Leben in Bayern

Zu sehen im Waffenmuseum im Landeskriminalamt: Eine Handtasche, die wie ein Schlagring getragen werden kann. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

17.05.2016

Lippenstift mit Messer und Schlagring-Tasche

Mit dem Lippenstift kann eine Frau Wunden reißen. Auch Spazierstock und Pfeife sind keineswegs harmlos. Sie können schießen. Das Münchner Polizeimuseum hat kuriose Waffen gesammelt - und solche, die Geschichte schrieben

Ein gelber Bademantelgürtel diente als Schultergurt für eine Kalaschnikow, eine andere hielt eine rotkarierte Krawatte auf der Schulter der Terroristen. An der dritten Waffe hängt ein Zettel, darauf steht in sauberer Handschrift: "Leiche 4". Die Waffen der Olympia-Attentäter von München liegen im Münchner Polizeimuseum. Mitglieder des palästinensischen Terrorkommandos "Schwarzer September" hatten am 5. September 1972 das Athletendorf gestürmt und elf israelische Sportler und Trainer als Geiseln genommen. Jetzt verwaltet die Waffen Kriminalhauptkommissar Ludwig Waldinger - der von sich selbst sagt, dass er Waffen verabscheut. In seinem Sortiment hat Waldinger auch die zierliche Pistole, mit der Vera Brühne 1960 gemeinsam mit einem Komplizen den Arzt Otto Praun und dessen Haushälterin Elfriede Kloo ermordet haben soll. Oder die Pistole, die Kommissar "Derrick" im wahren Leben trug. Es ist eine Gas-Pistole. "Horst Tappert hat so in der Rolle gelebt, dass er tatsächlich dachte, er wäre Polizist", berichtet Waldinger. Weil er aber keiner war und keinen Waffenschein hatte, durfte er nur eine Gas-Pistole besitzen. Seine Witwe hat sie dem Museum vermacht.

Was die Polizei zusammengetragen hat, könnte in James Bond-Filmen vorkommen

Was die Polizei zusammengetragen hat, könnte auch in James Bond-Filmen vorkommen. Farbenfrohe Kugelschreiber, die schießen können, ein Spazierstock, aus dem ein Totschläger hervorspringt - und ein Lippenstift, aus dem sich statt roter Farbe ein Minimesser schraubt. Auch die teure Designer-Damenhandtasche von Alexander McQueen könnte als Waffe missbraucht werden: Ihr Griff ist einem Schlagring sehr ähnlich. Zwei der rund 3000 Euro teuren Täschchen wurden Damen am Flughafen abgenommen. Bis Beamte den Taschen Legalität bescheinigten, waren die Damen weitergereist. Die Taschen kamen ins Museum. Zu der 350 Stücke umfassenden Sammlung gehören eine schießfähige Pfeife und ein Schieß-Schlüssel. "Und wenn einem der Schlüssel weg genommen wird, kann man auch mit dem Schlüsselbund schießen", sagt Waldinger. Im Stock eines Wilderers steckt eine Kleinkaliberfunktion. "Da kann man nicht aus 300 Metern einen Hirsch erlegen. Aber man kann aus kurzer Distanz auf Tiere schießen. Oder auf Menschen." Waldinger bekommt die Waffen manchmal zehn Jahre nach Abschluss eines Verfahrens, wenn die Asservate nicht mehr aufbewahrt werden müssen. Andere Waffen werden abgegeben. Eine Frau fand in einem Geigenkasten auf dem Speicher nach dem Tod ihres Mannes eine Maschinenpistole - und brachte sie zur Polizei. Einige Waffen stammen auch aus der Zeit der Amnestie, mit der die Behörden nach dem Amoklauf von Winnenden von 2009 die illegalen Waffen aus deutschen Haushalten bekommen wollten.

Kriminelle schätzen zunehmend alte Pistolen, die sie wieder scharf machen

Das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden sammelt auch Waffen, unter anderem, um über ein Exemplar jedes Modells zu verfügen. "Wir können so Vergleichsschussabgaben machen, wenn am Tatort Spuren gefunden wurden", sagt BKA-Sprecherin Barbara Hübner. Eine solches "Lexikon" hat auch das Landeskriminalamt, dort sind etwa 7000 Waffen für Gutachter verfügbar. Am Tatort entdeckte Waffen und Projektile werden ebenfalls registriert. Mehr als 9000 Stück Waffen und Munition hat das BKA gespeichert. Werden Projektile derselben Waffe bei anderen Taten sichergestellt, lässt sich der Zusammenhang ermitteln. "Jeder Schuss hinterlässt auch an der Munition, an Projektil und Hülse, eindeutige Spuren", sagt Hübner. "Wenn wir Munition finden, die aus derselben Waffe geschossen wurde, können wir das nachvollziehen." So waren auch die neun Morde an Opfern türkischer und griechischer Herkunft, die dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) angelastet werden, auf ein und dieselbe Mordwaffe zurückgeführt worden. Die Ceska der mutmaßlichen rechtsextremen Terroristen wurde in deren Wohnung in Zwickau sichergestellt - als wesentlicher Puzzlestein zur Enttarnung des NSU.

