Leben in Bayern

20.03.2015

Jäger des perfekten Drehorts

Location Scout Dieter Lotzmann kennt nahezu jede Straßenkreuzung, jede Luxusvilla und jedes idyllische Bauernhäuschen in München und Umgebung

Früher verkaufte er als gelernter Einzelhandelskaufmann Möbel und Teppiche – bis er zum Film kam. Heute findet er Drehorte. Und Feierabend hat er nie. Ums Eck könnte ja der perfekte Altbau für den nächsten „Tatort“ warten. Doch das Geschäft wird immer schwieriger. Denn optisch interessante Ecken wie München-Haidhausen werden heute von Filmteams geradezu überschwemmt. Wenn Doris Dörrie anruft, heißt das für Dieter Lotzmann: Es gibt Arbeit! Denn immer wenn die Regisseurin ein neues Filmprojekt plant, darf der 63-Jährige im Team nicht fehlen. Er ist der Mann, der Dörries Ideen, die Szenen aus dem Drehbuch in Bilder umsetzt – noch lange vor dem Kameramann. Lotzmann ist Location Scout. Er sucht für die Filmteams passende Drehorte. „Ich mache alles – egal ob es eine Wiese ist, ein Schloss oder eine Toilette.“
In München und Umgebung kennt Lotzmann beinahe jede Straßenkreuzung, jede Luxusvilla, jedes idyllische Bauernhäuschen. Rund 30 000 Innen- und Außenmotive zählt seine Datenbank  daheim in Wasserburg. Beim Autofahren ist immer der innere Scanner eingeschaltet, der die Umgebung absucht. „Wenn ich ein gutes Motiv sehe, wird das gleich abgespeichert.“ Im Kopf und dem iPhone, das er stets im Gepäck hat. Location Scouts sind immer im Dienst, jeden Tag rund um die Uhr. Feierabend? Nicht wenn ums Eck ein perfekter Altbau für den nächsten Münchner Tatort warten könnte.
Seit 15 Jahren macht Lotzmann den Job, den es in Deutschland auch noch nicht so viel länger gibt. Früher erledigten hierzulande die Szenenbildner das, wofür es in den USA schon seit langem Spezialisten gibt. Gut 80 Location Scouts tummeln sich mittlerweile auf dem Markt, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Da gibt es Leute wie Lotzmann, die fast ausschließlich für Film und Fernsehen Drehorte suchen. Andere arbeiten auch für Werbespots und Fotoshootings, wieder andere liefern den Produktionsfirmen einen Rundum-Service mit Set-Betreuung, Wettervorhersage und Catering vor Ort.
Wie die meisten seiner Kollegen ist Lotzmann ein Quereinsteiger. Früher verkaufte der gelernte Einzelhandelskaufmann Möbel und Teppiche, irgendwann kam er als Fahrer und Requisiteur zum Film. Eines Tages bat ihn jemand, ein Werbemotiv zu suchen, das war der Einstieg. Heute ist Lotzmann gut im Geschäft, seine Referenzen sprechen für sich. Für etliche Folgen von Tatort oder Kommissarin Lucas hat er ebenso Motive gesucht wie für den Heimatkrimi Dampfnudelblues.
Und dann gibt es eben die Filme von  Doris Dörrie.  Der Fischer und seine Frau etwa oder Alles inklusive. Lotzmann kennt den Geschmack der Regisseurin, ihre visuellen Vorlieben, sie lässt ihm entsprechend Spielraum bei der Drehortsuche. So wie in Kirschblüten – Hanami von 2007. Das Bauernhaus von Rudi und Trudi, die Dorfstraße, die Rudi alias Elmar Wepper tagtäglich auf dem Heimweg von der Arbeit entlang geht, der Bäcker, der Metzger, der Friedhof – alles Motive, die Dieter Lotzmann bei einem Trip ins Allgäu entdeckte und ablichtete. „Als wir uns trafen, um die Fotos anzuschauen, sagte die Doris ,Das gibt’s doch gar nicht’. Sie hatte in der Gegend eine Zeitlang gewohnt und beim Schreiben des Drehbuchs genau diese Bilder im Kopf gehabt.“
Lotzmanns Job beginnt mit dem Lesen des Drehbuchs, dann folgt ein Vorgespräch mit dem Szenenbildner, bevor er samt Motivliste mit der Suche loslegen kann. Seine Datenbank ist meist nur ein erster Anhaltspunkt. Wer weiß, ob das kleine schnuckelige Häuschen noch steht, das er vor Jahren fotografiert hat? Oder es wohnt inzwischen jemand anderes darin, oder die Umgebung wurde mit Neubauten zugepflastert. Alles Unwägbarkeiten, die es vor der Besichtigung mit Regisseur und Kameramann auszuschalten gilt.
Ein gewisses Talent zur Visualisierung gehört zu den Grundvoraussetzungen für den Beruf des Location Scouts. Und: „Man muss ein Gefühl dafür haben, wie man auf Menschen zugeht und ihr Herz öffnet“, sagt Lotzmann. Doch erst mal müssen sie ihre Tür öffnen. Denn auch das Klinkenputzen gehört zum Job. Ein Gebäude kann von außen perfekt sein, aber erfüllt es auch innen die Vorgaben des Filmteams? Gibt es ausreichend Licht, genug Abstellfläche? Passt die Architektur zur Geschichte? Und vor allem: Wollen die Bewohner überhaupt, das in ihrem Zuhause für mehrere Tage eine Filmcrew samt Scheinwerfern, Kameras und Kabelsalat einfällt? Zwar winkt pro Drehtag im Schnitt eine Kaltmiete als Entschädigung, aber die Angst vor zerkratzten Böden, verdreckten Wänden und Unordnung schreckt auch einige ab.

