Auf dem kleinen Flughafen Schönberg im Chiemgau darf ohne Luftaufsicht kein Flugzeug landen. Das gilt für alle Sonder- und Verkehrsflugplätze in Deutschland. Die Vereinsmitglieder der Fliegergruppe Traunstein teilen sich deshalb den Flugleiterdienst an rund 40 Wochenenden pro Jahr. An diesem Tag ist Stephan Semmelmayr an der Reihe – die Staatszeitung hat ihn bei seiner Arbeit begleitet
„Irgendjemand kocht Kaffee / in der Luftaufsichtsbaracke“, heißt es in dem legendären Reinhard-Mey-Lieds. Eigentlich gibt es das Wort „Luftaufsichtsbaracke“ nicht, es ist eine Erfindung des Liedermachers Mey. „Aber es passt ganz gut“, sagt der Hobbypilot Stephan Semmelmayr, der an einem Samstagmorgen im Oktober seinen ehrenamtlichen Flugleiterdienst antritt und die Jalousien der „Baracke“ hochzieht. Das Tageslicht fällt auf einen Schreibtisch mit Funkgerät, Fernglas, Papieren und Monitoren. Auf der anderen Seite des kleinen Zimmers ist eine Eckbank, an der Wand hängen Bilder von Piloten, Flugzeugen, Hinweise zum Flugbetrieb und Luftaufnahmen des Platzes mit weiteren Hinweisen.
Semmelmayr ist eines von rund 40 Vereinsmitgliedern der Fliegergruppe Traunstein, die zumindest an den Wochenenden den Flugbetrieb auf dem vereinseigenen Flugplatz mit der internationalen Kennung „EDPK“ überwachen. Vor der ersten Tasse Kaffee muss der 52-Jährige, der als Chef des regionalen Tourismusverbands sein Gebiet von oben und unten gut kennt, jedoch einiges erledigen: Er muss sicherstellen, dass auf den Flugplatz mit den Koordinaten 48° 2’ 52’’ N 12° 30’ 2’’ N jederzeit, wenn auch nicht unangemeldet, ein Klein- oder Ultraleichtflugzeug einschwenken könnte. Denn Schönberg ist ein „PPR-Flughafen“: prior permission required – vorherige Erlaubnis erforderlich.
Rund 450 Meter ist die von hohem Mais gesäumte Landebahn, die zugleich auch Startbahn und Rollfeld ist, lang und 30 Meter breit. 450 Meter sind nicht besonders lang, gesteht Semmelmayr während der Kontrollfahrt über die Anlage. Umso wichtiger, dass keine Hindernisse oder Maulwurfshügel im Gras versteckt sind. Er kreist um die gelben Betonschilder mit der Aufschrift „1/2“. Sie sind ein wichtiger Hinweis für die Piloten: „Wenn du die Halbbahn-Markierungen erreichst und dir fehlen zehn Knoten, dann schaffst du es nicht mehr“, sagt der Traunsteiner, der seinen PPL-Schein, die Privatpilotenlizenz, mit 21 Jahren erworben hat. Sowohl Starten als auch Landen sind akribische Arbeit: Piloten müssen dabei die Höhe des Grases ebenso in die Berechnung einbeziehen wie Wind, Temperatur und sogar Meereshöhe. Alle Faktoren beeinflussen, wie viel Platz für das Manöver benötigt wird. Schönberg liegt auf etwa 500 Metern, das macht die Luft dünner, ebenso wie wärmere Temperaturen. Dann „trägt sie nicht mehr so gut“. Alles Parameter, die der Pilot im Blick haben muss. Stellt er beim Start- oder Landevorgang fest, dass er sich verrechnet hat oder die tatsächlichen nicht mit den berechneten Werten übereinstimmen, dann bleibt nur der Abbruch. „Sich einen Fehler einzugestehen und durchzustarten oder abzubrechen ist beim Fliegen keine Schande. Im Gegenteil“, sagt der Familienvater, „das kann dein Leben retten.“ Und das der Passagiere. Semmelmayr nimmt nur dann Passagiere in der vereinseigenen viersitzigen Cessna 182 mit, wenn er in den davorliegenden drei Monaten mindestens drei Stunden geflogen ist. Wenn er aus irgendwelchen privaten oder beruflichen Gründen aufgewühlt ist, fliegt er gar nicht. Das vertrage sich nicht gut, erklärt er.
Schon als Kind las er gerne Betriebsanleitungen
Zurück an der Halle schiebt er die großen Türen auf. Dahinter kommen – auf den ersten Blick unordentlich geparkt – einige Flugzeuge zum Vorschein. Weiße, rote, ein blaues. Insgesamt stehen in Schönberg 18 Klein- und Ultraleichtflugzeuge, größtenteils von privaten Eignern, sowie die rote Cessna 182 des Vereins. Kein „Spielzeug“, wie Semmelmayr findet, sondern ein anspruchsvolles Flugzeug, das schwer zu fliegen ist. Wer 130 Euro pro Flugstunde plus Nebenkosten investiert, kann damit einen Rundflug über den Chiemgau unternehmen oder einen Ausflug nach Venedig machen. Letzteres hat der Diplom-Kaufmann im vergangenen Jahr auch gemacht, mit drei Passagieren auf den braunen Ledersitzen.
