Leben in Bayern

Die neue City-Zone in Augsburg ist das Baby von Stadtwerkechef Walter Casazza – er hat sich das Modell in Graz abgeschaut. (Foto: Dominik Baur)

07.02.2020

Gratis Bus und Tram fahren

In Augsburg kommt man mit dem ÖPNV jetzt kostenlos durch die City – aber nicht alle in der Stadt wollen darin einen Meilenstein erkennen

Klimafreundliche Fahrzeuge, eine Flatrate für Tram, Bus, Auto und Fahrrad sowie eine kostenlose City-Zone: Augsburg lässt sich für seinen Nahverkehr einiges einfallen. Kann man von den Schwaben ÖPNV lernen? Mit Augsburgs Stadtwerkechef unterwegs in einer Stadt, die sich als Vorreiter für moderne Mobilität sieht.

Die Zeitenwende macht in Augsburg nur dezent auf sich aufmerksam. Hier und da flattert ein ausgedrucktes, in Folie gepacktes Din-A4-Blatt im Wind. Mit Kabelbindern ist es an einer der Säulen festgemacht, die die Überdachung der Haltestellen am Verkehrsknotenpunkt Königsplatz tragen. „Kostenlose City-Zone“ steht darauf. Mit ihr hat Augsburg seinen Bürgern und Besuchern zu Beginn des Jahres ein 860 000 Euro teures Geschenk gemacht und damit für Aufsehen gesorgt. Die Zone umfasst neun von 281 Haltestellen. Strecken von bis zu drei Stationen kann man nun im Innersten der Innenstadt umsonst mit Bus oder Tram zurücklegen – beispielsweise vom Hauptbahnhof bis zum Ulrichsplatz oder vom Theodor-Heuss-Platz bis zum Staatstheater. Ein Meilenstein auf dem Weg in die Zukunft des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)? Oder doch nur ein PR-Gag?

Vorführeffekt: Für das Carsharing-Auto findet sich kein Parkplatz

„Mit der City-Zone gehen wir einen wichtigen Schritt in Richtung Luftreinhaltung in Augsburg“, frohlockte zur Einführung Eva Weber. Den Parksuchverkehr werde man verringern, die Innenstadt für Besucher attraktiver machen und den Einzelhandel stärken. Muss sie ja sagen. Die CSU-Frau steht mitten im Wahlkampf, am 15. März will die derzeitige Zweite Bürgermeisterin Oberbürgermeisterin der Fuggerstadt werden.

Aber auch Walter Casazza lobt die neue Zone, spricht von einer „sympathischen Einladung an alle hartgesottenen Autofahrer, auch mal den öffentlichen Verkehr zu nutzen“. Auch für Touristen sei die City-Zone attraktiv, sie könnten nun vom Hauptbahnhof kostenlos in die Innenstadt fahren. Und viele Fahrgäste, die in die Innenstadt fahren, könnten nun die günstigere Kurzstrecke benutzen, weil sie die letzten ein, zwei Stationen ihrer Fahrt nicht mitzählen müssten. Gut, auch Casazza ist für ein neutrales Urteil eher ungeeignet. Schließlich ist er der Chef der Augsburger Stadtwerke, die City-Zone ist sein Baby. Die Idee hat er sich von den Grazern abgeschaut, die schon seit Jahren umsonst mit der Straßenbahn durch die Innenstadt fahren. Welchen Effekt die City-Zone tatsächlich habe, werde man erst nach einer Langzeitbeobachtung sagen können. „Aber natürlich habe ich die Hoffnung, dass die Fahrgastzahlen steigen“, sagt Casazza.

Doch jetzt sucht er erst mal einen Parkplatz. Casazza sitzt in einem BMW i3. Elektrisch und geräuschlos fährt er durch die Augsburger Innenstadt. „Hier gibt’s ja gar keine Parkplätze“, stellt er nüchtern fest. Klar, Vorführeffekt. „Sofort einsteigen, überall abstellen“, steht auf der Autotür. Aber natürlich will Casazza ohnehin nicht die Vorzüge des Autofahrens in der Stadt demonstrieren, sondern eine weitere Besonderheit in Augsburg vorführen. Denn hier haben die Stadtwerke ein eigenes Carsharing-Angebot aufgebaut. Und seit November bieten sie eine sogenannte Mobil-Flat an. Sie beinhaltet die Nutzung von Bus, Tram, Leihfahrrädern und Carsharing-Autos. „Dann fahren wir mal Richtung Rosenaustraße. Da können wir in die Linie drei steigen.“

Eine gewisse familiäre Vorbelastung in Sachen ÖPNV kann Casazza nicht von sich weisen. „Mein Vater war Straßenbahnfahrer“, Opa und Onkel seien bei der Eisenbahn gewesen. „Als kleiner Stöpsel durfte ich mal auf dem Schoß meines Vaters selber die Wendeschleife fahren. Mit Handkurbel. Das war natürlich das Größte. Und vielleicht hat es ja meinen weiteren Weg beeinflusst.“ Seit 2014 ist der 57-jährige Tiroler nun in Augsburg, davor hat er die Verkehrsbetriebe in Karlsruhe geleitet.

