Leben in Bayern

Wenn Jagd auf Waldbesitz trifft, dann gibt es Interessenkonflikte. (Foto: Bilderbox.com)

01.12.2023

Kampf um den Wald

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), selbst Jäger, ist jetzt auch für die Jagd zuständig – das nervt viele. Zu Recht?

Gerhard Winter lauert in der Dämmerung in seinem Jägerstand. Er wartet auf ein Wildschwein. Doch das Tier kommt nicht. Winter wird in den nächsten Stunden gar kein Tier zu Gesicht bekommen. Stattdessen sieht er auf dem Feldweg Richtung Wald immer wieder Menschen. Menschen, die mit ihren Hunden Gassi gehen, die einen Abendspaziergang machen, die mit Stirnlampe joggen.

„Es herrscht ein hoher Freizeitdruck“, sagt der Jäger aus Weichering, einer kleinen Gemeinde im oberbayerischen Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. „Zu viele Leute zu unpassenden Zeiten. Die haben kein Gespür mehr für die Natur.“

Ja, die Natur. In der Politik ist das ein viel strapazierter Begriff. Ihr Erhalt liegt natürlich allen am Herzen. Doch wie man das erreicht, darüber gibt es unterschiedliche, teilweise sich gegenseitig ausschließende Ansichten. Sieht man einmal von der Freizeitnutzung ab, teilen sich den Raum Waldbesitzer*innen, Landwirt*innen und Jäger*innen, die auch Geld verdienen wollen. Die einen mit dem Verkauf von Holz, die anderen mit dem Ertrag aus dem Ackerbau und die dritten mit dem Verkauf von Wild zum Verzehr. Gleichzeitig ist die Erkenntnis da, dass die Natur, speziell der Wald, an die Folgen des Klimawandels angepasst werden muss. Keine leichte Gemengelage.

Nach der Landtagswahl ist dieses Spannungsfeld um einen weiteren Bereich erweitert worden: Ab sofort ist das von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) geführte Wirtschaftsministerium für die Jagd und die Staatsforsten – rund 11 Prozent der Landesfläche – zuständig. Beim Landwirtschaftsministerium, das Michaela Kaniber (CSU) leitet, verbleiben die sonstige Forstwirtschaft sowie die Landwirtschaft. Ob zwei unterschiedliche Ministerien wirklich die richtige Antwort auf die Herausforderungen sind, bezweifeln viele. Zum Beispiel Umweltverbände und die Landtagsopposition. 

Wald vor Wild oder Wild vor Wald?

Ein Tag im März. Unter großem Applaus betritt Hubert Aiwanger die Bühne. Der FW-Politiker hält ein Grußwort beim Landesjägertag des Bayerischen Jagdverbands in Hof. Und man weiß nicht so genau, wer hier spricht: der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister oder der passionierte Hobbyjäger. Denn immer wieder spricht Aiwanger in seiner zwölfminütigen Rede von „uns Jägern“. Er wettert auch gegen Kräfte, die Jäger, Landwirte und Waldbesitzer auseinandertreiben wollten. Etwa, indem sie die Begriffe Wald und Wild in eine Reihenfolge setzen. „Da hat man im Prinzip schon verloren“, sagt Aiwanger. „Denn ob es Wald und Wild, Wald vor Wild, Wald mit Wild oder Wild vor Wald und hin und her heißt – man ist sofort verfangen.“

Ein paar Monate später, im November, wird er sich aber auch öffentlich zu „Wald vor Wild“ bekennen müssen – nachdem er in den Koalitionsverhandlungen überraschend die Zuständigkeit für die Jagd und die Bayerischen Staatsforsten übernommen hat. Denn auch ein Minister Aiwanger steht nicht über dem Gesetz, in dem Fall dem bayerischen Jagdgesetz. Dort gilt seit 2005 „Wald vor Wild“ – und das heißt: Zuerst kommt ein gesunder Wald, und dann erst die Wildtiere, die in ihm leben.

Denn die Kritik, dass es zu viel Schalenwild in vielen bayerischen Wäldern gibt, das an den Trieben neu gepflanzter Bäume nagt und sich ohne Fressfeinde ungestört vermehrt, hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Schalenwild, das ist die waidmännische Bezeichnung für alle Paarhufer, die dem Jagdrecht unterliegen. Zum Beispiel Rehe, Wildschweine und Mufflons.

Laut dem aktuellen Forstlichen Gutachten von 2021 gibt es in Bayern in der Hälfte der 750 Hegegemeinschaften, den zusammengeschlossenen Jagdrevieren, zu viel Verbiss. Deswegen empfiehlt die bayerische Forstverwaltung, die Abschussquote zu erhöhen.

Diese Vorgabe war im Juni noch einmal eindeutig bekräftigt worden. Da schloss die Staatsregierung unter Führung des damals noch zuständigen Landwirtschaftsministeriums mit verschiedenen Forstverbänden den sogenannten Waldpakt, mit dem Ziel, die Wälder zu schützen und an den Klimawandel anzupassen. Nicht dabei war der Bayerische Jägerverband (BJV). Und auch Hubert Aiwanger wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.

„Waldverträgliche Schalenwildbestände müssen auf ganzer Fläche realisiert werden“, so steht es in dem Pakt. „Denn zu hohe Schalenwildbestände gehen zulasten der Baumarten, auf die stabile Zukunftswälder so dringend angewiesen sind.“ Neu gepflanzte Bäume sollen nicht von Verbiss geschädigt aufwachsen, deswegen soll flächendeckend mehr abgeschossen werden. Auch im neuen Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern für die neue Staatsregierung wird auf den Waldpakt verwiesen. 

