Leben in Bayern

15 Quadratmeter groß ist die Krippenlandschaft im Haus von Albin Artmann. Seine ältesten Figuren sind von 1840. (Foto: Traub)

15.12.2023

Weihnachten mit dem Brunnenwastl

Der Krippenweg im oberfränkischen Marktredwitz führt nicht nur in Museen, sondern in Privathäuser – und gehört zum immateriellen Kulturerbe

Im Jahr 1223 kam der heilige Franziskus in der zwischen Assisi und Rom gelegenen Einsiedelei Greccio auf eine wegweisende Idee. Er ließ das Weihnachtsfest auf eine neue Art feiern, indem er das Geschehen von lebenden Personen nachspielen ließ. Die Krippe war geboren, vor nun 800 Jahren. In Deutschland erfreuen sich seit einiger Zeit Krippenwege immer größerer Beliebtheit. In Marktredwitz, einem Städtchen am Rande des Fichtelgebirges, wartet auf Krippenfreunde eine Besonderheit. Der dortige Krippenweg mit meist über 20 Stationen lädt nicht vorrangig in Kirchen und Museen, sondern in Privathäuser.

Das sogenannte Krippenschauen hat eine lange Tradition und eine verbindende, soziale Bedeutung, die sich nicht nur an Einheimische richtet. Seit 2021 steht die Marktredwitzer Krippenkultur sogar auf der Liste des Immateriellen Erbes in Deutschland. Volker Dittmar, der Leiter des Egerland-Museums in Marktredwitz, hofft nicht nur auf überregionales Interesse. „Auch die Bevölkerung weiß nun um die Bedeutung der Krippenkultur und nimmt sie als wertvoller wahr.“
Denn natürlich gibt es auch unter den Kripperern, wie man die Krippenfreund*innen in Marktredwitz nennt, Fachkräftemangel oder anders ausgedrückt Nachwuchsprobleme. „Früher gehörte eine Krippe in jeden Haushalt, vor allem um das Jahr 1900“, sagt Dittmar. Aber das Aufstellen der teilweise riesigen Krippenlandschaften sei eine Arbeit, die viele nicht mehr leisten könnten oder möchten.

Mit einem Geschenk vom Opa fing es an

Einer, der sich gerne ans Werk macht, ist Albin Artmann. Der Weg durch sein Haus führt vorbei an kleinen Krippen in die Kellerräume, wo sich das Highlight ausbreitet: eine 15 Quadratmeter große Landschaft, in der es jede Menge zu sehen gibt. Die Kulisse ist wie bei den meisten Marktredwitzer Krippen alpenländisch geprägt, im Hintergrund ragen Berge auf. „Man hat sich diese Sehnsuchtsregion inklusive vieler Klischees ins eigene Heim geholt“, erklärt Volker Dittmar diesen Trend aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Krippenkultur in Marktredwitz entstanden ist.

„Bei mir gibt es immerhin einen Brunnenwastl aus dem Fichtelgebirge“, sagt Albin Artmann. Seine ältesten Figuren sind von 1840. Alles begann mit der Krippe, die ihm sein Opa geschenkt hat. Der gelernte Schlosser kaufte Figuren und Requisiten hinzu. So wuchs seine Krippe immer weiter. „Im Moment habe ich etwa 140 Kühe in der Landschaft verteilt.“ Und Figuren? „Die zähle ich schon nicht mehr, es sind so viele.“ Auch für die Spezialeffekte sorgt Artmann selber. Hier dreht sich ein Karussell, dort kommt Rauch aus einem Schlot und vor der Krippe, die am Rand der Landschaft ein wenig versteckt liegt, lodert ein Feuer.

In den vielen einzelnen Szenen, die charakteristisch sind für die Marktredwitzer Krippen und die die Krippenfreund*innen Jahr für Jahr stets anders arrangieren, werden Geschichten erzählt, die typischen Stickla. Der „Schwitzerte“, der sich den Schweiß mit einem Tuch von der Stirn wischt, taucht in den meisten Krippen auf, genauso wie Metzger und Schuster, Schmied und Schornsteinfeger, die immer was zu tun haben. Bauern säen und ernten. Ihre Produkte werden in schönster Buntheit auf Marktplätzen feilgeboten. Man sieht Menschen im Biergarten, die mit Maßkrügen anstoßen, andere nehmen lieber ein Sonnenbad an einem Bach. Damit alles natürlich wirkt, sind die Szenarien mit Baumrinde, Moos, Steinen und Wurzeln dekoriert. Die Grundlage wird aus Styropor geformt.

