Leben in Bayern

Im Inneren der aufgrund ihrer Historie belasteten Nürnberger Kongresshalle entsteht ein Interimsgebäude des Nürnberger Opernhauses. (Foto: dpa/Karmann)

28.06.2024

Kultur am Ort der Unkultur

Die Stadt Nürnberg will eine Spielstätte des Staatstheaters in einem riesigen Monument der Nazis schaffen – darf sie das?

Schön hässlich ist es hier. Kira Krüger, Florin Weber und Max Pospiech stehen auf der Aussichtsplattform am Rande des Innenhofs der Nürnberger Kongresshalle. Die jungen Künstler schauen in das Halbrund dieses Möchtegern-Mega-Kolosseums. Ein Bauwerk, das sie einfach nicht loslässt. Dort unten sieht man vereinzelt Bauarbeiter herumlaufen, ein Bagger schüttet einen Erdhaufen auf, ein Teil der Fassade ist eingerüstet.

Für nicht Ortskundige sollte man es vielleicht sicherheitshalber erklären: Es handelt sich bei der Kongresshalle nicht um irgendein Messezentrum, wie der Name einen anzunehmen verleiten könnte. Vielmehr ist die Kongresshalle nach dem von der NS-Organisation Kraft durch Freude errichteten Ostseebad Prora auf Rügen der größte noch erhaltene Monumentalbau der Nazis.

Wobei: „Erhalten“ trifft es nicht ganz. Denn anders etwa als das benachbarte Zeppelinfeld mit der Zeppelintribüne wurde die Kongresshalle nie fertiggestellt. Es ist ein monströser, dem Kolosseum in Rom nachempfundener, hufeisenförmiger Bau, neoklassizistisch bis zum Gehtnichtmehr, 39 Meter hoch. Fast doppelt so hoch hätte er werden sollen, darüber hatten sich die Baumeister der Nazis ein riesiges, freitragendes Dach vorgestellt. Hitler wollte hier die Parteikongresse der NSDAP in Szene setzen. Doch nach Kriegsausbruch kamen die Bauarbeiten zum Erliegen.

Seit Kriegsende hat die Stadt sich immer wieder die Frage gestellt: Was tun mit diesem steinernen Koloss? Mal überlegte man sich, die Halle in ein Fußballstadion umzufunktionieren, mal, ein Einkaufszentrum daraus zu machen. Die Pläne zerschlugen sich alle, stammten auch aus einer Zeit, in der man so etwas wie Erinnerungskultur kein allzu großes Gewicht beimaß. Was man stattdessen knapp 80 Jahre lang tat, war – nichts. Ein paar der Räumlichkeiten wurden zu Lagerzwecken vermietet.

Die Idee kam 2021 auf

Neuen Schwung bekam die Debatte erst, als die Stadt im Jahr 2021 die Idee gebar, ihrem Opernhaus hier ein zumindest zeitweiliges Obdach zu gewähren. Vom „Operninterim“ ist seither die Rede. Und nicht nur die Oper sollte hier einen Platz finden, in einem Teil der Halle, so dachte man sich, könnte man auch ein paar Ateliers, Proberäume und Galerien unterbringen. Ein richtiges Kulturzentrum eben. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) gab die passende Parole dazu aus: einen Ort der Unkultur mit Kultur besetzen.

Max Pospiech, Kira Krüger und Florin Weber halten wenig von diesem Ansatz. Die drei haben im vergangenen Herbst mit fünf Mitstreiter*innen, allesamt Student*innen der Kunstakademie Nürnberg, im Kunstverein Nürnberg eine Ausstellung zum Thema gemacht. Zur Geschichte der Kongresshalle, aber auch zu der nun geplanten Nutzung. Jetzt also stehen sie hier und blicken – wie jährlich Zigtausende Besucher*innen – in das Innere dieses riesigen Hufeisens. Für sie hat vor allem diese Ödnis eine ganz besondere Bedeutung, dieses Nichts an der Stelle, an der die Nationalsozialisten sich so Pompöses ausgemalt hatten, dem Führerkult huldigen wollten.