„Wir wollen die Menschen in der Stadt in die Lage versetzen, dass sie kein eigenes Auto brauchen“, sagt Casazza. „Und da ist eine Kombination aus Straßenbahn und Bus einerseits sowie Leihfahrrad und Carsharing andererseits eine gute Antwort.“ Das Rückgrat sei dabei aber immer der leistungsfähige ÖPNV. Eine autofreie Stadt werde zwar nicht möglich sein, weil es zu viele Pendler gebe, die nur ganz schwer öffentliche Verkehrsmittel nutzen könnten. „Aber ich möchte halt den Schieberegler in Richtung öffentlicher Verkehr bewegen. Viele werden nicht ganz aufs eigene Auto verzichten, aber vielleicht auf den Zweit- oder Drittwagen.“

In Sachen Mobil-Flat hatten die Stadtwerke dabei einen Startvorteil, da sie schon vor Jahren begonnen hatten, ein eigenes Carsharing zu entwickeln, ganz ohne Partner. Aktuell besteht die Flotte aus 200 Fahrzeugen, gegen Ende des Jahres sollen es 250 sein. 2500 Kunden nutzen das Angebot intensiv. „Jedes unserer Carsharing-Fahrzeuge ist am Tag durchschnittlich acht Stunden unterwegs“, erzählt Casazza. Außerdem stelle man den Kunden Leihbikes zur Verfügung. „Da war die Idee naheliegend, diese drei Produkte zu kombinieren, sodass man für jede seiner Fahrten das am besten geeignete Fortbewegungsmittel wählen kann, das Mini-Cooper-Cabrio zum Beispiel für den Ausflug an den Ammersee, das Fahrrad für die kleine Besorgung im eigenen Stadtteil und die Straßenbahn für den Weg zur Arbeit.“

Die Mobil-Flat gibt es in zwei Versionen: für 79 und 109 Euro, je nachdem, wie hoch das gebuchte Stunden- oder Kilometerkontingent ist. Dazu kommt dann die kostenfreie Nutzung des ÖPNV-Innenraums und der Leihräder, mit denen man beliebig viele Fahrten von bis zu 30 Minuten unternehmen kann. Im Laufe des Jahres sollen auch noch E-Bikes verliehen werden. Und immerhin: In drei Monaten haben sich bereits 300 Kunden für das All-inclusive-Angebot entschieden.
Es gibt aber noch mehr, worauf Casazza stolz ist. Zum Beispiel darauf, dass die Straßenbahn in den Hauptverkehrszeiten im Fünf-Minuten-Takt fährt. Oder auf die ökologische Flotte. Die Trambahnen fahren mit Ökostrom, die 90 Gelenkbusse immerhin mit klimaneutralem Biomethan. „Das ist schon etwas Herausragendes.“

Fünf-Minuten-Takt? Gab es früher auch schon – und zwar den ganzen Tag

So wie auch das kostenlose WLAN in allen Fahrzeugen und an den wichtigsten Haltestellen. „Mit der Flotte, der City-Zone und der Mobil-Flat sind wir sicherlich bundesweit noch einzigartig“, sagt Casazza. „Insofern sind wir schon Vorreiter.“

Von wegen, meint dagegen Jörg Schiffler vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Augsburg. In seinen Augen liegt beim ÖPNV in Augsburg doch einiges im Argen. So sieht Schiffler in der City-Zone in erster Linie das halbherzige Bemühen, ein bisschen den durch eine umstrittene Tarifreform aus dem Jahr 2018 verursachten Schaden wiedergutzumachen. Davor habe man im gesamten Innenstadtbereich und teilweise darüber hinaus zum halben Preis fahren können.

Auch dem Ausbau des Carsharings steht Schiffler skeptisch gegenüber. Er fürchtet, dass die Nutzung der Leihautos eher dazu führe, dass man aufs Fahrrad verzichtet. Trambahn im Fünf-Minuten-Takt findet zwar auch Schiffler gut, aber diesen Takt habe es ja früher auch schon gegeben – den ganzen Tag. Jetzt sei er auf die Hauptverkehrszeiten eingeschränkt worden. Außerdem gebe es sehr oft größere Verspätungen wegen hohen Verkehrsaufkommens. Dass eine Trambahn im Stau stecken bleibe, sei ein Unding und könnte durch entsprechende Sonderspuren und Ampelregelungen verhindert werden. Und eine emissionsfreie Busflotte sei zwar „schon okay“, wichtiger sei aber ein Ausbau des Straßenbahnnetzes, da die Tram deutlich ökologischer sei.
(Dominik Baur)

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