In der Krippe der Familie Flügel trifft man einen Landschaftsmaler bei der Arbeit an. In der Nähe wird ein Strafzettel wegen unerlaubten Holzsammelns erteilt. Die Tochter des Hauses erzählt lachend, „vor lauter Figuren haben wir beim Aufbau schon mal das Jesuskind vergessen“. Auch in der Krippe der Familie Geyer, bei deren Aufbau vier Generationen mithelfen, steht Jesu Geburt nicht im Zentrum. Wichtiger ist dagegen der Kammerwagen, ein typisches Element der Marktredwitzer Krippen. „Mit dem Wagen bringt der Bräutigam die Möbel der Braut ins gemeinsame Heim“, erklärt Frau Geyer. Und der hat ganz schön geladen.

Den Ursprung kennen selbst die Fachleute nicht7

Die Tochter weist auf das Einhorn hin, das die Krippenszene beobachtet. „Das finden Sie nur bei uns.“ Wieso ein Einhorn? Da schütteln die Damen den Kopf, das könne man beim besten Willen nicht herausfinden. Auf einmal sei es da gewesen – wie im Märchen.

Eine Kultfigur scheint ein freundlich daherkommender älterer Herr in Jägermontur und mit Rauschebart zu sein, der bayerische Prinzregent Luitpold. „Der war im 19. Jahrhundert im Volk aufgrund seiner Nahbarkeit beliebter als die Ludwigs“, informiert Volker Dittmar. Kaum eine Krippe komme ohne ihn aus.

Trotz Alpenkulisse mit Bergsteigern, Menschen in oberbayerischer Tracht und Schuhplattlern sind auch viele Marktredwitzer Originale in den Krippen zu finden. „Der Schwitzerte ist zum Beispiel die Karikatur eines hiesigen Industriellen“, weiß der Museumsleiter. Für die mit 60 Quadratmeter größte Krippe wäre ein Personenregister keine schlechte Idee. Nicht weniger als 500 Figuren – und 50 Gebäude – hat Renate Dick im Schuppen hinter ihrem Haus versammelt. Sie lässt sie das Jahr über stehen. „Ich bin zu alt, um alles wieder ab- und aufzubauen.“

Spätestens angesichts dieses dreidimensionalen Wimmelbilds fragt man sich, wie diese Tradition entstanden ist. „Zu uns kamen die Krippen wahrscheinlich mit katholischen Söldnern zu Maria Theresias Zeiten“, glaubt die alte Dame. Man muss wissen, dass Marktredwitz seit dem 16. Jahrhundert evangelisch geprägt war, also keine Krippenkultur kannte. Es gibt auch andere Vermutungen. Vielleicht gehen die Marktredwitzer Krippen auf Einflüsse aus den katholischen Nachbarregionen Oberpfalz und Egerland zurück. Oder waren es katholische Emigranten, die Krippen sozusagen einführten? Oder der Handelsweg von Nürnberg nach Prag?

Es bleibe unklar, weil schriftliche Aufzeichnungen weitgehend fehlten, führt Dittmar aus. „Von einer Marktredwitzer Krippenkultur kann man ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sprechen, als es für die Arbeiter in der im Niedergang befindlichen Porzellanindustrie immer wichtiger wurde, einen Nebenerwerb zu haben.“ Sie fingen an, Krippenfiguren aus Ton herzustellen. Zahlreiche Exemplare aus jener Zeit gehören weiterhin zum „Personal“ der Krippen.

Das Töpferhandwerk in Marktredwitz ist zwar längst ausgestorben, doch der ein oder andere Kripperer modelliert und brennt noch selber. Albin Artmann besitzt sogar Originalformen aus dem 19. Jahrhundert und einen Brennofen. Der engagierte Kripperer hilft auch im Museum, wenn es darum geht, eine neue Krippe aufzubauen. Eine neu gestaltete Abteilung widmet sich dort den Landschaftskrippen und beleuchtet sie kulturhistorisch.

Das neueste Projekt: eine virtuelle Krippenlandschaft 

Seit Neuestem gibt es eine Krippenlandschaft in 3D, durch die man mit einer VR-Brille spazieren kann. 20 Krippen hat man für dieses Projekt, das neue Freundeskreise erschließen möchte, digitalisiert. In der Brunnenkrippe vor dem Rathaus zeigt derweil das einvernehmliche Beisammensein des evangelischen Pfarrers mit dem katholischen, dass in den Marktredwitzer Krippen die Ökumene gelebt wird, und das, obwohl die Geburtsszene stets eine Randerscheinung geblieben ist. (Ulrich Traub)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll es ein gesetzliches Mieterhöhungsverbot geben?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.