Qualität. Mit ihm dürfen sich nur ausgesuchte Rohstoffe vermischen. Ist der Sud fertig, pumpt ihn der Lehrling Philip Reber (23) komplett in den nächsten Bottich.
Weihnachtsmarkt
statt Oktoberfestzelt
Die Läuterung steht an. Durch ein Rohr unten im Kessel sickert die heiße Brühe in eine offene Wanne, gebremst von den herabgesunkenen Gerstenspelzen. So langsam, dass sich die Pumpe nicht einsetzen lässt. Also muss der diensthabende Lehrling ran und Eimer für Eimer das ganze Bier wieder zurück in den ersten Kessel umfüllen. Zurück bleibt der Treber, den sich einmal die Woche ein Bäcker für Spezialbrote abholt. Der Rest geht an den Tierpark Hellabrunn. Da freuen sich die Bisons und Pinselohrschweine.
Das künftige Bier heißt mittlerweile Würze, und die wird mit gutem Hopfen aus Spalt bei Nürnberg erneut aufgekocht. Einen ganzen Arbeitstag hat die Prozedur bis dahin gedauert und immer noch fehlt der Alkohol. Also werden wieder Schläuche an die kleine fahrbare Pumpe angeschlossen, quer durch das ganze Sudhaus verlegt und ab geht’s über eine Gegenstromkühlung in den Gärbottich.
Jetzt darf die Hefe sieben Tage lang an die Arbeit. Als Jungbier muss das Gebräu dann noch etwa drei Wochen lagern, bevor es in die Flasche darf. Auf einer Abfüllmaschine Baujahr 1963, die in ihrem Edelstahlglanz und mit ihrer spitzen Form an eine Mini-Rakete erinnert, werden die Bierflaschen einzeln befüllt.
„Funktioniert tadellos, aber leider viel zu langsam“, meint Brauereichef Marx. Leere Flasche reinstellen, einmal im Kreis fahren, gefüllte Bierflasche raus, Bügel zuschnappen, fertig. 40 Tragl schafft man in der Stunde. Wenn im Sommer die Nachfrage steigt, wird es eng. Deswegen will Marx die Abfüllerei im nächsten Jahr auslagern und gemeinsam mit andern bayerischen Kleinbrauern bei einem Brauereiausrüster in Traunstein erledigen lassen.
Dann hat er auch mehr Zeit für seine Braukurse, die er für Laien mittlerweile alle vierzehn Tage samstags abhält. Eigene Flaschen gibt es nicht. „Das Leergut kaufen wir einfach beim Großhändler“, sagt Marx. Der Montag ist gewöhnlich dem Flaschenputzen gewidmet. Fremdetiketten werden entfernt und eigene kommen drauf. Das Logo zeigt die auf dem Giesinger Berg thronende Heilig-Kreuz-Kirche. Jedes einzelne Blatt wird mit Kleister per Hand aufgeklebt. Ein grüner G-Sticker auf den Porzellanverschluss, und fertig ist die Giesinger Bierflasche.
Brauer in Usbekistan
Knifflig wird es nur bei den Kisten. „Wenn wir erfahren, dass eine Charge in dunkelblau ansteht, hängen wir uns einfach dran“, berichtet Marx und klebt hinterher sein Giesinger Markenzeichen drauf. Einen Monat Haltbarkeit gibt der Brauer seinem Bier. Das kann man zwar locker überziehen, aber die Jungs brauchen die Kisten zurück.
Weil in München außer dem Augustiner-Bräu keine Brauerei mehr in privatem Besitz ist, nennen sich die Giesinger stolz „zweitgrößte Privatbrauerei“. Vor fünf Jahren hatte sich Marx mit seinem Kompagnon Tobias Weber zusammengetan. Bei Freunden und Verwandten sammelten sie 120 000 Euro ein. „Alles privat finanziert“, sagt Marx und schiebt seine flache Mütze aus der Stirn. „Wir haben uns gebrauchte Geräte angeschafft.“
Angefangen haben die beiden Gründer mit 200 Litern in der Woche. Mittlerweile arbeiten in Giesing drei Lehrlinge. Weber bildet auch Brauer in Usbekistan aus. Und das Laboratorium produziert inzwischen rund 1000 Hektoliter Gerstensaft im Jahr. Eine Menge, die im Übrigen auf der Wiesn in zweieinhalb Stunden ausgetrunken wird.
Solange es mit der Belieferung vom Oktoberfest nicht klappt, steigt Marx eine Nummer kleiner ein. An die Besucher des historischen Weihnachtsmarktes in der Münchner Residenz wurde ein Weihnachtstrunk ausgeschenkt, ein Biermix mit Nelke, Zimt und Mandarinen. „Das ist unser brutales Aushängeschild“, sagt Marx.
(Hans-Peter Meier)
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