München plant ein städtisches Filmbüro

„Es ist immer spannend zu sehen, wer da aufmacht“, sagt Lotzmann. „Ich kann meistens schon an den Gardinen abschätzen, wie alt die Leute sind und ob sie zugänglich sind“. Neben Architektur, Größe und Einrichtung muss Lotzmann auch sicherstellen, dass der Drehort in einer ruhigen Gegend liegt, dass nicht Autos vorbei- oder Flugzeuge darüber hinwegdonnern und dass nicht gerade Bauarbeiten stattfinden, wenn gefilmt werden soll.
Die Herausforderung, das Unmögliche möglich zu machen, liebt Lotzmann an seinem Beruf. Etwa eine unter Naturschutz stehende Wiese mit Bergblick als Standort für eine Baustelle im Film zu organisieren. Auch wenn das bedeutet, dass Acker samt Gras Stück für Stück abgetragen, eingelagert und später wieder eingesetzt werden muss. Oder einen Innenraum zu finden, dessen Fenster exakt zu einem alten Verwaltungsgebäude eines Steinbruchs in Luxemburg passen. „Regisseure können sehr stur sein“, sagt Lotzmann und lacht. „Die sagen dann, entweder ich krieg das Motiv, oder ich drehe gar nicht.“
Schwierig wird’s immer dann, wenn offizielle Drehgenehmigungen erforderlich sind. In Banken und Krankenhäusern etwa, an Bahnhöfen oder Flughäfen, auf Bundesstraßen und Autobahnen. Hier beißt auch ein erfahrener Scout sich schon mal die Zähne aus. „Vor 20 Jahren war die Bereitschaft noch größer, da fanden die Leute das toll“, sagt Lotzmann. „Aber das wird immer weniger“. Kein Wunder, wird doch in Bayern immer mehr gedreht. 3380 Drehtage zählte der Filmförderfonds Bayern im vergangenen Jahr. Tendenz steigend. Im Freistaat winken Filmemachern üppige Fördergelder. Besonders die Stadt München wird von Anfragen für Drehgenehmigungen geradezu überschwemmt. Ein neues „Servicebüro Film“ mit drei Mitarbeitern soll sich in Zukunft ausschließlich darum kümmern.
Der Markt giert nach immer neuen Inhalten. „Es wird allgemein immer mehr Content fürs Fernsehen, fürs Kino, für Musikvideos oder das Internet hergestellt“, sagt Roland Gerhardt, Location Scout in Berlin und Vorsitzender des noch jungen Berufsverbands. „Die optisch interessanten Ecken wie München-Haidhausen sind besonders stark belastet. Weil die Teams größer werden, wird mehr Parkraum benötigt, der in Städten wie München ohnehin Mangelware ist. Die Folge: „Immer mehr Menschen fühlen sich belästigt.“ Drehverbote für ganze Straßenzüge oder Stadtviertel sind keine Seltenheit.

Aktueller Auftrag: eine Kuhherde in Stadtnähe

Für Drehort-Finder wie Gerhardt oder Lotzmann wird es daher schwieriger, neue, noch unverbrauchte Drehorte zu finden. Und das in immer kürzerer Zeit. „Früher hatte man für eine Tatort-Folge mit etwa 20 Motiven drei Wochen Zeit, heute nur noch eine, höchstens zwei“, sagt Lotzmann. Die meisten Scouts werden nach Tagessätzen bezahlt, müssen davon noch Gewerbesteuer zahlen, weil viele Finanzämter Location Scout nicht als künstlerischen Beruf anerkennen. Das will der Berufsverband ändern. „Location Scouts sind die ersten, die sich mit der Visualisierung des Drehbuchs befassen, die sich überlegen, wie könnte die Welt aussehen, in der die Handlung spielt“, sagt Gerhardt. „Das ist ein kreativer Prozess, und so möchten wir den Beruf auch angesiedelt sehen.“ Doch das Berufsfeld ist klein, der Verband hat nur 42 Mitglieder, was die Lobbyarbeit schwierig macht. „Location Scouts sind oftmals große Individualisten, die können mit dem Verband nicht so viel anfangen.“
Individualisten wie Lotzmann, der am liebsten allein arbeitet, am Steuer seines Autos. „Würde jemand neben mir sitzen, würde das nur meine Aufmerksamkeit stören.“ Gerade ist wieder ein neues Drehbuch von Doris Dörrie hereingekommen. Lotzmann freut sich, es gibt viel zu tun. Unter anderem muss er eine Kuhherde finden, die durch ein Dorf getrieben wird. Möglichst im 20-Kilometer-Umkreis von München. Der Scout ist skeptisch: „Rund um München gibt’s nur noch Stallkühe, die haben noch nie das Tageslicht gesehen.“ Wieder mal einer dieser fast unmöglichen Sonderwünsche. Dieter Lotzmann wird auch diesen möglich machen. (Wibke Heise) (Bild: Dieter Lotzmann: „Ich mache alles – egal ob Wiese, Schloss oder Toilette.“; Foto: privat)

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