Leben in Bayern

Jugendgewalt, sei es mit dem Smartphone, den Fäusten oder dem Messer, wird seit Jahren auch in Schulen ein immer drängenderes Thema. (Foto: dpa/Frank Hammerschmidt)

29.04.2024

Konzepte gegen Gewalt an Schulen gesucht

Schlägereien unter Schülern, Attacken auf Lehrer: Die Polizei registriert mehr Übergriffe an den Schulen. Lösungen für ein besseres Klima in den Klassen müssen her

Sie heißen "faustlos", "zammgrauft", "Mach dein Handy nicht zur Waffe" oder einfach "Gemeinsam Klasse sein" - und haben alle nur ein Ziel: ein friedliches Miteinander aller, die tagtäglich in Bayerns Schulen unterwegs sind. Landesweit gibt es zahlreiche Präventionsprojekte, damit Schülerinnen und Schüler lernen, Konflikte gewaltlos zu lösen. Jugendgewalt, sei es mit dem Smartphone, den Fäusten oder dem Messer, wird seit Jahren ein immer drängenderes Thema - nicht nur im Schulkontext. Ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt: Die Polizei registriert immer mehr gewalttätige Jugendliche. 

Isolation während Corona, Verrohung in der Gesellschaft, fehlende Medienkompetenz und überforderte Eltern - es gibt nach Ansicht vieler Experten nicht den einen Grund, warum Mädchen und Jungen handgreiflich werden: "Wir in unserem Institut beobachten schon länger, dass es zunehmend an grundlegenden sozialen Kompetenzen fehlt, welche den Kindern und Jugendlichen dabei helfen könnten, in schwierigen Situationen, bei Problemen oder bei sich anbahnenden oder schon bestehenden Konflikten gut zu reagieren", erzählt Sozialpädagoge Ronny Fleck. Er arbeitet beim Institut für traumazentrierte Erlebnistherapie, Erlebnispädagogik und Sozialkompetenz im oberfränkischen Bad Staffelstein und ist mit Kindern und Jugendlichen unterwegs, deren Leben aus verschiedenen Gründen aus der Spur geraten ist.  

"Kinder mit mannigfaltigen Krisen wissen sich oft nicht anders zu helfen", sagt Simone Fleischmann, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes. Ein großes Problem seien Gewaltdarstellungen im Netz. "Wir müssen dieses Gewaltpotenzial im virtuellen Raum in die Schulen reinholen, über Verfehlungen sprechen." Elternhäuser seien beim Thema Medienerziehung oft ein Komplettausfall. 

Teenager tötet Teenager – reine Mordlust?

Bundesweit haben in den vergangenen Monaten mehrere Gewaltverbrechen von Kindern und Jugendlichen aufgeschreckt. Vor rund einem halben Jahr riss ein 14-Jähriger das beschaulich im Spessart gelegene Lohr am Main brutal aus seiner Ruhe. Womöglich aus reiner Mordlust, nach dem Vorbild eines amerikanischen Serienmörders, soll der deutsche Schüler der ansässigen Mittelschule einen gleichaltrigen Italiener auf dem Schulgelände erschossen haben. Eine Kugel, von hinten direkt in den Kopf. 

"Er hat die Tat nur begangen, um jemanden zu töten", berichtet ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Am 3. Mai beginnt der Mordprozess am Landgericht Würzburg. Die Öffentlichkeit wird in dem Verfahren ausgeschlossen sein. Dies ist laut Gesetz immer der Fall, wenn sich das Verfahren ausschließlich gegen einen Jugendlichen richtet. 

Die Tatwaffe gehörte legal einem Nachbarn des Angeklagten. Wie der Schüler an die Pistole kam, ist öffentlich nicht bekannt.  

Warum? Familie hofft auf Antwort

Der Verdächtige schweigt seit seiner Festnahme am Tattag, dem 8. September 2023, zu den Vorwürfen. Den Ermittlern zufolge soll der Deutsche vom Serientäter Jeffrey Dahmer, "Kannibale von Milwaukee" genannt, fasziniert gewesen sein. 

