Leben in Bayern

Billy van Rensburg verkauft britische Leckereien in München. Jetzt fürchtet er um den Verlust eines Teils seiner Kundschaft. (Foto: Stumberger)

01.07.2016

"Jetzt werde ich Deutscher!"

Nach dem Brexit-Votum: Unter den Briten in Bayern ist die Verunsicherung groß

Der Patentanwalt Robert Harrison lebt seit 1995 in Bayern. Er ist so entsetzt über das Votum der Briten für den Brexit, dass er sich jetzt in Deutschland einbürgern lassen will. Auch weil er berufliche Nachteile befürchtet. Andere denken über diesen Schritt nun ebenfalls nach. Die Staatszeitung hat sich bei Auswanderern in München umgehört.

An jenem historischen Donnerstag vor einer Woche, als die Briten über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmten, war Robert Harrison zuhause in Zorneding eigentlich mit einem guten Gefühl ins Bett gegangen. Gegen vier Uhr wachte der Patentanwalt aber auf und sah nach den Nachrichten. „Ich war total erschrocken“, erzählt der 56-jährige Brite.

Gilt ein Bestandsschutz?

Wie es nun nach dem Austritt aus der EU weitergehen soll für ihn selbst?, fragt sich nicht nur der gebürtige Londoner Harrison. Seit 1995 wohnt er in Bayern. In München leben rund 6000 britische Staatsbürger – viele davon schon jahrzehntelang. Und nicht wenige ziehen wie Harrison folgende Konsequenz: Sie wollen einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Den Einbürgerungstest hat Harrison schon hinter sich. Und das meiste hat er auch gewusst, etwa dass München die Hauptstadt des Freistaates ist – natürlich. Nur einmal wurde es für ihn schwierig: als nach dem Gedenktag am 29. Januar gefragt wurde. Aber auch viele Deutsche wissen nicht, dass an diesem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht wird. Das nötige Sprachdiplom hat Harrison schon in der Tasche – geht alles nach Plan, ist er bald deutscher Staatsbürger.

Wie es für die Briten in Bayern nach dem EU-Austritt weitergehen wird, hängt vor allem von den Verhandlungen Großbritanniens mit der EU ab. Für Harrison ist das auch aus beruflicher Sicht ein Risiko. Der Brite hat in Oxford Halbleiterphysik studiert und ist Teilhaber einer Patent- und Rechtsanwaltskanzlei in München. Für seine berufliche Tätigkeit in Deutschland sieht er durch den Brexit kaum Schwierigkeiten, hier greife wohl ein Bestandsschutz, erklärt er. Aber er ist auch in Frankreich und in Österreich tätig und dort könne es als Nicht-EU-Bürger durchaus Probleme geben. Eventuell bräuchte er dann eine Arbeitserlaubnis. Für Briten, die nach dem Brexit neu nach München kommen, stellen sich noch weitere Fragen, die ebenfalls erst noch beantwortet werden müssen. Was ist etwa mit der Krankenversicherung und den Rentenzahlungen, wenn Großbritannien nicht mehr zur EU gehört?

Harrison ist noch immer entsetzt über die Austritts-Debatte in seiner Heimat. Die Befürworter hätten eine Kampagne geführt mit Lügen und Vorurteilen, sagt er. Vor allem beim Thema Flüchtlinge habe er ein Mindestmaß an Sachlichkeit vermisst. Aber auch die EU-Befürworter hätten nur mit Drohungen agiert und es dabei versäumt, die positiven Seiten und die Vorteile einer Mitgliedschaft herauszustellen, betont er. Harrison selbst durfte übrigens nicht abstimmen. Denn laut Gesetz dürfen britische Bürger, die sich länger als 15 Jahre im Ausland aufhalten, nicht an Wahlen teilnehmen.

