Ist Hanftee – obwohl THC-frei und EU-zertifiziert – eine Droge? Die Staatsanwaltschaft München ist davon überzeugt. Tatsächlich sind die Nebenwirkungen von sogenannten CBD-Produkten noch weitgehend unerforscht. Auch weil das Thema so polarisiert, wie eine LMU-Forscherin erklärt. Hanfladenbetreiber Wenzel Cerveny will die Sache jetzt vor Gericht ausfechten.
Auf diesen Prozess freut sich Wenzel Cerveny, das merkt man ihm an. Und das ist auf den ersten Blick keine Selbstverständlichkeit, denn was die Münchner Staatsanwaltschaft dem 59-Jährigen vorwirft, hat es in sich: gewerbsmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln in 36 Fällen. „Ich komm mir vor wie der Pablo Escobar von Bayern“, sagt Cerveny.
Leicht will er es dem Gericht jedenfalls nicht machen, falls es die Anklage zulässt. Mit drei Anwälten werde er anrücken. Dann werde er erst einmal eine 140 Seiten lange Richtervorlage vorlesen. Und Daniela Ludwig, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, soll als Zeugin kommen. Cerveny will, dass diese Sache ausgefochten wird, ein für alle Mal.
Über das, was Cerveny tatsächlich gemacht hat, herrscht dabei noch nicht einmal Uneinigkeit. Er hat – für Betreiber von Hanfläden nicht untypisch – Hanfprodukte verkauft: Tees, Öle, Kekse, auch Kleidung, alles Mögliche. Und alles legal. Er handele nur mit THC-freien Produkten, sagt Cerveny. THC, also Tetrahydrocannabinol, ist der Stoff, dem Marihuana seine berauschende Wirkung zu verdanken hat. Bei Nutzhanfsorten ist er weitgehend weggezüchtet.
2018 kandidierte der FDPler für den Landtag
Cerveny ist einer, dem es ums Prinzip geht, mehr als ums Cannabis. Gekifft hat er noch nie. Für die Legalisierung von Cannabis gekämpft dagegen sehr wohl. Vor allem von dessen medizinischem Nutzen ist er überzeugt. Sein Traum: ein Cannabis-Therapiezentrum. Vor drei Jahren hat er schon mal eine Crowdinvestment-Aktion dafür gestartet. Am Ende kam nicht genug Geld zusammen. Stattdessen eröffnete er seinen ersten Laden in München, wollte dort zumindest auch eine Anlaufstelle für Patienten bieten, beraten. Über der Theke hängt ein Bildschirm. Ein Beitrag von „Leschs Kosmos“ über Cannabis als Heilmittel läuft in Dauerschleife.
Anfangs lief es nicht so gut. Die Kundschaft kam spärlich, der frühere Gastwirt lebte von seinen Ersparnissen. Doch im Lauf des Jahres 2018 zog das Geschäft an, der Umsatz verfünffachte sich. Einen Werbeeffekt brachte auch Cervenys Landtagskandidatur für die FDP. Mittlerweile hat Cerveny unter der Marke „Hanf – der etwas andere Bioladen“ elf Geschäfte mit 20 Angestellten. In Kanada soll die Firma im Frühjahr sogar an die Börse gehen.
Cervenys besonderer Stolz und Verkaufsschlager ist das CBD-Öl. Eine spezielle Produktion für seinen Laden. Alte ungarische Sorte, in Tschechien angebaut. Natürlich EU-zertifiziert. Die Kundschaft schwört darauf. Die kleinen Fläschchen machen einen Großteil des Umsatzes aus.
Seinen Kunden drückt der Händler gern einen Prospekt in die Hand, der über die heilsame Wirkung von Cannabis aufklären soll. CBD, heißt es darin, helfe gegen Parkinson, Krebs und Rheuma sowie gegen Schlafproblemen, Migräne und Akne. Es stimuliere den Appetit und helfe beim Abnehmen. Und das ist nur eine kleine Auswahl aus der Liste. Nur Haarausfall fehlt in der Aufzählung.
Eine gewisse Wirkung sprechen auch Fachleute dem Cannabinoid nicht ab. „Von Menschen, die CBD nutzen, höre ich auf jeden Fall, dass es positive Wirkungen hat“, erzählt etwa Privatdozentin Eva Hoch. Die Psychologin leitet am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München die Cannabis-Forschung. „Es soll beispielsweise angstlösend und antipsychotisch wirken. Zum Teil sind die Effekte auch pharmakologisch belegt.“ Es gebe auch in-vitro- und tierexperimentelle Studien, die auf mögliche Effekte bei Krebserkrankungen hinwiesen.
