Leben in Bayern

Dietmar Martin auf seinem Hornerschlitten. Er ist selbst ein begeisterter Rodler. (Foto: Monika Hippe)

05.01.2017

Nostalgie auf Riesen-Kufen

Der Allgäuer Dietmar Martin ist einer der wenigen, die noch traditionelle Lastenschlitten herstellen

An den Tag vor knapp zwanzig Jahren kann sich Dietmar Martin noch gut erinnern. „Wir hatten einen Heidenspaß“, sagt der 41-Jährige. Die Allgäuer Berge lagen damals unter einer dicken Schneedecke, gemeinsam mit fünf Freunden fuhr er mit einem Schlitten vom Hochtal nach Imberg hinunter. Vollbepackt mit einem gleichmäßig verschnürtem Packen Heu. Denn mit einem unförmigen Ballen im Dorf anzukommen, war eine richtige Schande, als man das Holz aus den Bergwäldern und das Heu von den Bergwiesen noch auf einer Schussfahrt durch den Schnee ins Tal beförderte. Mit vereinten Kräften hoben die Burschen die schwere Ladung an, um den Schlitten darunter zu schieben. Und dann flitzten sie mit Tempo ins Tal.

Schon dem Großvater half er als Bub beim Heuschlitteln

„Aussterbende Arbeiten und Techniken haben mich schon immer fasziniert“, schwärmt Martin, der jetzt in seiner Werkstatt auf einer Bank sitzt und hin und wieder an seiner Pfeife zieht. Es ist mollig warm und duftet nach würzigem Tabak und frischem Holz. Martin holt ein Fotoalbum hervor. Ein Bild zeigt ihn mit Filzhut im Heu, ein anderes, wie sie zu fünft den Schlitten beladen. Auch Fotos aus alten Zeiten hat er eingeklebt. Auf einem lächelt Martins Großvater etwas gequält, so als könne er die Fuhre Heu hinter seinem Rücken kaum noch halten. „Schon als kleiner Junge habe ich ihm gern geholfen“, sagt Martin. Das Heuschlitteln war allerdings nicht nur körperliche Schwerstarbeit sondern auch gefährlich.

Das merkten auch Martin und seine Freunde auf ihrer Fahrt vor knapp 20 Jahren. Sie kamen im Tal zwar zum Glück heil an, der Schlitten allerdings brach, als es über einen vereisten Hang ging. Promt posaunte Martin damals vor den Freunden: „Ich bau meinen eigenen Horner, in der Kombination aus neuen Techniken und alter Tradition.“ Und er hielt Wort. Und diesem ersten Schlitten sollten noch viele folgen. Und so ist der Schreinermeister in seiner Möbelwerkstatt in Sonthofen heute einer der letzten, die traditionelle Lastenschlitten herstellen. Jeder seiner Schlitten ist dabei ein Unikat. Das Holz dafür kommt aus den umliegenden Wäldern. „Esche eignet sich am besten. Es ist gleichzeitig zäh und elastisch“, erklärt Martin und klappt das Fotoalbum zu. Auf der Werkbank warten zwei Kufen auf ihre Kosmetik.

Tags zuvor hat der Schlittenbauer die Bretter in lange Leisten geschnitten, sie rechteckig ausgehobelt und von einem Bekannten in einem Spezialofen über Wasserdampf garen lassen. Danach wurden sie in eine Schablone gepresst und gebogen. Nun streicht Martin über die vor ihm liegenden geschwungenen Kufen. „Beim Hornerschlitten sind die Kufen steiler und höher“, sagt er. „Sie bieten dadurch besseren Halt und man kann auch mal ziehen, wenn die Strecke zu flach wird.“
Traditionelle Hornerschlitten, auch Schalenggen genannt, werden auch heute noch gebraucht, zum Beispiel um verletzte Kühe aus unwegsamem Gelände zu bergen oder Lebensmittel in eine abgeschiedene Hütte im Hochgebirge zu transportieren. In vielen Bauernhäusern schmücken außerdem ausrangierte Stücke oft auch die Diele. „Für mich ist es ein schönes Gefühl, wenn der Enkel zum Großvater sagt: Den Schlitten oder Schrank da möchte ich später mal haben!“, erklärt Martin mit leuchtenden Augen. „Es macht mich einfach zufrieden, Werte zu schaffen, die womöglich Generationen überdauern.“

