Hendl, Haxn oder Ochs am Spieß, die Wiesn ist das bekannteste deutsche Volksfest und ein Schlaraffenland für Fleischliebhaber – eigentlich. Denn nach 186 Jahren könnte der vegane Durchbruch endlich gelungen sein. Spätestens nachdem die Rufe von Vegetariern und Veganern immer lauter wurden und auch die Wiesn-Wirte den Braten rochen, sprangen sie nach und nach auf den vielversprechenden Veggie-Zug auf. Seitdem bieten sie neben den traditionellen bayerischen Spezialitäten immer mehr tierproduktfreie Schmankerl an – teilweise sogar in Bioqualität. Neben dem rein pflanzlichen Angebot stehen über 100 vegetarische Gerichte auf den Speisekarten der Festzelte und Wiesnstände. 2016 waren es gerade mal 43.
Vegane Alpenpower oder Pflanzerl aus Quinoa und Kichererbsen statt Hendl
Um die Nachfrage nach veganen Speisen zu bedienen, lassen sich die Wirte auch heuer einiges einfallen. Im Marstall serviert Küchenchef Stefan Karl hausgemachte Quinoa-Kichererbsen-Pflanzerl auf Tomaten-Paprika-Gemüse mit Süßkartoffel und Avocadocreme. Käfers Wiesn-Schänke überrascht mit „veganer Alpenpower“, einem Gericht aus geräuchertem Bio-Tofu mit jungem
Kressesalat, Erbsenspargel und Passionsfrucht-Chili-Dressing. In Kufflers Weinzelt warten unter anderem eine cremige Kürbissuppe mit Kokosmilch, Curry und steirischem Kernöl sowie „Grigliata di Verdure“ mit gegrillten Artischocken, Auberginen, Paprika, Zucchini und Fenchel auf hungrige Veganer. Selbst die Hühner- und Entenbraterei Ammer, die hauptsächlich auf Fleisch spezialisiert ist, trumpft gleich mit drei veganen Gerichten auf. „Sogar Fleischlieber greifen gerne zur Wiesn-Bowl statt zum Bio-Hendl“, berichtet Ammer-Wirt Josef Schmidbauer. „Wir wissen, dass viele unserer Gäste das pflanzliche Angebot auf unserer Karte sehr schätzen und deshalb extra zu uns kommen.“
Nicht nur Vegetarier und Veganer greifen auf die fleischlosen oder laktosefreien Gerichte zurück, sondern auch Allergiker und Besucher mit Unverträglichkeiten loben die unkonventionellen Leckerbissen. Franziska Naule aus München ist eine von ihnen. Die junge LMU-Studentin ernährt sich vegetarisch und verträgt zudem keine Kuhmilch. Das größer werdende Angebot an veganen Gerichten kommt also wie gerufen: „Endlich muss ich nicht mehr zu Hause voressen oder mir eine Vesper mitbringen.“ Es habe ganz schön gedauert, bis der Groschen gefallen sei, bemerkt die gebürtige Münchnerin. Veganer, Allergiker und Co. gebe es ja nicht erst seit gestern.
Nach zehn Jahren vegetarischer Probezeit setzte das Löwenbräu-Festzelt 2016 zum ersten Mal ein veganes Gericht auf die Speisekarte. Der damalige Chef Ludwig Hagn höchstpersönlich hat es erfunden: mit Quinoa und Blattspinat gefüllte Nudeltascherl in Tomatenragout und Basilikum. „Im Schnitt verkaufen wir täglich rund 60 vegane Portionen“, berichtet seine Tochter und neue Löwenbräu-Wirtin Stephanie Spendler. Bei zirka 5000 Gästen am Tag sei das zwar ein minimaler
Prozentsatz, doch verhält es sich ähnlich wie mit alkoholfreiem Bier: „Es ist immer gut, wenn man es im Repertoire hat.“ Und der Abwechslung halber gibt es in diesem Jahr einen veganen Gemüsestrudel auf Tomaten-Basilikum-Ragout mit gerösteten Pfifferlingen.
