Seit fast 30 Jahren lebt die 64-jährige Deutsch-Afghanin in München und gründete 2003 mit anderen Frauen einen Verein, in dem sie sich für die Rechte afghanischer Frauen engagiert. „Sehr traurig“ sei sie seit der Machtübernahme der Taliban, erzählt sie. Und auch in großer Sorge um die Menschen vor Ort. Sie klagt: „Meine Schwestern leben in totaler Angst. Die Wohnung ist ihr Gefängnis.“
Sehr müde sei sie, sagt Mahbuba Maqsoodi. Und sehr traurig. Seit die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben, findet die 64-jährige Künstlerin kaum noch Ruhe. In ihrem Atelier im Münchner Norden arbeitet sie oft bis tief in die Nacht. Aber jetzt ist es die Sorge um das Schicksal ihrer Verwandten und Freunde, ihrer Landsleute und um ihre Heimat, die sie um den Schlaf bringt.
Von München aus will sie helfen, irgendwie. Wenigstens Zustandsbeschreibungen einholen. Per Telefon, SMS oder Whatsapp. Mit Medien sprechen und zur Stimme derer werden, die gerade um ihr Leben fürchten.
Seit Jahrzehnten setzt sich die Künstlerin für afghanische Frauen ein. 2003 hat sie den Verein der „Afghanische Frauen in München AFM“ gegründet, der erste Verein von Frauen mit Migrationshintergrund im Dachverband des Stadtbunds Münchner Frauenverbände. Der gut vernetzte Verein verfolgt das Ziel, „eine internationale Gesinnung, Toleranz und Völkerverständigung“ zu fördern und strebt die Gleichberechtigung von Mann und Frau an. Die Afghaninnen sollen sich ihres eigenen Wertes bewusst werden, darum fördert der Verein Kontakte, berät und vermittelt Sprachkurse für Frauen, unterstützt bei Problemen mit politischem Asyl und ermuntert, Bildungsangebote zu nutzen: Aber auch Männer will der Verein um Maqsoodi integrieren.
Maqsoodi hat große Angst um die beiden Schwestern
Jetzt versucht sie, ein Informationsnetzwerk zu spannen, das von Afghanistan in die Welt reicht. Doch das Kommunizieren ist schwierig, weil die Furcht vor den Taliban wächst. Was, wenn die Handys gecheckt werden? Und die verzweifelten Nachrichten ans Licht kommen? Die Afghaninnen, die Maqsoodi kennt, trauen sich kaum noch auf die Straße. Eine ihrer Schwestern lebt mit Familie in Kabul. Die andere, eine Lehrerin, in Maqsoodis Geburtsort Herat. Zwei moderne Frauen, die um ihr Leben fürchten müssen. „Meine Schwestern leben in totaler Angst. Die Wohnung ist ihr Gefängnis“, sagt Mahbuba Maqsoodi. „Alle sind psychisch fertig.“
Ganz in schwarz gekleidet sitzt sie auf dem Bürostuhl in ihrem Atelier, aber die Flip-Flops an ihren Füßen sind pink und die Bilder, die an den Wänden lehnen oder hängen, strahlen bunt und kräftig. Gerne arbeitet sie mit dem Medium Glas. Denn das sei so lebendig wie das Leben: Je nach Lichteinfall leuchten die Farben anders. Für das älteste Kloster Deutschlands im saarländischen Tholey hat Maqsoodi 29 Künstlerfenster erschaffen. Drei Jahre arbeitete sie an ihren Werken für das katholische Benediktinerkloster. Höllensturz heißt eines der Glasgemälde, das erzählt, wie das Böse in die Welt kommt. Ein religiöses Motiv – und doch wahr jenseits jeder Religion.
„Ich bin eine, die alles in Farbe sieht“, sagt Maqsoodi. Sie sagt auch, dass sie immer voll Hoffnung sei. Aber auch ihr fällt das Hoffen gerade schwer. Denn die Taliban geben sich zwar gemäßigt. Gut möglich, dass es sich um eine heterogene Gruppe handelt, in der nicht jeder das Gleiche will. So wie Afghanistan selbst kein homogenes Land sei, sondern eines der „Tausend Dörfer“, wie sie sagt. Aber Maqsoodi hat schon zu viel Gewalt und Unterdrückung gesehen, um deren Worten zu trauen. „Sie versprechen Amnestie für alle. Amnestie? Wofür?“ Maqsoodi lacht bitter. Als ob Dolmetschen ein Verbrechen sei! Und: Sie wollen die Scharia umsetzen. „Wenn sie das so extrem tun wie vor 20 Jahren, passt das einfach nicht ins 21. Jahrhundert!“
Die wechselhafte Geschichte ihres Landes hat auch Maqsoodis Biografie tief geprägt. Sie wuchs als eine von sieben Töchtern in einem Dorf bei Herat auf. Ihre Mutter, eine Analphabetin, wurde mit ihrem Vater verheiratet, als sie 14 war. Der Vater war ein Lehrer und Muslim, dessen Leben die fünf Säulen des Islam prägten: das öffentliche Glaubensbekenntnis, das tägliche Gebet, die Almosenspende, das Fasten und die Pilgerfahrt nach Mekka. Er war aber auch ein Mann mit Haltung. Nie erhob er die Stimme oder Hand gegen Frau und Kinder. Maqsoodi beschreibt ihn als einen gläubigen, aber innerlich freien Menschen. „Es interessiert mich nicht, was die anderen sagen“, sagte er. Sogar eine Mädchenschule gründete er in dem Dorf. Und bestand darauf, dass seine Töchter studierten, bevor sie heirateten.
