Nadine Rieß leidet unter heftiger Migräne. Seit Jahren schon. Medikamente helfen nicht. Lange suchte die Nürnbergerin nach einer Alternative. Die fand sie im Cannabis. Das erhält die Nürnbergerin inzwischen auf Kassenrezept aus der Apotheke. Seit der Legalisierung vor einem Jahr stieg dort die Nachfrage nach Cannabis stark an. Das, so Nadine Rieß, wirkt sich auf Patienten negativ aus: „Es kommt zu Lieferengpässen.“ Schuld sei letztlich eine schlechte Umsetzung des Cannabisgesetzes.
Seit 1. April 2024 ist das Kiffen unter bestimmten Bedingungen legal. Doch die Debatten um das „CanG“, so die Abkürzung für das Cannabisgesetz, ebben nicht ab. Vor allem Unionspolitiker kündigten hartnäckig die Rücknahme des Gesetzes nach der Wahl an. Die SPD hielt dagegen. Im jetzt veröffentlichten Koalitionsvertrag heißt es nun: „Im Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durch.“ Erst einmal bleibt also alles, wie es ist.
Immer noch keine Vereinigungen genehmigt
Nadine Rieß kann sich nicht vorstellen, dass das Gesetz wieder zurückgenommen wird. Zu gut werde es in der Bevölkerung akzeptiert, sagt das Vorstandsmitglied des Nürnberger Cannabis Social Clubs. Statt darüber nachzudenken, Kiffer neuerlich zu kriminalisieren, sollte das Gesetz nachgebessert und vor allem besser umgesetzt werden, fordert sie. Vor allem in Bayern.
Hier gebe es weiterhin nur zwei Möglichkeiten, an Cannabis zu kommen: „Entweder man baut es selbst an oder man besorgt es sich über eine Apotheke.“ Zwar sieht das Gesetz auch die nichtgewerbliche Cannabiszucht in Anbauvereinigungen vor. „Doch in Bayern wurden noch keine genehmigt“, so Nadine Rieß. Dies bestätigt das bayerische Gesundheitsministerium. Demnach gingen bis Mitte März zwar 37 Erlaubnisanträge beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ein. Genehmigt ist jedoch noch keiner. Acht wurden wieder zurückgezogen. Ein Antrag wurde abgelehnt. 28 werden noch geprüft.
Während der Nürnberger Cannabis Social Club überzeugt ist, dass die Politik nicht mehr zurück kann, wünscht sich Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) die Abschaffung des CanG. „Die Legalisierung von Cannabis zu Konsumzwecken ist und bleibt ein schwerer Fehler“, sagt sie. Mit Blick auf den Gesundheits- und Jugendschutz halte sie es für regelrecht „unverantwortlich“. Hinter Äußerungen wie dieser steckt die Angst, dass die Freigabe zu einem massiven Anstieg des Konsums führen wird. Valide Daten allerdings liegen dazu nicht vor, räumt ihr Ministerium ein.
Das bestätigt Siegfried Gift vom Münchner Suchthilfeverein Condrobs. Da der Konsum seit der Legalisierung besser erfasst wird, könne es auch lediglich den Anschein haben, als würde mehr gekifft. Die Stadt Nürnberg teilt etwa mit, dass sie noch keinen Anstieg feststellen konnte.
Aus der Verkehrsstatistik allerdings könnte man auf ein gestiegenes Verlangen nach Joints schließen. Laut bayerischem Justizministerium erhöhte sich die Zahl der Verkehrsunfälle mit Drogeneinfluss von 685 im Jahr 2023 auf 717 im Jahr 2024 – also um 5 Prozent. Vor zwei Jahren wurden dabei zehn, vergangenes Jahr fünf Menschen getötet. Die Zahl der Verletzten stieg um fast 30 Prozent von 348 im Jahr 2023 auf 450 letztes Jahr.
Das ist freilich kein Vergleich zu der Zahl der Verletzten bei Fahrten unter Alkoholeinfluss, die etwa achtmal so hoch liegt. Dabei starben im vergangenen Jahr zudem 36 Menschen.
Trotzdem ist klar: Die Cannabisfreigabe hat Auswirkungen auf den Straßenverkehr. So gab es auch 27 Prozent mehr zur Anzeige gebrachte, strafbare Fahrten unter Drogeneinfluss, bei denen es nicht zu einem Unfall oder einer Gefährdung anderer kam. Das Justizministerium vermutet heuer einen weiteren Anstieg dieser Zahlen.
Nicht nur deshalb fordert auch Justizminister Georg Eisenreich (CSU) eine Aufhebung der Teillegalisierung. Cannabis müsse wieder dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt, Besitz und Anbau neuerlich strafbar werden. Das CanG fördert in seinen Augen „schwere Drogenkriminalität“ und schadet der inneren Sicherheit.
