Alles muss raus: Küchen, Sitze, Böden. Nach 15 Jahren im Einsatz werden nicht nur Gebrauchsspuren in den ICE-Zügen beseitigt, die komplette Inneneinrichtung wird erneuert. Komfort wie in der Businessclass eines Fliegers sollen die Fahrgäste dann laut Bahn erleben. Neun Wochen dauert es, bis ein kompletter Zug modernisiert ist. Die Staatszeitung hat den Arbeitern über die Schulter geschaut. Das Werk gleicht einem Jungbrunnen: Alte, abgenutzte Züge fahren rein, praktisch neu kommen sie wieder heraus. Beim ICE 3 mit der Nummer Tz 333 zum Beispiel spiegelt sich in der frischen Lackierung das Neonlicht der Decke. An Bord stehen hie und da noch ein paar Putzeimer herum. Und in der Küche des Bordrestaurants legen die Arbeiter letzte Hand an. Die gesamte Inneneinrichtung ist neu. Der ICE hat komfortablere Sitze bekommen. Auch ein buntes Kleinkindabteil ist nun an Bord – mit mehr Platz für Kinderwägen und Gepäck. Am nächsten Tag schon soll der Hochgeschwindigkeitszug wieder zurück an die Deutsche Bahn gehen. Er ist nur einer von 66 Zügen, die im Werk Nürnberg nach 15 Jahren im Einsatz modernisiert werden. „Redesign“ nennt sich unternehmensintern dieser Prozess der Erneuerung, der noch bis 2020 andauern wird.
Ein sehr wichtiger Auftrag für das Nürnberger Werk
Das Nürnberger Fahrzeuginstandhaltungswerk der Bahn liegt im Südosten der fränkischen Metropole. Bis in das Jahr 1912 reicht seine Geschichte zurück. Einige der Gebäude erinnern mit ihren Klinkersteinen noch an die vergangenen Zeiten. Heute jedoch geht es in den modernen Hallen um neueste Technik. 500 Mitarbeiter sind an diesem Standort beschäftigt. Und ein Teil von ihnen ist seit

einigen Jahren dabei, die ICE-Flotte der Bahn zu erneuern. Seit Beginn 2017 sind die ICE-3-Modelle dran, die ab 1997 gebaut wurden. „Mit 150 Mitarbeitern arbeiten wir daran, die Züge für die heutigen Anforderungen rundum zu erneuern und das Reisen für die Fahrgäste noch komfortabler zu machen“, erklärt Werksdirektor Uwe Kessler. „Für das Werk Nürnberg ist es ein wesentlicher Auftrag, der den Standort auf Jahre auslastet.“ Insgesamt 210 Millionen Euro lässt sich die Bahn die Modernisierung kosten.
Was mit diesem Geld geschieht, lässt sich im Osten des Werkes besichtigen, wo die Züge in die Hallen einfahren. „Radsatznummer 28 820 413“ steht auf einem Zettel, der an einem Satz Zugräder befestigt ist. Zu lesen ist auch das Wort „Reprofilierung“. Das meint, der Radsatz wurde ausgebaut, überholt und wartet jetzt wieder auf den Einbau. Weitere Räder sind vor einem Klinkerbau gelagert, „Komponentenwerkstatt“ steht über dem Eingang. Drinnen sind zwei Mitarbeiter beschäftigt, Teile für die Bordküchen einbaufertig zu machen. Denn auch diese werden komplett erneuert. Eingebaut werden die Küchen-Teile in den großen Wartungshallen gegenüber. Jeweils drei Züge gleichzeitig werden dort modernisiert, neun Wochen dauert der Prozess des „Redesigns“.
Wer die Hallen betritt, ist überrascht: Es herrscht für einen Industriebetrieb relative Ruhe. Weder sind

laute Maschinengeräusche noch das Gekreische von Trennschleifern zu hören. Nur ab und zu surren Kräne unter der Decke entlang ihrer Fahrstrecke. An einem der drei Züge ist ein Arbeiter damit beschäftigt, aus dem Passagierabteil die Verkabelung über den Fenstern zu entfernen. Dort war früher die Anzeige für die Sitzreservierung angebracht. Diese wurde nun wie andere Funktionen auch in die Kopflehnen der neuen Sitze verlegt. Ein Vorteil: Kabel werden so überflüssig und man spart Gewicht ein.
Und auch das verwundert: Vieles ist reine Handarbeit: Zum Beispiel wie die Kabelstränge aus den Leitungen gezogen und dann mit einer Zange gekappt werden. Eigenartig auch, wie so ein leerer ICE-Waggon anmutet, er wirkt viel größer. Alles muss schließlich raus: Kabel, Sitze und selbst die Böden. Letztere waren bisher aus Holz. Nun werden sie durch einen Plastikbelag in Sandwichbauweise ersetzt. „Die neuen Böden sind widerstandsfähiger gegen Wasser und Säuren“, erklärt Produktionsleiter Christoph Wagner.
Der Arbeitsprozess des Rede-signs ist dabei äußerst aufwendig: Für die Modernisierung werden die einzelnen Fahrzeugteile des ICE abgetrennt und begutachtet. Der Ausbau der Teile und der Einbau der Erneuerung sind getaktet: Alle drei Tage wird der Wagen zum nächsten Takt geschoben. Berthold Huber, Vorstand Personenverkehr der Bahn, formuliert bei einer Werksbesichtigung die Ziele des Unternehmens: „Wir wollen das Flugzeug als Wettbewerber schlagen.“ So werden in den modernisierten Zügen neue ergonomische Sitze eingebaut – die Beinfreiheit entspreche dann der in der Businessclass im Flieger.
Ist ein ICE komplett modernisiert, steht dem Zug nur noch die Abnahme bevor. Dafür ist ein Team von zehn Leuten – mit Plastikfolien um die Schuhe, um den neuen Teppich zu schonen – eineinhalb Tage lang in dem ICE unterwegs. Jede Menge Checkpunkte werden dabei abgearbeitet: Funktioniert das Licht? Schließen die Türen richtig? Arbeiten die neuen Sitzanzeigen korrekt? Hakt es wo, bekommt die Stelle einen roten Punkt. Und erst wenn der Zug frei ist von roten Punkten, darf er wieder ostwärts aus dem Nürnberger Werk fahren. Und auf den Schienen auch mit Gästen wieder Fahrt aufnehmen.
(Rudolf Stumberger)
Fotos (Stumberger):
Bildschirm in den Sitzen: Dort findet man auch die Reservierungsanzeige.
Letzte Handgriffe: Das neue Bordrestaurant ist fertig.
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