Ein schwarzer Tag war der Brexit-Donnerstag auch für Billy van Rensburg. Der 59-Jährige hat eine britische Internatserziehung genossen und betreibt seit zwei Jahren unter dem Namen „British Allsorts“ einen Laden an der Münchner Rosenheimer Straße. Dort gibt es englischen Tee nebst dazugehörigen Teekannen, aber auch Bier wie Thatchers Red oder Henney’s Dry Cider. 70 Prozent der Kunden sind so genannte Expats, britische Bürger, die in München leben. Und um diese Kundschaft fürchtet der Ladenbesitzer nun. Er glaubt zwar nicht, dass sich das Votum unmittelbar auswirken werde. Aber in Zukunft könnte die Reisefreiheit der Briten in Europa natürlich eingeschränkt sein, und seine Klientel in München deshalb weniger werden. Und werden Zölle wieder eingeführt, würden sich auch van Rensburg Waren natürlich verteuern. „Ich hatte erwartet, dass die Briten sich mit einer hauchdünnen Mehrheit für die EU entscheiden“, sagt er.

Welche Folgen der Brexit auch haben wird, eines scheint klar: Die Zahl der Briten in München, die Deutsche werden wollen, steigt. 2014 gab es beim Münchner Kreisverwaltungsreferat lediglich sieben Einbürgerungen, 2015 waren es schon 20. Und heuer wurden bereits 20 deutsche Pässe für Briten ausgestellt, 29 weitere Anträge liegen vor.

Auch John Margetts hat bereits mit dem Gedanken gespielt, Deutscher zu werden. Das Abstimmungsergebnis „ist ein Desaster“, sagt der 79-Jährige, der seit rund 15 Jahren ständig in München lebt. Er schimpft: „Das war total überflüssig!“ Und auch er kritisiert, dass die Brexit-Leute mit Lügen gearbeitet hätten. Und die andere Seite sei „nicht mit dem Herzen dabei gewesen“. Es sei schon paradox, dass ausgerechnet in der Region von Cornwall, die am meisten EU-Gelder empfange, der Prozentsatz der Brexit-Befürworter am höchsten gewesen ist. Der pensionierte Geschichtsprofessor mit dem Spezialgebiet Mittelalter und ehemalige Vorsitzende der Deutsch-Britischen Gesellschaft in München mit 140 Mitgliedern befürchtet nun eine Rechtsentwicklung in seiner Heimat.

Aber auch ganz persönliche Folgen könnte der Brexit für Margetts, der in Deutschland seinen Lebensabend verbringen will, haben: Fällt der Wechselkurs des britischen Pfundes, schmälert das auch die Kaufkraft seiner Rente. Auch Margetts übrigens konnte nicht wählen, obwohl er sich in seiner Heimatgemeinde als Wähler registrieren ließ. Die Bürokratie hat ihn schlicht vergessen.

Was wird aus der Rente?

Dass das Pfund und damit seine Ersparnisse an Wert verlieren, beschäftigt auch Eric Smith. Der 59-jährige Brite lebt in Dingolfing und kommt aus einer Stadt in der Nähe von Liverpool. Der Vater habe ihm geraten, nach Deutschland zu gehen, denn dort seien die Chancen auf Arbeit besser. Auch Smith, den das Ergebnis nicht überrascht hat, war für den Verbleib Großbritanniens in der EU. Gewählt aber hat er nicht. Derartige Abstimmungen seien doch sinnlos, meint er. Denn die meisten Menschen seien überfordert und könnten die Konsequenzen kaum übersehen.

Dass gerade Arbeiter für den EU-Austritt stimmten, ist für Smith nicht überraschend. Auf englischen Baustellen würden oft nur noch Polen oder Portugiesen arbeiten, der Stundenlohn für Arbeiter sei von 25 Pfund vor ein paar Jahren auf heute sechs bis acht Pfund gefallen. Doch die Hoffnung der Brexit-Befürworter, dass nun die ausländischen Arbeitskräfte das Land verlassen würden, sei illusorisch, so Smith, gelernter Volkswirt. Zu befürchten seien vielmehr ein Anstieg der Arbeitslosigkeit in der britischen Heimat und anschließend ein Sturz der Immobilienpreise.

Für sich persönlich in Bayern hält er die Konsequenzen allerdings für begrenzt. Er glaubt: „Es wird zwar etwas schwieriger werden, aber mit gewissen beruflichen Fähigkeiten bekommt man in Deutschland immer eine Arbeitserlaubnis.“ (Rudolf Stumberger)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.