„Das macht einerseits diesen Größenwahn erlebbar“, sagt Pospiech, „andererseits aber auch dieses Scheitern.“ Dieses Erleben würde doch stark beeinträchtigt, findet der 28-Jährige, wenn da nun ein Opernhaus in dem Halbrund stünde. In der Tat soll das neue Opernhaus in den Hof der Kongresshalle gebaut werden, an die nordwestliche Seite. Das steht bereits fest. Wie allerdings das Gebäude aussehen wird, ist noch nicht bekannt.

Erst am 10. Juli wird der von einer Kommission ausgewählte Entwurf präsentiert. Eine Woche später soll ihn der Stadtrat absegnen. Das Gebäude soll jedenfalls, so die Vorgabe, den eigentlichen Theaterraum sowie eine Probebühne und einen Orchesterprobesaal beinhalten, die weiteren notwendigen Räumlichkeiten sollen im bestehenden Rundbau der Kongresshalle selbst untergebracht werden. Dort sollen auch die Ateliers und Proberäume Platz finden, von „Ermöglichungsräumen“ sprechen sie im Rathaus gern. Für sie sollen vier der 16 Segmente des Rundbaus hergerichtet werden – eine Fläche von insgesamt 7000 Quadratmetern. „Ein einzigartiger und innovativer Kulturort“ solle es werden, der „mit den Mitteln der Kunst eine zukunftsgerichtete Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert“, heißt es in der Rathaus-PR.

Wenn allerdings die Auseinandersetzung mit der Geschichte allzu sehr in die Zukunft gerichtet ist, so fürchten nun Kritiker*innen, könnte der so wichtige Blick in die Vergangenheit getrübt werden. „Das ist, glaube ich, eher eine Art Schlussstrich, der hier gezogen werden soll“, meint auch Pospiech.

Dass das bisherige Opernhaus in einem sehr maroden Zustand ist und dringend einer Sanierung unterzogen werden muss, ist seit Jahren bekannt. Doch lange tat sich nichts. Erst als vor drei Jahren die Überlegung aufkam, der Oper im Hof der Kongresshalle eine neue Heimstatt zu bieten, ging plötzlich alles ganz schnell. Noch im Dezember 2021 entschied der Stadtrat einmütig, dass die Oper während der Sanierung und Erweiterung des Stammhauses dorthin ziehen solle. Es ist die Befürchtung, dass die Kunst von dem, was ihr da abverlangt wird, überfordert sein könnte, die einige – nicht nur eine Handvoll Studierende – umtreibt.

Nicht irgendein NS-Bau

Einer, der die Kongresshalle besonders gut kennt, ist Hans-Christian Täubrich. Er war Gründungsdirektor des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände und bis 2014 dessen Chef, hat sogar ein 180 Seiten starkes Buch über die Kongresshalle herausgegeben. Er könne sich nicht vorstellen, ließ er die Süddeutsche Zeitung im Interview wissen, dass Nachfahren von NS-Opfern es goutieren würden, wenn da plötzlich Menschen in Abendgarderobe in den Innenhof der Kongresshalle kämen, um Hitlers geliebtem Wagner zu lauschen. Täubrich verweist auf die Einzigartigkeit des Nazibaus. Es sei eben nicht irgendeine NS-Kaserne, wie es sie in jeder größeren Kleinstadt gebe. Hier seien beim Reichsparteitag im September 1935, demselben Reichsparteitag, bei dem der Grundstein für die Halle gelegt worden sei, auch die Rassengesetze der Nazis verkündet worden.