Klingt harmlos, ist aber äußerst effektiv: die Kartoffelkanone

Kriminelle schätzen zunehmend alte Pistolen, die gemeinhin der Schießfunktion beraubt die Wand zieren. Sie sind günstig legal zu erwerben und können mit wenig Aufwand wieder scharf gemacht werden. Auch BKA-Sprecherin Hübner sieht einen Trend, Deko-Waffen illegal umzubauen. Waldingers Waffenkammer birgt auch einfachste Pistolen-Varianten: ein Rohr auf ein Brett geschraubt. Pulver und Projektil werden im Rohr platziert und gezündet. Waffen Marke Eigenbau sind gefährlich: Der Schuss kann nach hinten losgehen - und den Bastler schwer verletzen. Besonders harmlos klingt die ähnlich einfach gebaute Kartoffelkanone. Sie beschleunigt Erdäpfel aber immerhin auf 150 Stundenkilometer - so dass sie Glas durchschlagen. "Kartoffeln dürfen Sie zwar so kaufen. Aber das ist eine Schusswaffe", sagt Waldinger. Und damit: verboten. (Sabine Dobel, dpa)

INFO: Vom Küchenmesser zum Morgenstern - kleines Waffenrecht

Messer, Gabel, Schere und Licht: Ein Küchenmesser mit langer Klinge ist am heimischen Herd völlig legitim. Unterwegs dabei darf sie aber höchstens zwölf Zentimeter lang sein. Am Flughafen wird wiederum aus dem Handgepäck oft schon die Nagelfeile kassiert. Die Regeln, was neben waffenscheinpflichtigen Schusswaffen erlaubt ist, sind kompliziert. Eine Auswahl: Softair-Waffen: Bis zu einer Geschossenergie von 0,5 Joule frei verkäuflich. Aber: "Man darf sie nicht mitführen", sagt Ludwig Waldinger vom Bayerischen Landeskriminalamt. Viele Überfälle wurden mit solchen Waffen verübt - denn sie sehen täuschend echt aus. Elektroschocker: Erlaubt mit Prüfzeichen. Verbotene Geräte sind teils als Taschenlampe, Zigarettenschachtel, Schirm oder iPhone getarnt. Schlagring: Verboten. Als Accessoire an teuren Damenhandtaschen von Alexander McQueen: erlaubt. Zwei der Täschchen wurden am Münchner Flughafen sichergestellt. Experten gaben sie frei: Keine Waffen. Ebensowenig wie eine Kaffeetasse mit einem Schlagring-ähnlichen Griff. Messer: Nach deutschem Recht verboten sind Faustmesser, Fallmesser, Butterflymesser - das sind Faltmesser mit schwenkbaren Griffen - und Springmesser, deren Klinge nach vorne herausschnellt oder die mehr als 8,5 Zentimeter lang ist. Andere Taschenmesser sind erlaubt, auch Einhandmesser, deren Klinge mit einer Hand geöffnet werden kann. Für das Führen braucht es aber ein plausible Begründung. Dolche, Schwerter, Wurfmesser und Säbel: Der Besitz ist ab 18 Jahren erlaubt. In der Öffentlichkeit darf man sie aber nicht mitnehmen, ebenso wie feststehende Messer mit einer Klinge über zwölf Zentimeter Länge. Ein Lippenstift mit Mini-Messerchen drin: Erlaubt. Dekorationswaffen: Alte Pistolen, die nicht mehr zum Schießen taugen: Erlaubt. Sobald sie wieder funktionstüchtig gemacht werden, hängt es von der einzelnen Waffe ab. Historische Waffen: Morgensterne und Kampfschlegel gab es seit dem Mittelalter. Der mit Zacken versehene Kopf ist an einem Stab oder an einer Kette befestigt. Zur Zierde im Wohnzimmer: Erlaubt. In der Öffentlichkeit, auf Volksfesten oder bei Ritterspielen: verboten. Totschläger: Mehr oder weniger die Weiterentwicklung des Morgensterns. Der Federstahl mit Gewicht vorne dran bringt durch eine Art Peitscheneffekt die Wucht, einen Schädel zu zertrümmern. Im Internet erhältlich, aber nach dem deutschen Waffengesetz verboten. (dpa) Fotos (Sven Hoppe/dpa): Farbenfroh und scharf: Schießkugelschreiber.
Waffen, die bei Kontrollen oder Durchsuchungen sichergestellt worden sind.

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