Allerdings gebe es auch Nebenwirkungen, die bei sehr hohen Dosen sogar bis zu Embryo- oder Organschädigungen gehen könnten. Das Feld sei aber noch sehr schlecht erforscht, so gebe es gar keine Langzeitstudien. In jedem Fall sei Hanf eine Pflanze mit sehr vielfältigen Effekten, die gründlich erforscht gehörten. „Aber das Thema polarisiert halt immer noch sehr stark, was der Forschung nicht unbedingt förderlich ist.“
Wenzel Cerveny bekam diese Polarisierung am 11. April 2019 zu spüren, da stand plötzlich die Polizei bei ihm im Laden. Mehr als 180 Polizeibeamte und elf Staatsanwälte seien an der Razzia gegen eine Handvoll Händler beteiligt gewesen, ließ die Staatsanwaltschaft hinterher verlauten, überwiegend in München und Umgebung. Ware für knapp 250 000 Euro Verkaufswert hätten die Polizisten beschlagnahmt, erzählt Cerveny. Nichts davon hat er je wiedergesehen. Stattdessen kam anderthalb Jahre später die Anklage. „Als sie den Tee hier im Laden eingepackt haben, haben sie ins Protokoll geschrieben: 25 Packungen à 150 Gramm Marihuana. Die hantieren bewusst mit falschen Begriffen, obwohl sie wissen, dass das keine Droge ist.“
In der Tat scheint es für die Staatsanwaltschaft nicht darauf anzukommen, ob Betäubungsmittel tatsächlich betäuben können. „Für uns spielt lediglich eine Rolle, ob und wie Produkte vom Betäubungsmittelgesetz erfasst sind oder nicht“, so Oberstaatsanwältin Anne Leiding auf Nachfrage. Wer die Produkte vertreibt, scheint dagegen für die Ermittler schon eine Rolle zu spielen. Die vermeintlich gefährlichen Produkte finden sich auch in den Sortimenten von Supermärkten und Drogerien. Dort nehmen die Staatsanwälte offenbar keinen Anstoß.
Knackpunkt: zweideutige Formulierung im Gesetz
Bei ihren Vorwürfen gegen die Hanfläden beruft sich die Staatsanwaltschaft auf denselben Passus des Betäubungsmittelgesetzes, aus dem auch Cerveny sein Recht ableitet, mit Hanfprodukten zu handeln. Der steht in der Anlage I des Gesetzes und besagt, dass Hanfprodukte „verkehrsfähig“ sind, wenn sie aus EU-zertifiziertem Saatgut stammten „oder ihr Gehalt an Tetrahydrocannabinol 0,2 Prozent nicht übersteigt und der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen“. Eine zweideutige Formulierung. Sie kann bedeuten, dass der Verkehr in jedem Fall nur gewerblichen und wissenschaftlichen Zwecken dienen darf, die Ware also grundsätzlich nicht an Endverbraucher verkauft werden darf. Sie kann aber auch bedeuten, dass diese Einschränkung nur bei Ware ohne EU-Zertifikat gilt.
Dass Gesetze so unklar formuliert werden, ist nichts Neues, sagt der Bremer Rechtswissenschaftler Lorenz Böllinger. Zumindest könne Cerveny deshalb aber mit einem „Verbotsirrtum“ argumentieren, sich darauf berufen, er sei von der Rechtsmäßigkeit seiner Handlung ausgegangen. Er selbst würde die Passage aber ohnehin so auslegen, dass EU-zertifizierte Ware auch an den Endverbraucher verkauft werden darf, so der emeritierte Strafrechtsprofessor. „Eine teleologische Auslegung nennen wir Juristen das. Eine solche Auslegung orientiert sich an Sinn und Zweck der Vorschrift unter heutigen Bedingungen.“ Eine besondere Bedeutung dürfte auch einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November zukommen. Demnach dürfen CBD-Produkte nicht als Suchtstoff angesehen werden, ein Vermarktungsverbot darf nur erlassen werden, wenn die Gefahr für die öffentliche Gesundheit nicht auf rein hypothetischen Erwägungen beruht.
Wie gefährlich also sind Hanftee und Co. wirklich? Expertin Hoch ist vorsichtig. Zu heikel das Thema. Bisher, sagt sie, sei jedenfalls nicht beobachtet worden, dass bei CBD-Produkten mit einem THC-Gehalt unterhalb des Grenzwerts von 0,2 Prozent ein berauschender Effekt eingetreten wäre. Sie verweist auf ihren Kollegen Tom Freeman von der Universität Bath. Der kam in einer Studie zu dem Ergebnis, dass bei unregelmäßigem Konsum bereits eine Dosis von fünf Milligramm THC eine geringe berauschende Wirkung haben könne. Theoretisch ließe diese sich auch mit Produkten erzielen, deren THC-Anteil in der Nähe des Grenzwerts liegt. Allerdings, so Freeman, bräuchte man davon sehr viel, und es würde sehr teuer. Oder wie es die Sendung Quer des Bayerischen Rundfunks jüngst vorrechnete: Man kaufe sich Hanftee für 150 Euro und eine Extraktionsanlage für 75 000 Euro, und schon lasse sich damit ein Fünf-Euro-Joint fabrizieren. Geht doch.
(Dominik Baur)
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