Die Tiere trauen sich kaum mehr heraus

Gerhard Winter hofft, dass Aiwanger trotzdem eigene Akzente setzt. „Weil er selbst auf die Jagd geht, selbst Landwirt ist und sehr viel über die ökologischen Zusammenhänge weiß.“

Auch die Hegegemeinschaft Zell, zu der Winters Revier gehört, taucht im Forstlichen Gutachten als eine der Gemeinschaften auf, die ihre Abschussquote erhöhen soll, weil der Verbiss an den Bäumen zu hoch ist. Winter teilt diese Einschätzung nicht. Er verweist darauf, dass etwa die Gemeinde Weichering, die Besitzerin des Waldes, in dem er jagt, gar nichts bemängelt habe. „Die wurde aber gar nicht befragt.“ Die Ansage zum verstärkten Abschuss kam von der nächsthöheren Behörde. Für Winter liegt die Ursache des Verbisses ohnehin woanders.

Im Revier seines Vaters, der ebenfalls ein Jäger war, sei früher doppelt so viel Wild gewesen, sagt er. Ohne dass es Probleme mit übermäßigem Verbiss gab. „Damals waren die Leute aber nicht noch in der Dämmerung in der Natur unterwegs.“ Inzwischen, so seine Beobachtung, traut sich das Wild deswegen tagsüber kaum mehr aus dem Wald heraus und knabbert dann die Triebe von den Bäumen.

Dazu kommt: Jede Flucht vor einem Jogger oder Hund kostet enorm viel Energie, was laut Winter noch mehr Verbiss bedeutet. Der Jäger sieht auch die Landwirtschaft in der Verantwortung: „Es gibt fast nur noch eintönige Saatäcker, die stark gedüngt und oft mit Spritzmittel versehen sind. Da finden die Tiere nicht viele Nährstoffe – und dann beißen sie halt im Wald herum.“ Ein Reh brauche zum Beispiel 70 verschiedene Kräuter am Tag und sei daher auf abwechslungsreiche Nahrung angewiesen. Die Waldbesitzer*innen könnten aus seiner Sicht auch mehr tun für Umbau und Waldpflege. Aber das koste nun mal mehr Geld und sei zeitintensiv.

Die Abschussquote zu erhöhen, ist aus Winters Sicht aber gar nicht so leicht. Schließlich trauten sich die Wildtiere am Tag viel seltener aus dem Wald, wo sie leichter zu jagen sind. Und in der Nacht ist die Jagd auf Schalenwild – mit Ausnahme der Wildschweine – verboten.

Auch beim Bayerischen Jagdverband hofft man, dass die Politik mit Aiwangers Übernahme „zum gesunden Menschenverstand zurückkehren“ werde, wie BJV-Präsident Ernst Weidenbusch (CSU) kürzlich erklärte. Den Waldpakt nannte er dabei einen „reinen Holzproduzentenpakt“. Das von ihm kritisierte Landwirtschaftsministerium unter der Leitung von Michaela Kaniber (CSU) keilte zurück, das Ökosystem Wald mit seinen lebenswichtigen Funktionen für die Gesellschaft und für die heimische Tierwelt habe „Vorrang vor jagdlichen Einzelinteressen an zu hohen Wildbeständen“. Ein Vorgeschmack auf weitere Konflikte zwischen dem Landwirtschaftsministerium und den Jäger*innen.

Der Unmut in Umwelt- und Naturschutzverbänden und in Teilen der Opposition ist jedenfalls groß. „Dass die Staatsforsten und die Jagd nun im Zuständigkeitsbereich des Wirtschafts- und Energieministeriums und damit von Hobbyjäger Hubert Aiwanger liegen, ist mindestens kurios, im schlimmsten Fall fatal für die Zukunft unserer bayerischen Wälder“, erklärte etwa Richard Mergner, der Vorsitzende des Bund Naturschutz in Bayern.

„Geradezu grotesk“ nennt Wolfgang Kornder, Vorsitzender des Ökologischen Jagdvereins Bayern und des Ökologischen Jagdverbands Deutschland, die neue Aufteilung. Sie schaffe nur mehr Bürokratie. Kornder, selbst Jäger, ist vom Prinzip „Wald vor Wild“ überzeugt. Die Jäger*innen müssten dazu aus seiner Sicht mehr aufgeklärt werden. „Angesichts der Klimakrise, deren Einfluss auf die Wälder und dem damit gebotenen Waldumbau, muss eine effiziente, waldfreundliche Jagd gefördert werden.“ Ansonsten werde der Wald dem Schalenwild geopfert. Nur fürchtet er, dass Aiwanger das geltende Gesetz weiter verwässern werde.

„Kuddelmuddel an Zuständigkeiten“

Für Katharina Schulze, Grünen-Fraktionschefin im Landtag, macht „das Kuddelmuddel an Zuständigkeiten alles nur noch schlimmer. Uns läuft die Zeit davon, weil der Klimawandel unsere Wälder rasiert.“ Aiwanger selbst weist die Kritik als Sticheln von „teils eigentumsfeindlichen Ökoideologen“ zurück. Konkrete Anfragen unserer Zeitung ließ sein Ministerium unbeantwortet.

Und Jäger Winter? Der wünscht sich wieder mehr Akzeptanz für seinen Beruf. „Die Jagd ist ja nur ein Bruchteil der Arbeit“, sagt er. „Der Jäger räumt im Frühjahr den Müll zusammen, der rumliegt, schaut, dass die Vögel genug Brutmöglichkeiten haben, und unterstützt das schwache Wild. Das ist aktiver Naturschutz.“ (Thorsten Stark)
 

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