Leben in Bayern

Johann Steinthaler promovierte im Alter von 77 Jahren. (Foto: dpa/Daniel Vogl)

31.05.2022

Mit 77 Jahren Doktorwürde

Neben der Haustür von Hannes Steinthaler prangt ein nagelneues Klingelschild. "Dr." steht da jetzt vor dem Familiennamen. Der Ruheständler hat sich mit 77 den Traum vom Doktortitel erfüllt - mit einer Arbeit übers Altern

Er hätte auch den ganzen Tag "garteln" oder sich einfach zurücklehnen können. Aber Hannes Steinthaler hat als Rentner eine Doktorarbeit angefangen - und die Sache durchgezogen. Mit 77 Jahren promovierte er und wurde damit zu einem der ältesten Doktoranden Bayerns. "Ich wollte früher wissenschaftlich arbeiten und hab's nicht verstanden", sagt er. "Jetzt kann ich über mein Leben sagen: Es ist abgeschlossen."

Steinthaler nahm sich ein zu seiner Lebensphase passendes Thema vor: Wie geht eigentlich erfolgreiches Altern? Eine seiner zentralen Erkenntnisse: Wer in fortgeschrittenen Jahren zufrieden ist, hat die Grundlage dafür lange vorher gelegt. "Altern ist ein Produkt des vorhergehenden Lebens."

Sofort nach dem Renteneintritt 2010 legte er aber noch nicht los mit seiner späten Wissenschaftskarriere. Vielmehr zog Steinthaler mit seiner Frau Ute von Niederbayern in einen beschaulichen Ortsteil von Rödental in Oberfranken. Im Garten ist ein kleines Gehege umzäunt, sie haben sich Hühner angeschafft. "Ich hab' mich zunächst einmal regenerieren müssen, weil ich einen harten Job hatte", erzählt der Ruheständler.

Das Thema: Wie geht erfolgreiches Altern?

Was ihn aber beschäftigte: Bei vielen sei im Rentenalter von der Kompetenz, in einem positivem Sinne alt zu werden, wenig zu spüren. Das wollte er wissenschaftlich angehen. Über seine Frau, die selber im Erwachsenenalter noch ein Bachelorstudium in Integrativer Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg absolvierte, landete Steinthaler schließlich beim Professor für Gesundheitswissenschaften Niko Kohls, der einer Betreuung zustimmte.

"Mir hat das gefallen und imponiert", sagt Kohls. Hochschulen hätten die Verantwortung, die gesamte Spannbreite der Gesellschaft abzubilden. Gerade bei der Forschung und Interviews mit Älteren, wie Steinthaler sie betrieb, komme sicher noch eine andere Ebene zum Tragen, wenn der Wissenschaftler beim Alter "im gleichen Boot" sitze.

Laut dem Wissenschaftsministerium machen im Schnitt der vergangenen zwei Jahrzehnte in Bayern pro Jahr weniger als fünf Menschen über 70 ihren Doktor. Die älteste von ihnen war zu dem Zeitpunkt 83 Jahre alt. 2020 wurden demnach im Freistaat 4654 Promotionen abgeschlossen. Die Doktoranden waren im Schnitt 31,8 Jahre alt.

Steinthaler führte für seine Dissertation qualitative Interviews mit alten Menschen und betrieb ausführlich Literaturrecherche. Heraus kam eine Arbeit von mehr als 200 Seiten, das Quellenverzeichnis macht allein gut 50 davon aus. Fünf Jahre arbeitete Steinthaler daran, dann schloss er an der Ludwig-Maximilians-Universität München ab.

Autoritätsängste vor der Promotionskommission? Kennt er nicht

Sein persönliches Interesse sei wichtig gewesen, berichtet der spät berufene Forscher. "Das steigert das Durchhaltevermögen, ich will ja die Antwort bekommen." Sein Alter sei für ihn in mancher Hinsicht ein Vorteil gewesen: "Ich war unabhängig", sagt er. "Luxus pur." Das Gespräch mit der Promotionskommission sei für ihn eine "Sternstunde" gewesen. "Ich hatte keine Autoritätsängste. Ich dachte: Ihr könnt fragen, was ihr wollt - ich weiß alles." Er sei bei der Promotionskommission auch nicht immer mit allem auf einstimmige Gegenliebe gestoßen, berichtet Doktorvater Kohls. "Aber er hat es durchgezogen. Und das finde ich großartig."

"Ich war immer ein kleiner Rebell", urteilt Steinthaler über sich selbst. Geboren wurde er in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. "Ich bin betteln gegangen. Ich bin sehlen gegangen", erzählt er über seine Kindheit. 1965 machte er Abitur, studierte erst Lehramt, später Psychologie, machte in der freien Wirtschaft Karriere. Er heiratete mit 40, das Ehepaar bekam drei Söhne. Auch für sie habe er die Arbeit durchgezogen. "Ich wollte ihnen immer zeigen: Nie den Kopf in den Sand stecken!" Dass er es in dem Alter geschafft habe, mache ihn stolz. Er werde seinen Titel jedoch auch nicht vor sich hertragen.

Dass er in seiner Kindheit oder später im Beruf lernen musste, Schwierigkeiten zu meistern, komme ihm nun zugute - davon ist Steinthaler überzeugt. Die für die Arbeit befragten Menschen, die im Alter gut zurechtkamen, hätten oft als wichtigen Punkt Resilienz, also Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft, genannt. Zufriedener sei auch, wer sich keine falschen Vorstellungen vom Alter mache. Manche glaubten, immer wieder zurück zum gesunden Ausgangspunkt zu kommen, sagt er. "Und das funktioniert nicht."

Ein zentraler Gedanke seines Modells ist: Die Grundlage für erfolgreiches Altern muss in jüngeren Jahren gelegt werden. Steinthaler bemüht die Metapher eines Weitsprungs: Auch hier sei der Anlauf entscheidend. "Wenn ich mal in der Luft bin, dann kann ich nicht mehr viel machen. Das ist der Alterungsprozess", stellt er fest. "Und irgendwann landet man."

Der Grundstein für vieles wird demnach zwar in der Kindheit gelegt. Es sei aber wichtig, dass Menschen im Erwachsenenalter an sich arbeiteten. "Die emotionale Intelligenz, die im Alter so wichtig ist, wird überhaupt nicht in Angriff genommen", sagt Steinthaler. Es sei wichtig zu lernen, mit Rückschlägen, Schmerzen, Traumata umzugehen und Gefühle zu regulieren - "nicht zu unterdrücken".

Gegenwärtig schreibt Steinthaler an einem Ratgeber, wie er erzählt. Außerdem plane er ein "Senioren-Kolloquium", in dem er Erwachsenen die Erkenntnisse seiner Arbeit näher bringen will. "Ich hoffe, dass ich eine Initialzündung geben kann."
(Gregor Bauernfeind, dpa)

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