Mahbuba Maqsoodi hat Erinnerungen an Gärten voller Obstbäume und Früchte, deren Duft und Geschmack sich für immer einprägten. Sie weiß, dass sie einer glücklichen Minderheit angehörte. Alles war friedlich, ihre Kindheit „ruhig, schön und klar“, schreibt sie in ihrem Buch Der Tropfen weiß nichts vom Meer. Eine Geschichte von Liebe, Kraft und Freiheit. Auch wenn sie schon als Siebenjährige bemerkt, dass eine Verwandte von ihrem Mann geschlagen wird. Die Fixierung auf das Thema Jungfräulichkeit fällt ihr auf. Und dass sich im Bus die Frauen hinter einer Kette drängen, obwohl bei den Männern noch Platz war. Aber im Haus ihrer Kindheit gibt es Fenster aus Buntglas und bei Sonnenlicht ist es, „als zögen sich farbige Bahnen durch unser Zimmer.“
Alles ändert sich mit der Ermordung ihrer geliebten Schwester Afifa, die als Direktorin eines Mädchengymnasiums arbeitete. Ein paar Monate vor dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan, in den unruhigen Jahre nach dem Putsch, erschießt ein Mudschahid Afifa vor ihrer Schule. 42 Jahre ist das her. Von da an, sagt sie, war nichts mehr normal. Die Brutalität der Mudschahidin, die sie Terroristen nennt, raubte ihr das Paradies.
Ihre Sorge: „Und dann wird alles wie vor 20 Jahren“
Das Land versinkt im Bürgerkrieg. Aber Maqsoodi und ihr späterer Mann, ebenfalls Künstler, erhalten Auslandsstipendien. Sie studieren, bekommen zwei Söhne und promovieren. Dann endet die Aufenthaltserlaubnis in Russland. 1992 kommen in Afghanistan die Mudschahidin an die Macht. Für die Familie gibt es kein Zurück. Sie flieht und landet schließlich über Umwegen in München. Maqsoodi lernt, „Grüß Gott“ zu sagen. „Verliebt in alles Neue, alles Frische“ ist sie, wie es in ihrem Buch heißt, trotz aller Schwierigkeiten. Künstlerin sein und Geflüchtete: Das macht ihr Leben nicht leicht. Aber sie findet sich ein in der neuen Welt und baut sich ein Leben als Mutter und international anerkannte Künstlerin auf. „Integration ist Arbeit von beiden Seiten“, sagt sie. Afghanistan sieht sie nicht wieder.
Aber die Ungleichbehandlung der afghanischen Frauen, die sie schon in ihrer Kindheit beobachtet hat, bleibt ihr Thema. Viele ehrenamtliche Stunden fließen seit Jahren in die Vereinsarbeit, von 2015 an wurde das Beratungsangebot verdoppelt. Und Maqsoodi rechnet damit, dass die Arbeitsbelastung weiter steigt. Afghanische Frauen werden kommen, deren Leben in Gefahr ist. Menschenleben zu retten sei im Moment das Wichtigste, sagt sie. Aber das eigentliche Ziel könne nicht sein, sämtliche Afghaninnen und Afghanen aus ihrem Land zu holen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen dort eine gewisse Freiheit behalten.“ Sie verweist auf Indonesien und andere islamische Länder, in denen die Scharia weniger extrem ausgelegt wird. Und drängt darauf, die Koranschulen zu bekämpfen, in denen Kinder zu Kämpfern werden. „Man darf nicht nur Symptome behandeln, man muss auch den Ursachen auf den Grund gehen“, sagt sie. „Saudi-Arabien, Quatar, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Golfstaaten haben Geld und Ideologie geliefert. Und dass die Taliban seit 40 Jahren in Koranschulen in Pakistan und inzwischen auch in Afghanistan ausgebildet werden, ist eine Katastrophe.“
Maqsoodi geht zur Wand unter den Fenstern, hier steht ein Bild hinter dem anderen. Sie zieht ein Gemälde hervor, auf dem mächtige goldene Skelette über eine menschliche Hölle glutroter Gestalten jagen. Es ist das Bild einer unfassbaren, mörderischen Verzweiflung. „Der Tod rettet das Leben“, sagt sie nicht ohne Zynismus. „Weil es manchmal besser ist, tot als in der Hölle zu sein.“
Noch am selben Abend des Gesprächs bittet Maqsoodi um einen Rückruf. Eine wichtige Nachricht aus Herat sei eingetroffen. Vertreter der Taliban, hieß es, hätten eine Versammlung mit Beschäftigten der Universitäten abgehalten. Die Frauen könnten weiter studieren, so die Ansage der Taliban. Allerdings unter der Bedingung, dass Männer und Frauen an der Uni in verschiedenen Räumen unterrichten. Für die Uni sei das praktisch unmöglich, erklärt Maqsoodi, es fehle das Geld, es fehlten die Räume, es fehlten die Fachkräfte. „Die Studenten werden ohne Pädagoginnen sein, die Pädagoginnen arbeitslos“, sagt sie. „Das sind die ersten Schritte. So kommt das langsam in (Monika Goetsch)
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