Die Diagnose war für Alexander Götz ein Schock. Vor sieben Jahren erfuhr der 32-Jährige, dass er sich mit dem HI-Virus infiziert hat. Doch schon bald ging der Würzburger in die Offensive. Der Kampf gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung kostete Götz viel Kraft. Vor allem auch bei der Arbeitssuche. Denn Unsicherheit und Unwissenheit sind noch immer weit verbreitet.
Eigentlich müsste er mit seinem Beruf heiß begehrt sein: Der Würzburger Alexander Götz ist Pfleger. Doch aufgrund seiner HIV-Erkrankung tat sich der 32-Jährige schwer, einen Job zu finden. Seit einem Jahr aber hat er endlich eine Chefin, die voll und ganz hinter ihm steht. Mehr noch, sie unterschrieb sogar die Initiative #positivarbeiten der Deutschen Aids-hilfe. Diese Deklaration für einen diskriminierungsfreien Umgang mit HIV-positiven Menschen im Arbeitsleben unterstützt bis jetzt noch kaum ein Pflegedienst. Insgesamt ist die Quote der Firmen und Institutionen aus dem Gesundheitssektor ziemlich überschaubar..
Ob jemand HIV hat oder nicht, das spielt in der Pflege keine Rolle, sagt dazu Michael Koch, der die Würzburger Aids-Beratungsstelle leitet und seit dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember 2020 für die Deklaration #positivarbeiten in Unterfranken wirbt. „Betroffene können jede Art von Arbeit verrichten“, betont der Psychologe. Einzige Ausnahme: Chirurg*innen müssten sich regelmäßig darauf testen lassen, ob sich ihre Viruslast weiterhin unter der Nachweisgrenze befindet. Anders als Chirurg*innen jedoch unterliegen Pflegekräfte keiner HIV-Testpflicht.
Die Gesundheitsbranche tut sich noch besonders schwer
Gerade für Pflegekräfte aber ist es in aller Regel ein Tabu, am Arbeitsplatz von ihrer HIV-Infektion zu erzählen. Alexander Götz, der seit sieben Jahren weiß, dass er infiziert ist, stellt eine Ausnahme dar. Ziemlich bald nach dem Schock der Diagnose ging er in die Offensive. Er outete sich. Gründete einen Verein von und für HIV-Betroffene. Und setzt sich seitdem zur Wehr, wenn er wegen seiner Infektion diskriminiert wird. So zog einmal die Chefin eines Unternehmens, bei dem er sich beworben hatte, den gerade unterschriebenen Arbeitsvertrag zurück, als sie erfuhr, dass ihr Mitarbeiter in spe HIV-positiv ist. Wie sich herausstellte, verstieß die Frau gegen das Antidiskriminierungsgesetz.
Sicherheit ist das A und O in der Pflege – gerade dieser Tage. Auch Götz möchte sicher arbeiten: „Wenn ich zu den Patienten gehe, trage ich grundsätzlich Handschuhe, allein aus Selbstschutz“, sagt er. In der Corona-Pandemie sind natürlich auch Masken Pflicht – Götz wird regelmäßig auf Covid-19 getestet. Daneben lässt er sich wegen seiner HIV-Infektion turnusmäßig in der Klinik checken. Die antiretrovirale Therapie schlägt bei ihm sehr gut an: „Meine Viruslast ist unter der Nachweisgrenze.“ Von daher sei es ausgeschlossen, dass etwas passiert, wenn er als HIV-positiver Pfleger ein Medikament injiziert oder wenn er eine Wunde verbindet.
Im Pflegebereich ist der Fachkräftemangel enorm. Dennoch fallen HIV-positive Pfleger*innen, so ihre Infektion bekannt ist, nach wie vor in der Regel durchs Raster, sagt Koch von der Beratungsstelle. Ihm ist zum Beispiel der Fall einer Pflegekraft bekannt, die gegen ihren Willen plötzlich in einen Bereich versetzt wurde, wo sie kaum noch direkten Kontakt mit Patient*innen hat. Offiziell war gar nicht bekannt gewesen, dass sie mit dem HI-Virus infiziert ist. „Dies wurde lediglich gemunkelt“, so Koch.