Martin legt jetzt zwei Kufen dicht nebeneinander, nimmt einen Hobel und glättet sie, sodass die Hobelspäne fliegen. „Man muss sie vollkommen gleich behandeln, damit der Schlitten nicht wippt“, sagt er. Dann geht er hinüber zur Kettenstemmmaschine und stemmt Löcher für die Zapfenverbindungen hinein – für die Stabilität. Aber auch elastisch sollte ein Schlitten sein. Deshalb verleimt Martin Schlitz und Zapfen nicht, sondern verdübelt sie. Zwei bis drei Tage braucht er für die Herstellung eines Lastenschlittens. Am Ende wird er die Metallsohle unter die Kufen aufziehen und festnageln.

Rettung per Schlitten: Verletzte Kühe auf dem Berg

Damit der Schlitten beim Ziehen gut in der Hand liegt, schnitzt Martin zuletzt die typischen Hörner hinein, die dem Schlitten den Namen geben. „Bei den allerersten Schlitten nahm man dafür krumm gewachsene Äste. Die waren natürlich längst nicht so stabil“, erklärt Martin.

Einen „Hoaner“ hat der Schreiner auch schon für die sogenannten Horner-Rennen gebaut, die den Winter über in den Nachbarorten Gunzesried und Bad Hindelang stattfinden. Dabei rasen Männer und Frauen in Zweierteams auf den Lastenschlitten den Berg hinab. Dietmar Martin ist selbst begeisterter Rodler. Aber für diesen Spaß nimmt er lieber einen seiner Rennrodel, die er ebenfalls selber baut. „Beim Horner hat die Stabilität Vorrang, beim Rennrodel die Präzision“, sagt Martin. „Zum Beispiel muss der Abstand vorn minimal enger sein als hinten, damit man gut in der Spur bleibt.“

Martin holt den Rennschlitten, der bei ihm unter der Decke hängt, herunter und setzt zu einer Trockenübung an: „Lenken kann man mit den Füßen, mit den Unterschenkeln oder mit der Schnur“, sagt er. Im Laufe der Zeit entwickelt sich jeder Rodel anders, je nachdem, ob man ihn im feuchten Keller lagert oder in der warmen Diele, wie man fährt und mit welchem Gewicht. Das Holz reift sozusagen nach – wie ein guter Wein.

Sperrt Martin seine Werkstatt am Abend zu, ist für ihn noch lange nicht Feierabend. Auf ihn wartet die Stallarbeit. Auch die Eltern helfen beim Melken und Füttern der Kühe, denn Martin hat nur noch wenig Zeit für die Landwirtschaft mit 30 Tieren. Sie aufzugeben kommt für ihn aber nicht in Frage. Mit Nachdruck sagt er: „Ich will unseren Hof an die nächste Generation übergeben, egal, ob meine Kinder später weitermachen oder nicht.“ (Monika Hippe) Foto (Hippe): Präzisionsarbeit beim Hobeln: Der Schlitten braucht Stabilität, betont Dietmar Martin

Kommentare (2)

  1. Wolle B. am 10.01.2021
    Hallo, auch ich habe den Film gesehen und war absolut begeistert. Mich würde auch interessieren was diese Handwerkskunst kostet und die Bezugsadresse.
    Vielen Dank vorab und Gruß.
    Wolle B.
  2. Go am 08.01.2021
    Der Film über den bau eines Hornschlitten war sehr sehenswert so sehr dass ich gerne einen bestellen möchte obwohl ich keinen brauche. Tolles Handwerk!. Was ich gerne dazu noch erfahren hätte, ist der Preis für dieses tolle Handwerksstück. Vielen Dank
    Herzliche Grüße
    Roland
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