Gestartet wurde das Projekt „Willkommen mit Musik“ (WiMu) in einer Zeit, als viele Bürger*innen in Bayern eine enge Verbundenheit mit Flüchtlingen zeigten. „Wir gehören zusammen!“, hieß es damals überall. Das Wort „Solidarität“ kam oft von den Lippen. WiMu startete am 24. Oktober 2014. Viele während der damaligen ersten Flüchtlingswelle entstandenen Initiativen sind inzwischen wieder verschwunden. WiMu besteht als „Solidarischer Musikschulverein“ bis heute fort. Wer eine große Familie hat, vielleicht drei oder vier Kinder, muss inzwischen ganz schön knapsen.
Das geht nicht nur Flüchtlingsfamilien so. WiMu fördert alle Kinder und Jugendliche, deren Familien sich keinen regulären Musikunterricht leisten können. Wobei letztlich alle Menschen willkommen sind. Nicht nur Kinder. Nicht nur Flüchtlinge. Nicht nur Arme.
Auch jemand, der sich jenseits der vierzig entscheidet, singen oder ein Instrument spielen zu lernen, erhält bei WiMu Unterricht. Das Team besteht aus fünf Lehrer*innen mit kleinen Festanstellungen sowie acht Honorarkräften. Momentan werden 140 Stunden Unterricht im Monat erteilt.
Gesangslehrerin Sophia Lefeber engagiert sich fast von Anfang an für den Musikschulverein: „Ich finde es eine super Idee, geflüchteten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu finanziertem Unterricht zu bieten.“
Ein Solidarsystem finanziert den Betrieb
Durch ihre Schüler lernt Sofia Lefeber Musikstücke kennen, mit denen sie wahrscheinlich sonst nie in Berührung gekommen wäre. Etwa Lieder aus Armenien. Oder Syrien. Besonders interessant ist für sie, dass Vokale in diesen Sprachen völlig anders klingen als im Deutschen.
Der Zulauf zu WiMu ist groß, berichtet Jazzmusiker Jonas Hermes, auf den die Initiative zurückgeht. Bis zu 15 Anfragen kommen im Monat rein: „Zwischen fünf und zehn betreffen den geförderten Unterricht.“ Etwa 30 Prozent der Unterrichtsentgelte sind aktuell durch das Solidarsystem gefördert. Bei WiMu zahlt jeder Schüler oder jede Schülerin das, was sich die Familie leisten kann.
Als Mindestbeitrag wünscht sich das Team 10 Euro im Monat. Im Einzelfall gibt es den Unterricht aber auch komplett kostenlos. Dass daneben Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus besseren Verhältnissen das Angebot der Musikschule wahrnehmen, ist für WiMu von großer Bedeutung. 103 Euro werden aktuell im Monat regulär verlangt. Wer diesen Beitrag voll entrichtet, finanziert den Musikunterricht der armen Kindern mit. Aber auch Spenden, Sponsoren und öffentliche Fördermittel fließen in die Finanzierung ein. WiMu wird von der Stadt Würzburg, vom Bezirk Unterfranken und vom Tonkünstlerverband unterstützt.
Plötzlich gehen müssen, mit ganz wenig Habe, vieles zurücklassen müssen, weil der Krieg keine Zeit für lange Reisevorbereitungen lässt – vor allem für Kinder ist das ein schwerer Schicksalsschlag. Sie müssen ihre Freunde verlassen. Die Klassenkamerad*innen. Die vertraute Umgebung. Und dann auch noch viele Sachen, die sie liebten. Etwa ihr Musikinstrument. Eine Querflöte lässt sich noch ins Fluchtgepäck packen. Ein Piano nicht.
Als Jonas Hermes vor zehn Jahren WiMu anstieß, hatte er etwas Wesentliches erkannt, die Tatsache nämlich, dass Musik Flüchtlingskindern bei der Bewältigung ihrer schwierigen Situation helfen kann. Aus diesem Gedanken heraus ging er zusammen mit Studierenden der Würzburger Musikhochschule in eine Notunterkunft für Flüchtlingsfamilien, um mit den Kindern und ihren Eltern Musik zu machen und durch das Musizieren spielerisch erste deutsche Worte zu vermitteln.