Anspruchsvoll ist es hin und wieder auch, die Interessen aller Vereinsmitglieder unter einen Hut – oder vielmehr unter die Motorhaube der Cessna – zu bringen. Ein pensionierter Air-Berlin-Kapitän ist etwa darunter, ein Flugzeugmechaniker und ein Fluglehrer. Jeder hat einen anderen Zugang zur Fliegerei, jeder hat andere Ansprüche an die rot-weiße, über 40 Jahre alte Cessna. Wer Instrumentenflug beherrscht, hat einen anderen Blick als jemand, der sein Leben lang nur auf Sicht geflogen ist. Der frühere Flugkapitän möchte, dass die 230 PS volle Leistung bringen. Der Flugzeugmechaniker will den Motor lieber schonen. Wieder andere möchten, dass die Maschine aus Rücksicht auf die Umwelt möglichst leise eingestellt ist. „Das ist manchmal gar nicht so einfach“, berichtet Semmelmayr, der schon als Kind gerne Betriebsanleitungen gelesen hat. An dieser Technik-Begeisterung hat sich nichts geändert: „Ich nehme nie ein Gerät in Betrieb, ohne vorher die komplette Anleitung inklusive Sicherheitshinweisen gelesen zu haben.“ Auch für die Cessna 182 gibt es eine Bedienungsanleitung, die der gebürtige Freilassinger selbstredend von vorne bis hinten gelesen hat. Und eine voluminöse Checkliste. Sie gibt exakt vor, wo die Runde um das Flugzeug beginnt und an welchem Punkt der Pilot vor dem Start welche Punkte der Liste abarbeiten muss.
Selten meldet sich eine Frau im Funk: Pilotinnen sind rar
An diesem Samstag ist in Schönberg nicht viel los. Kein Flugzeug ist in Sicht, keines ist angemeldet. Nach morgendlichem Sonnenschein zieht es nun zu, die Sicht wird schlechter, für den Nachmittag ist Regen angekündigt. Semmelmayr schaut mit dem Fernglas in den Himmel, besucht die Cessna, sichtet die Flugbewegungen der letzten Tage und Wochen: „An schönen Sonntagen haben wir hier schon mal 30 Starts und Landungen. Die Piloten kündigen sich fünf oder zehn Minuten vor der Landung an. Wenn dann andere Flieger auf dem Rollfeld stehen, muss man als Flugleiter Kontakt aufnehmen und die Starts und Landungen koordinieren.“ Kommt es ganz dicke, muss der Flugleiter die im Anflug befindlichen Piloten in die Platzrunde schicken. Eher selten meldet sich eine Frau im Funk. Pilotinnen sind in der Hobbyfliegerei noch eine Seltenheit. Unter den 40 Flugleitern in Schönberg sind nur zwei Frauen. Eine davon fliegt selbst.
„Schönberg Info“ – diese Meldung kommt über Funk, wenn eine Maschine im Anflug ist. Darauf folgt die Rückmeldung des Flugleiters. Kommt keine, darf in Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern niemand landen. Nach der Antwort des Flugleiters gibt der Pilot das Kennzeichen der Maschine durch mit dem Zusatz „zur Landung“. Meist sind es Vereinsmitglieder oder Kunden, die eine der in Schönberg stationierten Maschinen gechartert haben. An der nostalgisch anmutenden Zapfsäule dürfen nur die Mitglieder tanken, Fremde landen auch deshalb eher selten. Bis auf einen Hobbyflieger, der in Waging am See eine Zweitwohnung hat und mit dem eigenen Flieger anreist, wenn er Urlaub macht. Er stellt das Flugzeug in Schönberg ab und steigt auf seine Vespa, die hinter der Halle geparkt ist. Wenn der Urlaub vorbei ist, fliegt er wieder heim.
Rund 15 bis 20 Flugstunden schafft Semmelmayr pro Jahr, und vier Flugleiterdienste wie an diesem ereignislosen Samstag. Kein Start, keine Landung: Das ist nach Angaben des Touristikers eher die Ausnahme. Als um die Mittagszeit der Regen einsetzt, schiebt er das Ultraleichtflugzeug wieder zurück in die Halle und die Tore zu. Ende der Dienstzeit eintragen, Garage zu, Jalousien runter, Licht aus in der Luftaufsichtsbaracke. „Ich wär’ gerne mitgeflogen“, heißt es am Ende des Reinhard-Mey-Liedes. Für diesen Wunsch gab es an diesem Tag in Schönberg keine Gelegenheit. „Aber so geht’s mir bei jedem Flieger, dem ich nachschaue“, sagt Hobbyflieger Semmelmayr und macht als letzte Amtshandlung auch die Schranke zu. Heute landet niemand mehr.
(Claudia König)
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