Rein juristisch wäre eine Aufhebung möglich, schätzt das Ministerium. Natürlich müsste dabei das verfassungsrechtliche „Rückwirkungsverbot“ beachtet werden. Sprich: Solange es kein neues Gesetz gibt, wäre weiterhin alles straffrei, was nach dem Cannabisgesetz aktuell nicht geahndet werden kann. Innerhalb einer Übergangsfrist, so ein Vorschlag aus dem Ministerium, könnte legal besessenes oder angebautes Cannabis straffrei bei Behörden abgegeben werden.
Rein juristisch wäre eine Aufhebung möglich
Nach Ansicht des Suchthilfeträgers Condrobs sollte es weiterhin erlaubt sein, Cannabis für den Eigenbedarf anzubauen und zu konsumieren. Letztlich reagiere das Gesetz schlicht und einfach auf die gesellschaftliche Realität, sagt Suchtberater Gift. Ein legaler Konsum biete Vorteile auch für die Suchthilfe. Weil man sich nicht mehr verstecken muss, tauchen Probleme auf, wird der Weg in die Beratung leichter. Dadurch könne früher auf problematischen Konsum reagiert werden.
Aus Sicht der Jugendhilfe der Stadt Nürnberg, die sich ebenfalls die Beibehaltung des Cannabisgesetzes wünscht, hat Prävention deshalb eine hohe Bedeutung. Seitdem Cannabis entstigmatisiert ist, würden Präventionsprogramme stärker nachgefragt, heißt es. Mit den jungen Leuten könne in den Projekten nun offener und ehrlicher darüber diskutiert werden, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis ausschaut.
Projekte zur Vorbeugung von Abhängigkeit werden aktuell stark nachgefragt, sagen auch Birgit Grund und Amra Sinanovic von der Würzburger Suchtpräventionsfachstelle. Die Mitarbeiterinnen der Evangelischen Kinder-, Jugend- und Familienhilfe in Würzburg bieten seit diesem Schuljahr dreistündige Workshops mit dem Titel „Cannabis – quo vadis?“ an. Dabei werden unter anderem Cannabismythen entlarvt. Hartnäckig halte sich etwa das Gerücht, Kiffen sei gesünder als Rauchen.
Neben Prävention wäre laut Condrobs mehr Jugenddrogenberatung wichtig. Hier gibt es bayernweit erst wenige Angebote: Die rund 110 psychosozialen Suchtberatungsstellen im Freistaat richten sich in erster Linie an Erwachsene. Ende 2024 stieg der Freistaat in die Förderung der Jugendsuchtberatung ein. Ziel sei es, ein möglichst flächendeckendes Netz zu schaffen, heißt es vom Gesundheitsministerium. Allerdings wird nur eine Förderpauschale gewährt.
Ob die angespannte Haushaltslage den Kommunen und Trägern erlaubt, neue Beratungsstellen für Jugendliche zu gründen, ist für Condrobs fraglich. Für die Jugendhilfefachleute der Stadt Nürnberg müsste es schließlich möglich werden, kontrolliertes Cannabis problemloser zu beziehen. „Je mehr dies der Fall wäre, desto eher würde der Handel auf dem Schwarzmarkt zurückgehen“, so das Jugendamt.
Dem kann Nadine Rieß vom Nürnberger Cannabis Social Club nur beipflichten. Es bräuchte Fachgeschäfte, meint sie, in denen man hin und wieder ein paar Gramm Haschisch erwerben kann. Niedergelassene Ärzte seien „sehr zögerlich“ mit der Verschreibung von Cannabis. Oft bleibt nach ihren Worten nichts weiter übrig, als über Onlineärzte zu gehen.
Rieß sieht am Beispiel ihrer Heimatstadt Nürnberg, dass der Schwarzmarkt unvermindert blüht. Weil es noch gewaltig hakt mit der Umsetzung des Cannabisgesetzes, hilft sie mit, am 3. Mai in Nürnberg eine Demo für eine echte Legalisierung zu organisieren.
Auch das Nürnberger Ordnungsamt sieht es als problematisch an, dass immer mehr Cannabiskonsumenten via Internet an ärztliche Atteste für Medizincannabis kommen. Das Sozialamt der Stadt bestätigt Nadine Rieß’ Beobachtung, dass der Schwarzmarkt nicht ausgetrocknet wurde. Das Polizeipräsidium Mittelfranken geht davon aus, dass er sogar zunahm.
Der Schwarzmarkt für Cannabis blüht
Dem bayerischen Justizministerium macht nicht zuletzt der Zusatzaufwand bei Staatsanwaltschaften und Gerichten zu schaffen. Das betrifft zum einen den im Gesetz vorgesehenen Straferlass. Um den umzusetzen, müssten die Staatsanwaltschaften rund 41 500 Akten händisch prüfen. Bis Ende vergangenen Jahres wurden 41 Gefangene auf Basis des neuen Gesetzes aus der Haft entlassen.
Viel Arbeit beschert auch die zu Jahresbeginn eröffnete Möglichkeit für vor April 2024 Verurteilte, den Eintrag im Bundeszentralregister tilgen zu lassen. Das Ministerium rechnet mit einer Flut von Anträgen. (Pat Christ)
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