Sie hatten der Fußball-EM entgegengefiebert: die Mädchen der Juniorinnen-Mannschaft des ESV München. Aber auch, wenn Deutschland am Dienstag im Achtelfinale rausgeflogen ist, die Spielerinnen beim ESV sind mit Leidenschaft dabei. Zu lange hatten sie im Lockdown Trainingspause. Was sie sich neben sportlichen Erfolgen wünschen: noch mehr Mitstreiterinnen.
Für sie gibt es derzeit nur zwei Dinge: die EM – und die eigenen Tore. Für die Fußballmädchen des ESV München ist die Europameisterschaft nicht nur Highlight des Sommers, sondern Ansporn, selbst am Ball zu bleiben. „Klar, ich sehe mir jedes Spiel an, wir fiebern alle mit“, sagt die 16-jährige Keisha von den U17-Juniorinnen beim Fußballtraining des ESV am Nymphenburger Park. „Das motiviert mich schon sehr.“ Die 16-jährige Zoe nickt. „Ich bin begeistert von der Europameisterschaft und schaue sie mir mit meiner Familie an.“ Wer gewinnt? „Deutschland natürlich“, ist sich die 16-jährige Flora mit allen anderen einig. Das Achtelfinale, an dem die deutsche Mannschaft gegen England rausfliegt, steht zu diesem Zeitpunkt noch bevor.
Aber egal, am meisten zählt für die Mädchen ohnehin der Spaß am eigenen Spiel. Auch der Trainer, Helmut Mai, freut sich sichtlich, dass es jetzt mit den Corona-Lockerungen endlich wieder losgehen konnte mit dem Training. Die meisten seiner 15 B-Juniorinnen trainieren schon seit Jahren hier. Doch das ist keine Selbstverständlichkeit. Junge Frauen, die im Verein kicken, sind in Deutschland und vor allem auch in Bayern noch immer in der Minderheit. Nach einer Vergleichsstudie der Uni Würzburg brach im Freistaat zwischen 2010 und 2018 fast jedes zweite Juniorinnen-Team weg. Besonders dramatisch: die Lage in strukturschwachen Gebieten wie in Nordbayern. In Städten wie München ist die Situation besser, wie Trainer und Turnier-Koordinator Mai weiß. „Trotzdem haben es die Vereine schwer, genügend Spielerinnen zu finden.“
„Wir versuchen den Mädchen- und Frauenfußball mit allen Mitteln zu pushen. Mein Problem ist nicht, dass uns der Platz oder die Trainer fehlen, sondern dass wir die Spielerinnen nicht bekommen“, erklärt auch Andreas Hinmüller, Jugendleiter der Fußballabteilung des ESV. Während dort rund 480 Jungen in bis zu drei Mannschaften pro Jahrgang spielen, trainieren insgesamt nur an die 100 Mädchen in zwei, teils drei Jahrgängen zusammen. Nach Erfahrung des Jugendleiters steigen die Mädchen später ein als die Jungs, auch weil sie oft keine Möglichkeit zum Fußballspielen haben. Und in der Pubertät springen viele Teenagerinnen wieder ab. Durch den pandemiebedingten Trainingsausfall fehlen laut Trainer Mai zudem die unteren Jahrgänge der Mädchen, die erst gar nicht anfangen konnten.
„Wir wollen nun mit den Schulen reden, ob wir für die Mädchen der Klassen eins bis sechs Fußball-Probetraining und für die Jungs Hockey anbieten dürfen“, sagt Hinmüller. „Wir nutzen wirklich jede Chance.“ In Würzburg, dem größten Mädchenfußball-Standort Bayerns, machen das bereits die „Power Girls“ vor. In mehr als zwölf Arbeitsgruppen an Kitas und Schulen führen geschulte Trainerinnen einmal in der Woche eine Fußball-AG durch, um die Mädchen für das Kicken zu begeistern. Das Projekt wurde vom Nachwuchsförderzentrum für Juniorinnen entwickelt, der bundesweit einzigen Forschungsstelle für Talentförderung im Mädchenfußball der Uni Würzburg.
Oft trainieren in Vereinen Väter Mädchenteams
Seit rund vier Wochen trainiert die ESV-Fußballjugend nun wieder. Der Verein ist eine ruhige Oase, im Hintergrund hohe Laubbäume des Nymphenburger Parks, Vogelgezwitscher, Sommerhitze. Manchmal sehen von Weitem sogar die Rehe zu. An diesem Abend hat es noch fast 30 Grad. Doch niemand meckert, die jungen Frauen können es gar nicht erwarten, loszulegen.
„Hallo! Nicht ratschen! Laufen!“, ruft der Co-Trainer, als die Mädchen vergnügt über den Platz traben. Trainer Mai grinst. „Das ist bei den Jungs nicht anders“, kommentiert ein Vater auf der Zuschauerbank, der selbst Buben trainiert. Die Fußballleidenschaft kostet Zeit. Zweimal wöchentlich trifft sich das Team zum Training, am Wochenende findet meist ein Auswärtsspiel statt, etwa in Starnberg, Moosinning oder Ingolstadt. Bei den Fahrten zu den Turnieren wechseln sich auch die Eltern ab.
