Leben in Bayern

21.08.2020

Kunst am Hut

Der Oberbayer Johann Schober ist achtfacher Olympia-Sieger im Gamsbartbinden

Haar für Haar zur Perfektion: Seit 35 Jahren bindet Johann Schober Gamsbärte. Für ein einziges Exemplar benötigt er das Haar von fünf bis sechs Böcken. Für den 77-Jährigen war bereits als Kind klar, dass er diese Tradition weiterführen will. Und aussterben wird das Handwerk in Mittenwald zur Freude Schobers so bald nicht. Sein Großneffe Christoph will in seine Fußstapfen treten.

Das hat im Alpenraum eine lange Tradition: Schon Kaiser Maximilian I. trug bereits im 15. Jahrhundert nachweislich einen Gamsbart. Der war sehr einfach von Hand hergestellt worden. Die Gamshaare wurden aus dem Rücken eines Bocks herausgeschnitten, zusammengerollt, mit einem Draht geschickt umwickelt und auf einen Hut gesteckt. Fertig war der Gamsbart für den Kaiser!

Die Herstellung eines Gamsbarts hat sich mittlerweile stark verändert: Dahinter steckt heute eine kleine Wissenschaft für sich. Johann Schober aus Mittenwald gehört zu den 200 Bartbindern in der Alpenregion, die dieses traditionelle Handwerk noch beherrschen. Der 77-Jährige verrät: „Das, was der Kaiser damals auf dem Hut hatte, war ein sogenannter Radlbart. Heute dagegen werden die Gamsbärte viel aufwendiger hergestellt.“

Johann Schober muss es wissen, denn schon als Bub wollte er gerne die Tradition des Gamsbartbindens lernen. „Ich habe einigen Bartbindern bei der Arbeit zuschauen dürfen. Das hat mich damals schon fasziniert. Mittlerweile binde ich seit 35 Jahren Gams-, Dachs-, Sau- und Hirschbärte. Die Dachshaare fühlen sich weich an, Hirsch- und Gamshaare dagegen sind hohl, fast wie ein Strohhalm. Gamsbartspitzen sollten nicht berührt werden, das ist ein Sakrileg.“

Bis so ein Gamsbart fertig ist, braucht man Geschick, Erfahrung, die nötige Geduld, Ruhe und natürlich Grannenhaar vom Aalstrich am Rücken des Gamsbocks: „Nicht jedes Tier hat auch entsprechende Haare. Das können zum Beispiel von 100 Böcken vielleicht nur zehn sein“, sagt Johann Schober, „und nicht jedes Haar ist auch gesund und glänzt. Da braucht man viel Glück. Für einen Bart benötige ich die Haare von fünf bis sechs Böcken. Das schöne Aussehen eines Gamsbarts steht und fällt mit den Haaren.“

100 Stunden braucht Schober, um die Haare auszusuchen

Hat Johann Schober endlich seine Traumhaare von einem Jäger bekommen, so beginnt für ihn die eigentliche Arbeit: Dann wird genau aussortiert. Alles, was stumpf und blind ist, kommt wieder weg. Er stößt die Wurzeln der Haare, damit sie auch gleich lang sind, kämmt die Grannen, wäscht diese, lässt sie an der Luft trocknen und kämmt sie erneut gleich lang. Anschließend werden etwa 150 Haare zu kleinen Büscheln gebunden, erneut nach Länge sortiert und zu einem Bart zusammengefasst. Für einen richtig schönen Gamsbart benötigt Schober etwa 200 bis 300 Büschel. Dabei hat er jedes einzelne Haar mehrmals in der Hand, um es genau auf Farbe, Länge und Qualität zu prüfen.

Ein guter Bart besteht aus 30 000 bis 45 000 Haaren. „Ich benötige etwa 100 Stunden, um die Haare auszusuchen, und 50 Stunden dann für das Binden. Nach etwa vier Stunden ist aber eine Pause angesagt. Ich habe das Bartbinden immer als reines Hobby, nach Lust und Liebe gemacht“, sagt Schober. „Nachschubsorgen“ hat er nicht: „Bei uns im Karwendel gibt es viele Gämsen und ich kenne auch viele Jäger. Mancher Bauer hat oft eine eigene Jagd und er gibt die Gamsbarthaare dann auch gerne weiter.“

Erst im 18. Jahrhundert wurde durch Erzherzog Johann von Österreich der Gamsbart richtig salonfähig. Der Erzherzog besuchte in seinem Trachtengewand oft und gerne die Steiermark. Auf dem Kopf: ein Hut mit einem Gamsbart. In Bayern machte es ihm Prinzregent Luitpold nach. Er trug gerne bei offiziellen Anlässen seinen Hut geschmückt mit einem Gamsbart.

Auch Frauen tragen heute gerne Hüte mit Gamsbart

Dem hiesigen Adel hat diese Kopfbedeckung so gefallen, dass diese für eine typische jagdliche Tracht einfach nicht mehr wegzudenken war. Diese Tradition ist bis in unsere heutige Zeit so geblieben. Auch Frauen tragen mittlerweile gerne Hüte mit einem Gamsbart.

Was viele nicht wissen: Seit 1960 gibt es sogar eine Gamsbart-Olympiade, die mittlerweile alle zwei Jahre stattfindet, abwechselnd in Bad Goisern im Salzkammergut und in Mittenwald. Bei diesem Wettbewerb werden die schönsten Gams-, Dachs- und Hirschbärte von ihren Trägern präsentiert. Eine strenge sechsköpfige Jury aus Fachleuten aus Bayern und Österreich bewertet die Gamsbärte nach ihrer Optik und Qualität. Johann Schobers Bärte gefielen bisher immer. Bei elf Teilnahmen erreichte er achtmal den ersten, zweimal den zweiten und einmal den dritten Platz in der Königsklasse.

Dieses traditionelle alpenländische Handwerk der Gamsbartherstellung wird in Mittenwald nicht aussterben – dafür sorgt schon Schobers Großneffe Christoph, der gerne in die Fußstapfen seines Onkels treten möchte. Er schaut ihm öfters bei der Herstellung eines Gamsbarts über die Schulter. Das freut Schober sehr, denn für ihn ist dies eine große Erfüllung: „Wenn mir ein Gamsbart besonders gut gelungen ist, stehe ich manchmal nachts dafür auf und schaue mir mein Schmuckstück nochmals an“, sagt er – und fügt an: „Die Sache muss dich von innen raus freuen.“ (Sabine Neumann)

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