Leben in Bayern

Blick auf das zerstörte Hofbräuhaus in München nach dem Krieg: Viele Münchner mussten hungern. (Foto: dpa)

05.05.2015

Hunger nach dem Krieg: Städter betteln

Kriegsende in Bayern: Wer ein eigenes Feld und eigene Tiere hatte, musste keinen Hunger leiden. In den Städten aber herrschte Not

Ein halber Löffel Zucker, ein fingernagelgroßes Stück Fett, ein Bissen Fleisch, zwei Kartoffeln, eine Prise Kaffeeersatz und ein Schluck Magermilch - das war die Tagesration Lebensmittel, die einem Erwachsenen im Nachkriegsjahr 1946 in München zugewiesen wurde. Die Menschen in den Städten litten Hunger, wie man sich angesichts der kargen Ration gut vorstellen kann. "In den Städten wurde Hunger zur Zentralerfahrung der Nachkriegszeit", sagt Thomas Schlemmer, Historiker am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München.
Glücklich konnte sich dagegen schätzen, wer auf dem Land lebte. Nicht nur, dass die Bevölkerungen von den Zerstörungen durch die Bombenangriffe weitgehend verschont worden war. Auch der Hunger blieb den Landbewohnern zumeist erspart, weil sie ihre Felder bestellen konnten, Kühe im Stall stehen hatten und im Wald ausreichend Brennholz fanden. Und Bayern war am Ende des Zweiten Weltkriegs eine überwiegend landwirtschaftlich geprägte Region mit einigen wenigen städtisch-industriellen Zentren.  
Diese Agrarstruktur sei sicherlich von Vorteil gewesen, sagt Ferdinand Kramer, Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Andererseits habe Bayern deshalb auch Lebensmittel in andere Besatzungszonen abgeben müssen -um dafür beispielsweise Kohle aus dem Ruhrgebiet zu bekommen. Um den Menschen in den Städten zu helfen, habe es beispielsweise Appelle der Kirchen gegeben, damit die Landwirte Lebensmittel für die Stadtbewohner zur Verfügung stellten.

Hamsterfahrten haben sich bei vielen Zeitzeugen tief ins Gedächtnis gegraben

Im Gedächtnis vieler Zeitzeugen haben sich die Hamsterfahrten in der Nachkriegszeit eingegraben: Die Städter bettelten draußen auf dem Land um Lebensmittel oder machten Tauschgeschäfte. Die Wünsche waren damals durchaus bescheiden. Um "ein Löffelchen Schmalz" hätten die Menschen aus dem etwa 25 Kilometer entfernten Bayreuth gebeten, wenn sie mit Fahrrädern oder auch zu Fuß in die Fränkische Schweiz gekommen seien, erinnert sich eine heute 89 Jahre alte Zeitzeugin aus dem Landkreis Bayreuth.
Insgesamt habe durch diese Zeit die Landwirtschaft in Bayern einen großen Rückhalt erfahren, der lange nachwirkte, sagt Kramer. Den Menschen sei bewusstgeworden: Selbst wer nur eine kleine Fläche hat, kann darauf zumindest für den Eigenbedarf anbauen und hungert nicht.  
Besonders schlecht war die Versorgungslage im "Hungerwinter" 1946/47. Ernteausfälle und eine große Kälte machten der Bevölkerung zu schaffen. Doch als sich dann nach der Währungsreform das Wirtschaftswunder ankündigte, waren die Jahre des Hungerns und Frierens auch in den Städten überwunden.
Bis Bayern allerdings zum prosperierenden Staat wurde, sollten noch viele Jahre vergehen. "Die wirtschaftliche Schwäche konnte Bayern erst in den 1960er und 1970er Jahren abstreifen", sagt Historiker Schlemmer. "Probleme gab es vor allem in den Bereichen Energieversorgung, Verkehr und Bildung." Die Menschen im Freistaat hätten noch vergleichsweise lange in bescheidenen Verhältnissen leben müssen, betont Kramer.  

Viele sind aus Bayern weggegangen: ins Ruhrgebiet und auch in die USA

Wegen der fehlenden wirtschaftlichen Perspektive seien Menschen auch ins Ruhrgebiet oder in die USA ausgewandert. Die Wende sei in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre eingetreten. Die Arbeitslosigkeit habe deutlich abgenommen. "Seit Ende der 1950er Jahre wuchs die bayerische Wirtschaft stärker als der Bundesschnitt."
Ein Grundpfeiler für diese Entwicklung wurde bereits während des Krieges gesetzt: Weil Bayern länger als andere Regionen des Reiches von Bombenangriffen verschont geblieben war, wurden viele Rüstungsunternehmen hierher verlagert. Zwar wurden auch diese schließlich von den Alliierten bombardiert, später gab es auch Demontagen der Besatzer - unter dem Strich hatte Bayern aber eine größere industrielle Kapazität als vor dem Krieg. "Insgesamt war die Situation nicht so desaströs, wie es manchmal pauschal dargestellt wird", sagt Kramer. Man habe an die Rüstungsindustrie anknüpfen und sie für zivile Produktion umnutzen können.  
Und als sich nach dem Krieg eine neue politische Ordnung in Deutschland herausschälte, profitierte Bayern erneut von Verlagerungen: Große Unternehmen hätten sich entschlossen, ihren Sitz und ihre Produktionsstätten aus Mittel- und Ostdeutschland nach Bayern zu verlegen, erläutert Schlemmer: "Die Amerikaner waren den Unternehmern und Managern weitaus sympathischer als die Rote Armee. Audi beispielsweise kam aus Sachsen nach Ingolstadt - noch unter dem Namen Auto Union." (Kathrin Zeilmann, dpa)

Kommentare (1)

  1. Tooze am 31.01.2017
    Ich empfehle dem Verfasser einen Besuch der Bayerischen Hauptstadt. Das Bild zeigt das Alte und Neue Rathaus und nicht das Hofbräuhaus.
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