Die Mädchen kommen allmählich ins Schwitzen. „Mehr Gefühl, Mädels. Kommt, Tempo erhöhen. Zack. Ballannahme auf der Innenseite, nicht auf der Außenseite“, mahnt der Trainer. „Wir spielen fast immer draußen, wenn es geht, auch im Winter“, sagt Mai. Nach der Viertelstunde Aufwärmtraining üben die Mädchen nun Pässe, Stellungsspiel und Flanken. „Die letzte halbe Stunde spielen wir auf zwei Tore. Da geht es gut zur Sache“, freut sich Mai. „Zack, Tempo erhöhen, jawoll, super, das schaut super aus“, schallt es über den Platz. Die Spielerinnen geben Gas. Auch die Trainer sind voll konzentriert.
Weil seine Tochter Summer (15) so gerne Fußball spielte, erklärte sich Mai vor neun Jahren bereit, die Juniorinnen zu trainieren, als die Trainerin beim ESV aufhörte. Seitdem sind Vater und Tochter im ESV dabei. Unterstützt wird Mai von einem Co-Trainer, dem Großvater der 16-jährigen Spielerin Keisha. Dass Väter oder Großväter Mädchenteams trainieren, findet man öfter, sagt Mai.
„Mit meinem Vater als Trainer ist es natürlich etwas Besonderes“, erzählt Summer, die schon im Kindergarten begeistert Fußball spielte. Lieblingsposition der 15-Jährigen: Stürmerin. Ihr Vorbild: Ronaldo. „Dieser Sport ist ein schöner Ausgleich zur Schule. Wenn es geht, möchte ich nach dem Abschluss während meiner Ausbildung zur Kinderpflegerin weitermachen“, sagt Summer. Mit einigen Spielerinnen ist die 15-Jährige auch privat befreundet. „In meiner Klasse sind die Mädchen gar nicht so begeistert vom Fußball“, bedauert die Schülerin. „Es könnten schon noch mehr bei uns mitmachen, wir brauchen ja auch Auswechselspielerinnen.“ Die meisten Jungs reagierten dagegen positiv auf ihre Sportleidenschaft, erzählt sie.
Letzte Trinkpause vor dem Spiel, dem Höhepunkt des Trainings. Auch FC-Bayern-Fan Keisha, seit der fünften Klasse im Vereinsteam dabei, freut sich auf den Wettkampf. „Ich bin ja quasi auf dem Fußballplatz aufgewachsen“, erzählt die Mittelfeldspielerin. Nicht nur ihr Großvater, auch ihr Vater ist aktiv. Der 16-Jährigen gefällt vor allem, dass sie im Team kicken und sich ständig verbessern kann. Am Nachmittag trifft sich Keisha oft mit einigen Jungs auf dem Fußballplatz oder diskutiert mit ihnen die EM-Spiele. „Ich glaube nicht, dass Mädchen anders spielen als Jungs. Aber leider ist der Sport bei Mädchen nicht so verbreitet.“ Bis zum Abitur in zwei Jahren werde sie sicher noch im Verein weitermachen, vielleicht danach in einer Frauenmannschaft.
Mädchen legen mehr Wert auf Fair Play, meint Flora
Flora denkt dagegen schon, dass Mädchen etwas anders spielen als die Buben: „Wir legen mehr Wert auf Fair Play.“ Die 16-Jährige, die bald Abitur macht, ist seit fünf Jahren mit von der Partie, stand lange im Tor und ist nun meist in der Abwehr. „Ich bin durch Keisha in den Verein gekommen und trainiere vor allem aus Spaß“, erzählt sie. Auch in ihrer Schule spielten viele Mädchen Fußball. „Bei den gemischten Gruppen muss immer mindestens ein Mädchen dabei sein“, sagt Flora und dribbelt bereits nervös herum, weil sie endlich wieder zurück aufs Feld möchte.
Auf dem Rasen wird es ernst, die Juniorinnen legen sich beim Trainingsabschluss-Spiel voll ins Zeug. Auch Stürmerin Zoe, im Lewandowski-Shirt, flitzt dem Ball hinterher. Die jungen Frauen powern sich richtig aus. Die Stimmung ist gut. Der Fußball habe ihr in der Corona-Pause schon gefehlt, sagt Zoe. „Ich finde es gut, dass ich beim Spiel auch mal meine Wut rauslassen und mich von der Schule ablenken kann“, gesteht die 16-Jährige.
„Früher war es mein größter Traum, Profifußballerin zu werden, aber jetzt nicht mehr, das ist doch zu anstrengend“, erklärt Zoe. In einem Jahr macht sie ihren Realschulabschluss. Aufhören mit Fußball möchte Zoe aber nicht. Sie hofft deshalb sehr, dass ihr auch noch nach ihrer Schulzeit genug Zeit für das Training bleibt.
(Lucia Glahn)
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