HIV ist noch nicht heilbar, aber sehr gut behandelbar
Götz hätte sich das nicht bieten lassen. Dem Würzburger verschlägt es so schnell nicht mehr die Sprache, zu viel hörte er schon, zu oft schon wurde er, weil er an die Öffentlichkeit geht, mit dummen Kommentaren konfrontiert. Dennoch ist er nicht abgebrüht. Trotz aller Kämpfe, die hinter ihm liegen. Götz ist sehr sensibel. Und es ist für ihn keineswegs immer leicht, sich seinen Optimismus und seine Kampfkraft zu bewahren. „Ich denke häufig an die Zeit zurück, als ich noch nicht infiziert war“, gibt er zu. Wie unbeschwert war das Leben damals! Die Krankheit sei „wie ein Schatten“, der Tag für Tag über ihm schwebe, so Götz. Mal deutlicher. Mal weniger spürbar. An manchen Tagen sei es richtig hart.
Mit „seinen Senioren“ aber sei es fast immer schön, so Götz. Einige hat der Pfleger richtig ins Herz geschlossen. Die alten Herrschaften wiederum freuen sich, wenn Götz kommt. „Hallo, Herr Alexander!“, wird er an der Tür begrüßt. Ob seine Schützlinge wissen, dass er „positiv“ ist, kann Götz nicht sagen. Gut möglich. „Doch mich hat noch nie jemand darauf angesprochen.“
Schicksalsgenossen von Götz fragen manchmal, wieso er nicht einfach den Mund hält. Jetzt, wo er doch einen sicheren Job hat. Mit einer tollen Chefin, die hinter ihm steht. Doch Götz will nicht schweigen. Er habe, sagt er, keine Lust auf ein lebenslanges Versteckspiel. Jeder Mensch, so sein Credo, soll er selbst sein dürfen. Mit all seinen Macken, Kanten, Stärken und Schwächen. Jeder sei so in Ordnung, wie er ist.
Und deshalb ist auch kein Patient für Götz nur eine Nummer. Jemand, der möglichst rasch abgefertigt werden muss. Der gelernte Bäcker, der sich vor zehn Jahren zum Pflegehelfer umschulen ließ, um sich einen Traum zu erfüllen, geht auf jeden ein. Die älteste Dame, die er bei seinen ambulanten Touren besucht, ist 96. Wie es ihr wohl heute geht? Das, so Götz, sei das Spannende an seinem Beruf: „Man weiß nie, was ist, wenn man die Tür aufmacht.“ Manchmal wartet hinter der Tür ein glückliches Lächeln. Und manchmal eine richtig heftige, tragische Entdeckung.
Götz bauen die vielen Menschen auf, die ihm Anerkennung zollen für seine mutige Aufklärungsarbeit und den Kampf für mehr Vielfalt. Diese Anerkennung erhält er auch beim Projekt „Livebooks“ des Fördervereins der Würzburger Wärmestube. Im Rahmen des Projekts kann Götz „ausgeliehen“ werden. Zu Nicht-Corona-Zeiten erzählt er zum Beispiel Interessierten auf Festivals von sich, seiner Diagnose und seinem Leben mit HIV. Er erzählt offen, dass er sich am Anfang das Leben nehmen wollte. Und wie seine Schwester es geschafft habe, den Suizid zu verhindern.
HIV ist noch immer eine unheilbare Krankheit. Doch man kann heute dank Medikamenten damit leben. Sogar ganz gut. Und doch bleibt ein großes Problem, sagt Koch von der Aids-Beratungsstelle: die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Betroffenen. Ob sich hier mit der CoronaPandemie wohl auch etwas in den Köpfen bewegt? Koch ist skeptisch. Auch wegen der mangelnden Resonanz auf die Deklaration #positivarbeiten in Unterfranken. „Leider haben wir in diesem Jahr zu all unseren Anfragen noch keine einzige Zusage bekommen“, sagt der Psychologe. Wohl eben, weil Corona alles dominiere. „Wir haben deshalb in unserem Team entschieden, dass wir uns jetzt mit neuer Kraft diesem Thema widmen.“
(Pat Christ)
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