Diese Stunden taten den Kindern unglaublich gut. Sie lenkten sie ab. Sie ließen Hoffnung keimen. Schließlich gibt es vieles, was Kinder auch nach der Flucht noch belastet. Die Wohnverhältnisse zum Beispiel sind oft alles andere als günstig. Die Kinder denken wehmütig an ihre Freunde zurück. Und sie sehen ihre Eltern leiden. Die sorgen sich um Verwandte, die im Heimatland zurückgeblieben sind. Sie trauern um im Krieg getötete Nachbarn.
Ablenkung durch die Kraft der Musik
Allmählich fand Jonas Hermes heraus, dass so manches geflüchtete Kind in seiner Heimat ein Musikinstrument erlernt hatte. Geige. Oder Klavier. Diesen Kindern wollte er die Chance eröffnen, ihr Talent weiter auszubauen, auch wenn die Eltern nicht über entsprechende Mittel verfügten. Nun ist es das eine, eine gute Idee zu haben. Die Umsetzung eines Projekts ist etwas anderes. Das gestaltet sich regelmäßig schwieriger als gedacht. Auch WiMu musste in den vergangenen zehn Jahren Höhen und Tiefen überwinden. Besonders schwierig war es für das Team, die Corona-Pandemie zu bewältigen. Als die Beiträge jener Eltern, die zumindest etwas zum Unterricht beisteuern konnten, wegbrachen, weil der Betrieb der Solidarischen Musikschule zum Erliegen gekommen war, stand die Existenz des Vereins kurzzeitig auf dem Spiel.
Allerdings benötigten die bis dahin von WiMu unterstützten Kinder gerade in der Corona-Zeit besonderen Zuspruch. Viele mussten die Isolationszeit in beengten Flüchtlingsunterkünften überstehen.
Die Musiklehrer*innen versuchten, Unterricht online anzubieten. Außerdem wurden kleine Tutorials gedreht. Allerdings: Gerade Kinder aus sehr armen Familien profitierten hiervon wenig. Oft gab es in den Familien nur ein einziges Handy, das die Kinder zwischendurch höchstens mal kurz benutzen konnten.
Letztlich gelang es, WiMu über die Krisenzeit zu retten. Aktuell geht es dem Projekt gut. Die Verantwortlichen würden sich aber über weitere Unterstützung freuen, denn im Augenblick können nicht alle Anfragen nach gefördertem Unterricht sofort angenommen werden. Um noch mehr Menschen auf WiMu aufmerksam zu machen, beteiligte sich der Verein kürzlich mit musikpädagogischen Workshops und kleinen Konzerten am Würzburger Mozartfest.
WiMu ist heute in ein breites Netz von Kooperationspartnern, etwa Schulen, eingebettet. Dadurch werden, zusätzlich zu jenen Kindern, die einzeln oder in der Gruppe Unterricht in Gesang, Gitarre, Klavier, Kontrabass, Cello oder Geige erhalten, meist circa 200 junge Menschen pro Woche erreicht.
Erstaunlich für die im Projekt engagierten Musikpädagog*innen ist die meist hohe Motivation der Schüler*innen. In regulären Musikschulen müssen Eltern oft hinterher sein, damit die Kinder pünktlich zum Unterricht kommen und regelmäßig zu Hause üben. Das ist bei vielen der WiMu-Schüler*innen nicht nötig. Mittlerweile engagieren sich die ersten Kids aus der Anfangszeit sogar ehrenamtlich in der Solidarischen Musikschule oder im Trägerverein, weil sie sich mit WiMu emotional stark verbunden fühlen. Mit der aus Tschechien stammenden Sängerin und Pianistin Marie Krokova, die heute in Würzburg Jura studiert, gehört eine WiMu-Schülerin dem Vereinsvorstand an.
Eine Psychologin unterstützt den Verein
Die Verbundenheit kommt daher, dass es von Anfang an nie nur darum ging, ein Musikinstrument spielen zu lernen. „Sehr wichtig ist uns das gemeinsame Musizieren“, sagt Jonas Hermes. Gemeinsam Musik zu machen, das öffne die Menschen. Das verbinde. Über alles sonst Trennende hinweg. Durch Musik kann aber auch ausbrechen, was lange unterdrückt worden war. Das kommt zwar nicht dauernd vor. Aber manchmal schon. WiMu ist deshalb froh, dass eine Psychologin den Verein ehrenamtlich unterstützt. (Pat Christ)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!