Das alles kann man natürlich auch ganz anders sehen. Und das tut Julia Lehner. Sie ist Nürnbergs Zweite Bürgermeisterin und für die Kultur zuständig. Manchen gilt die CSU-Politikerin gar als die Erfinderin des Operninterims in der Kongresshalle. Von mangelnder Transparenz will Lehner überhaupt nichts hören. Das Gegenteil sei schließlich der Fall. Schon im Zuge der Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2019 habe man in einem sehr offenen Prozess sich auch dem Thema Erinnerungskultur gewidmet. Und dabei habe sich immer mehr herauskristallisiert, dass der Wunsch besteht, diese bislang der Öffentlichkeit überwiegend verschlossenen Räume einer weiteren kulturellen Nutzung zuzuführen. Da man zugleich auf der Suche nach einem temporären Obdach für die Oper war, kam man schließlich auf die Idee mit der Oper.

„Für mich war das dann plötzlich sehr schlüssig“, sagt Lehner. Das Areal gehöre ohnehin der Stadt, Miete falle also nicht an; es gebe keine weitere Versiegelung von Flächen, das Ganze sei also eine nachhaltige Angelegenheit. Ein in Lehners Augen sehr wichtiger Punkt ist, dass in der Kongresshalle im Unterschied zum Zeppelinfeld und der Zeppelintribüne nie Geschichte geschehen sei. Natürlich könne man anhand des unvollendeten Baues „diese Mission dieser Gigantomanie“ nachvollziehen, aber es habe hier eben nie ein Parteikongress stattgefunden.

Politikerin verteidigt Plan

In der Tat macht es ja für den Umgang mit einer Örtlichkeit einen Unterschied, was dort geschah. War es ein Opferort? Ein Täterort? Oder nur ein Möchtegernort? Eine Frage, für die Jörg Skriebeleit Experte ist. Er leitet die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Es gebe keinen Masterplan Erinnerungskultur, sagt Skriebeleit, der festlege, welche Stätten in dieser oder jener Form konserviert werden müssten. Ein solcher Ansatz sei ahistorisch und apolitisch. „Solche monströsen Täterhinterlassenschaften wie die Kongresshalle üben eine Anziehungskraft aus – nicht wegen der Faszination des Grusels, sondern wegen der erhofften historischen Nähe.“

Skriebeleit, selbst bekennender Opernbanause, war Mitglied der Jury, die entschied, wo auf dem Kongresshallengelände der Opernbau stehen soll. „Ich persönlich habe zugestimmt, weil ein Interim eine Übergangslösung ist und die immer wieder notwendige Befragung ermöglicht“, sagt Skriebeleit. Aber was hat es denn nun mit dem Interim tatsächlich auf sich? Nach zehn Jahren, hieß es anfangs, könne die Oper ja in ihr dann saniertes Stammhaus zurückkehren, das neue Gebäude in der Kongresshalle wieder entfernt werden.

Davon ist längst keine Rede mehr. Fakt ist, dass die Stadt den Bau ohne Fördermittel des Freistaats nicht wird stemmen können – und die können nur fließen, wenn das Gebäude mindestens 25 Jahre steht. So lange wird es also mindestens werden. Und die Vorstellung fällt schwer, dass sich danach noch jemand an diesen besonderen Blick in die Leere erinnert und für einen Abriss plädiert. 

Die Erwartungen an die Oper sind hoch. „Wir werden unsere Arbeit als permanenten Exorzismus verstehen, einen andauernden Anti-Reichsparteitag“ kündigte Staatsintendant Jens-Daniel Herzog in der SZ an. Dem setzt der Ex-Dokumentationszentrumsleiter Täubrich eine Portion Sarkasmus entgegen. Er wolle sich dem Willen der Stadtratsmehrheit beugen, sagt er, zuvor jedoch noch einen Vorschlag zur Güte machen: Opernbesucher sollten künftig von einer großen Tafel, womöglich aus Flossenbürger Granit, im Speer’schen Ausmaß empfangen werden, mindestens 7 Meter hoch. „Darauf steht zu lesen: Herzlich willkommen im Opernhaus Nürnberg! Der Grundstein zu dem Bau wurde 1935 gelegt, als anlässlich des NS-Parteitages auch die Rassengesetze verlesen wurden. Darunter klein der Hinweis: Zur Sektbar geht’s rechts rüber. Und dann ab in die Zauberflöte.“ (Dominik Baur)
 

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