Dass der vegane Wind stärker weht als je zuvor, bestätigt auch ProVeg-Geschäftsführer Sebastian Joy: „Das diesjährige vegane Angebot der Wiesn zeigt, dass der Veggie-Trend immer beliebter wird.“ Die Zahlen sprechen für sich. Laut der aktuellen Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse leben 6,1 Millionen Vegetarier und 950 000 Veganer in Deutschland. Das entspricht rund 1,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zudem zähle sich ein Großteil der Deutschen zu den sogenannten Flexitariern, also denjenigen, die an drei oder mehr Tagen pro Woche kein Fleisch essen, so der ProVeg-Geschäftsführer. „Der Trend ist offensichtlich gegeben und sollte auch nicht belächelt werden“, meint Harald Schwarz, Gastronomiedirektor der Schützen-Festhalle. Dort werden bereits seit 2015 vegane Speisen angeboten.
Aber nicht alle Wiesn-Gastronomen stellen sich auf die geänderten Konsumwünsche ihrer Gäste ein: Die Festzelte Hacker und Augustiner bieten auch in diesem Jahr keine veganen Hauptgerichte an. „Dabei könnte ein ausgewogeneres Angebot den Preiswettbewerb positiv ankurbeln und die veganen Schmankerl günstiger machen“, bemerkt Studentin Franziska Naule. Bisher käme sie mit einem halben Hendl preislich immer noch besser weg als mit vielen fleischlosen Gerichten. In der Fischer-Vroni kostet die einzige vegane Speise satte 23,50 Euro (gebratene Pfifferlinge mit Kartoffelgröstl, Schalotten, Kirschtomaten, Kürbiskernen und frittiertem Rucola). In Kufflers Weinzelt wird das vegane Thaicurry mit Baby-Auberginen, Pak Choi, Kokosmilch und Duftreis für 23 Euro angeboten. Stattliche Preise, findet auch Harald Schwarz: „Wieso bietet man ein Gericht überhaupt an, wenn man es dann so teuer macht, dass es sowieso niemand bestellt? Nur um es auf der Karte zu haben?“
Deftig sind nicht nur manche Veggie-Gerichte, sondern auch deren Preise
Bei Schwarz im Schützen-Festzelt gibt es Rote-Beete-Maultaschen mit Meerrettichpesto für 15,40 Euro und gebratenes Pfannengemüse in Kokos-Curry-Sauce für 17,90 Euro. Auch der böhmische Eintopf aus grünen Linsen, Karotten und Kartoffeln im Armbrustschützenzelt ist mit 12,90 Euro noch vergleichsweise günstig – aber immer noch teurer als das Hendl in vielen Festzelten. Franziska Naules Tipp für Veganer: Feinkost Anthuber in der Wirtsbudenstraße 86 vor der Ochsenbraterei. „Wer Leberkäse liebt, kommt hier voll auf seine Kosten“, beteuert die Studentin. „Die vegane Version war im letzten Jahr so begehrt, dass sie zwischenzeitlich vergriffen war.“
Ob mit oder ohne Fleisch, das Herzblut der Wiesn ist und bleibt das flüssige Gold. Dem Trend der letzten beiden Jahre zufolge werden auch in diesem Jahr mindestens 7,5 Millionen Liter Bier fließen. Zwischen 10,80 und 11,80 Euro liegt der diesjährige Preis für eine Wiesn-Maß. Damit hat sich der Liter Festbier um durchschnittlich 3,11 Prozent zum Vorjahr verteuert. Spitzenreiter mit 11,80 Euro pro Maß sind die Bräurosl, das Hacker-Festzelt, die Käfer Wiesn-Schänke, Marstall, das Löwenbräu-, Paulaner- und das Schützen-Festzelt. Die gute Nachricht: Spätestens beim Getränk sind alle Veganer, denn solange das Bier nach dem bayrischen Reinheitsgebot gebraut wird, ist es vegan. Bleibt also nur noch: An Guadn und Prosit!
(Anna Karolina Stock)
Bilder im Text (Anna Karolina Stock):
Vegane Pflanzerl in der Semmel sind auf der Wiesn längst angekommen.
Hier gibt’s vegane Wraps.
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