Nicht immer geht es ungezwungen zu, mitunter herrscht strenge Disziplin im Probenraum: Chorarbeit kann richtig anstrengend sein. Das ist beim Würzburger Kommunenchor nicht so. Die Stimmung ist ausgelassen. Allein das Ambiente lässt einen gut drauf sein, wird doch inmitten eines Fundus, nämlich dem des Theaters am Neunerplatz, geprobt. Umgeben von abenteuerlichen Kostümen. Und originellen Requisiten.
„Dennoch haben auch wir einen hohen Anspruch an uns“, sagt Chorgründer Nilz Hübenbecker. Hübenbecker gilt ein wenig als Luftikus in der Würzburger Musikszene: Immer wieder tritt er mit ungewöhnlichen Projekten hervor. Exakt sechs Jahre ist es her, dass der Musiker mithalf, einen Kneipenchor in Würzburg ins Leben zu rufen. Den gibt es immer noch. Aber nicht mehr mit ihm.
Hübenbecker kam vor drei Jahren eine neue Idee: Er wollte einen Chor gründen, bei dem wirklich alle Leute mit Lust auf aktives Musizieren innerhalb einer Kommune, in dem Fall der Kommune Würzburg, mitmachen dürfen. Rund ein Dutzend Menschen singen und musizieren derzeit miteinander. Eine junge Frau ist schwerstmehrfachbehindert.
Wirklich jeder und jede ist willkommen
Zwei Chormitglieder sitzen im Rollstuhl. Im Kommunenchor, das wird schon beim ersten Besuch klar, ist es tatsächlich egal, ob jemand Mathematikerin oder Hausmann ist, ob einer ein Handicap hat oder nicht, ob jemand alt ist oder jung. Alle gehören zusammen. Und zwar ohne das strapazierte Etikett „inklusiv“. „Ich mag dieses Wort überhaupt nicht“, sagt Nilz Hübenbecker, bevor er sich wieder Vicky Vogt zuwendet.
Die schwerstbehinderte Würzburgerin liebt Musik über alles. Gerade versuchte sie, ein Stück mit der Mundharmonika zu begleiten. Das passte phasenweise sehr gut. Und phasenweise gar nicht. „Was für ein Stichwort können wir denn ausmachen, wenn du mal aussetzen sollst?“, fragt Nilz Hübenbecker die junge Frau.
Wie quietschvergnügt Vicky immer ist, wenn sie ihre Lieblingsmelodien hört! Das steckt die anderen an. Mona Blasek zum Beispiel. Die Physio- und Körpertherapeutin kennt Nilz Hübenbecker von seinen Auftritten. Als sie hörte, dass er einen Kommunenchor gründen möchte, war sie sofort dabei. Obwohl sie noch keine Chorerfahrung hat: „Abgesehen von der Grundschule, in der ersten Klasse war ich mal in einem Chor, das ist ewig her.“
Am Kommunenchor begeistert sie das „experimentelle Üben“. Nilz Hübenbecker bringt als künstlerischer Leiter keine fertigen Arrangements mit in die dienstäglichen Probestunden. Alles entwickelt sich organisch. Aus der Situation heraus.
Nilz Hübenbecker ist jemand, der nicht gern mit der Herde laufen mag. Dem Würzburger Individualisten, der auch als Lehrer an einer Schule tätig ist, sind Freiheit und Freiräume ungemein wichtig.
Dass es seit einigen Jahren einen wachsenden Herdenzwang gibt und dadurch Menschen, die etwas anders sind, die sich anders verhalten oder auch andere Ansichten haben, zum Teil regelrecht ausgegrenzt werden, beunruhigt ihn. Durch den Würzburger Kommunenchor will er im kleinen Maßstab den Beweis antreten, dass es selbst bei allergrößter Unterschiedlichkeit möglich ist, zusammenzuarbeiten. Und gemeinsam etwas Tolles auf die Beine zu stellen. Natürlich benötigt das von allen Beteiligten Empathie und auch Geduld.