Ob er sich tatsächlich derart inspirieren ließ, muss in dem Verfahren geklärt werden. "Die Eltern beschäftigt dieses Warum", erzählt der Anwalt der Nebenkläger, Norman Jacob senior. "Die Familie möchte auf jeden Fall, dass das Motiv aufgearbeitet wird. Warum?" Die Tat gleiche einer Hinrichtung: "Das ist eine in dem Alter kaum nachvollziehbare Begehensweise. Es gibt für mich keinen Konflikt unter Gleichaltrigen in einer Gruppe, der es rechtfertigt, jemandem von hinten in den Kopf zu schießen."

Schwere Verbrechen von Minderjährigen selten

Tödliche Gewalt ist an Deutschlands Schulen außergewöhnlich. Bundesweit haben in den vergangenen Monaten mehrere Verbrechen von Jugendlichen aufgeschreckt - etwa ein tödlicher Messerangriff auf eine Schülerin nahe Heidelberg.  

Die Zahl der 14- bis 18-jährigen Verdächtigen bei allen Straftaten - also auch Raub, sexuelle Übergriffe und Körperverletzung - stieg bundesweit 2023 innerhalb eines Jahres laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) um 9,2 Prozent auf gut 207.000 (2022: rund 189.000). Besonders hoch war der Zuwachs den Angaben zufolge bei ausländischen Minderjährigen. Allerdings stieg auch der Anteil nicht deutscher Kinder und Jugendlicher an der Bevölkerung, vor allem durch Zuwanderung.

Schläge, Tritte, sexuelle Übergriffe: Betrachtet man allein die bayerischen Schulen, werden immer mehr Fälle von Gewalt bekannt. 2023 registrierten die Behörden im Vergleich zum Vorjahr 24,5 Prozent mehr Fälle von Gewalt, wie Landespolizeipräsident Michael Schwald kürzlich erklärt. Die Zahl sei vor allem darum bemerkenswert, weil der Anstieg deutlich drastischer ausfalle als bei den Gewaltdelikten insgesamt, unabhängig vom Tatort. Dort lag der Anstieg bei rund 4 Prozent. "Da ragt die Schule als Tatort heraus." Unter den 9620 Fällen "mit der Tatörtlichkeit Schule" seien im vergangenen Jahr 690 Gewaltdelikte gewesen. 

Jugendliche Streitschlichter 

Doch wie der Problematik Herr werden? Das Kultusministerium in München verweist auf eine Vielzahl von Angeboten, die Lehrkräfte aber auch Eltern zur Prävention nutzen könnten. An Schulen wie der Mittelschule in Lohr arbeiten Schüler mit Boxtrainern in Workshops zu Themen wie Grenzen und Gewalterfahrung zusammen. An vielen Schulen gibt es mittlerweile auch Streitschlichter, also ältere Schüler, die Kindern bei Problemen helfen. "Streitschlichtung ist ein Beitrag zu einem positiven Schulklima. Die Schülerinnen und Schüler müssen nicht bei den Lehrkräften petzen", erklärt das Zentrum Bayern Familie und Soziales mit Sitz in Bayreuth. Außerdem gibt es private Anbieter oder Initiativen der örtlichen Polizeien, damit Schülerinnen und Schüler nicht zu Tätern werden. 

Sozialpädagoge Ronny Fleck blickt vor allem auf den Medienkonsum der Jugend kritisch: "Vor der Zeit der Kurznachrichtendienste und Social Media musste man persönlich mit einer Person sprechen und erhielt eine Rückmeldung in Form von Worten, Mimik, Gestik oder Stimmlage." Das bleibe heutzutage oftmals aus. "Und so sinken die Hemmschwellen in vielen Bereichen des Lebensalltags von Kindern und Jugendlichen." (Angelika Resenhoeft, Cordula Dieckmann, dpa)

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