Franziska Heisig verfügt über beides. Sie ist selbst Musikerin, hat jedoch vollstes Verständnis für Chormitglieder, die ein wenig Zeit brauchen, um eine Begleitmelodie zu lernen, weil sie bis dato noch nie ein Instrument in der Hand gehalten haben.
„Ein klassischer Chor, zum Beispiel ein Gospelchor oder ein Kirchenchor, das wäre nichts für mich“, sagt sie. Nilz Hübenbecker lacht: „Soll ich dir mal was verraten? Eigentlich mag ich überhaupt keine Chöre!“ Doch der Kommunenchor sei ja eigentlich kein normaler Chor, spielen doch die Instrumente eine genauso wichtige Rolle wie die Stimmen.
Wünschen würde sich Nilz Hübenbecker, dass das, was heroben in Franken nun schon seit eineinhalb Jahren bestens funktioniert, Nachahmer in anderen bayerischen Städten fände. Kommunenchöre in München, in Regensburg, Nürnberg oder Augsburg fände er toll. Nach seiner Ansicht tut es not, Räume zu schaffen, wo Menschen frei zusammenkommen und miteinander kreativ sein können.
Manchmal, wenn der Musiker ins Träumen gerät, schweben ihm Kommunenchor-Festivals und Austauschprogramme vor.
Noch ist es ein Vorbild ohne Nachahmer
Inzwischen hat er die Fühler auch schon mal in andere Städte ausgestreckt. Noch allerdings, ohne dass andernorts Ähnliches wie in Würzburg entstanden wäre.
Womöglich fällt es Musikern in anderen Städten schwer, Ja zu einer Idee zu sagen, die nicht klipp und klar umrissen ist. In Würzburg selbst stößt das Konzept auf immer positivere Resonanz.
Hans Norgauer zum Beispiel ist heute erstmals bei einer Probe anwesend, und zwar als Assistent von Vicky Vogt. Der Masterstudent beschäftigt sich gerade mit dem, was hinter dem Gedanken Inklusion steckt. Das Wort ist, wie man so schön sagt, in aller Munde. Letztlich verweist aber genau das darauf, dass Inklusion nicht selbstverständlich ist. Sonst müsste man das Wort nicht ständig im Munde führen. Dass der Kommunenchor ohne das Label „inklusiv“ auskommt, findet Norgauer klasse.
Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will: Trotz aller Bemühungen sind wir noch meilenweit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt. Auch im Bundesland Bayern, das der frühere Ministerpräsident Horst Seehofer bis 2024 komplett barrierefrei machen wollte.
Dass es an vielen Stellen hapert, kann Kommunenchor-Mitglied Zoe Gräf bestätigen. Die 24-Jährige sitzt aufgrund der neurologischen Erkrankung Friedreich-Ataxie im Rollstuhl. Bei Chören mitzumachen, ist für Menschen wie sie allein aufgrund vieler baulicher Barrieren schwierig. Viele Probenräume, vor allem aber Bühnen, sind für sie als Rollstuhlfahrerin nicht zugänglich.
Aktives Musizieren ist nachgewiesenermaßen eine gute Prävention gegen negative Stimmungen bis hin zu Depressivität. „Für mich sind die Chorproben tatsächlich wie eine Therapie“, schwärmt Zoe Gräf. Den lockeren Umgang miteinander über alle persönlichen Unterschiede hinweg schätzt sie sehr.
„Auch ich gehe immer ganz energiegeladen aus den Proben raus“, schließt sich Erzieherin Isabell Englert an. Im Kommunenchor dürfe jeder so sein, wie er ist. Man müsse sich nicht verstellen, den anderen nicht etwas vormachen, nichts vorspielen: „Gleichzeitig kann ich musikalisch an meine Grenzen gehen, auch das ist für mich eine wundervolle Erfahrung.“ (Pat Christ)
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