Es gibt einen Gegenstand, den hütet Andreas Aichinger wie seinen Augapfel: Seinen Haselnussstock mit Silbermünze und vielen bunten Bändern. Denn ihn braucht der 30-Jährige aus Sankt Englmar für seinen Nebenjob dringend. Der Mittelschullehrer ist nämlich Hochzeitslader. Und der Stab sein Zepter. Das Amt des Hochzeitsladers hat eine jahrhundertelange Tradition. Aichinger selbst allerdings ist durch puren Zufall zu seinem ausgefallen Zweitberuf gekommen.
Aichinger, auch zweiter Bürgermeister der Gemeinde, sollte 2008 in dem Bergdorf seinen Beitrag zur Faschingshochzeit leisten – ein traditioneller bayerischer Spaß, bei dem die Braut von einem Mann gespielt wird und der Bräutigam von einer Frau. „Als Lehrer haben sie mir handwerklich nichts zugetraut, also haben zu mir gesagt: ‘Bauen kannst du nix, du singst Gstanzl!’“, erzählt Aichinger. Also trat der damals 23-Jährige als singender und reimender Brautführer in Aktion. Seine gedichteten Verse kamen an. So gut, dass ein Freund ihn unbedingt auf der eigenen Hochzeit als Hochzeitslader haben wollte. Aichinger machte mit. Und seitdem ist er mehrfach pro Jahr im Einsatz.
Derb dürfen die Sprüche sein, aber nicht beleidigend
Früher marschierte der Hochzeitslader von Haus zu Haus. Er lud die Menschen zur Hochzeit ein und schrieb den Termin mit Kreide auf den Ofen oder an den Türstock. Anfangs zog auch Aichinger mit seinen Kollegen noch von Haus zu Haus. Doch das macht er heute nur noch ganz selten. „Es ist einfach so zeitaufwendig, man kommt bei den Leuten nicht mehr weiter und schafft daher nicht viele Hochzeitsgäste an einem Tag“, erklärt er. „Ich bin eigentlich mehr ein sogenannter Wedding-Planner, der schaut, dass die Zeitpläne bei

einer Hochzeit eingehalten werden, damit sich das Brautpaar entspannt um die Gäste kümmern kann.“
Die zweite traditionelle Aufgabe des Hochzeitsladers aber nimmt Aichinger um so ernster. Er ist für die Unterhaltung der Hochzeitsgesellschaft verantwortlich. Und darf dabei den ein oder anderen Gast auch mal auf die Schippe nehmen. Einzige Voraussetzung: Wirklich beleidigend sollten die Scherze nicht sein. Manche Begebenheiten aber sind für Aichinger richtige Steilvorlagen. Bei einer Feier zum Beispiel beobachtete er, wie ein Gast den Brautstrauß stehlen wollte, um diesen nach altem Brauch wieder auslösen zu lassen. Der Dieb hatte aber wohl kaum floristische Grundkenntnisse, denn anstatt des Brautstraußes klaute er vom Brauttisch das Tischbouquet. Aichinger dichtete aus dem Ste-greif ein paar Spottverse, um den Irrtum mit dem Tischgesteck humoristisch zum Besten zu geben.
Die Gstanzl, die er auch einer Hochzeit singt, dichtet Aichinger grundsätzlich spontan. „Am Anfang habe ich mir die Sprücherl zu Hause aufgeschrieben“, gesteht der junge Hochzeitslader. „Dann aber habe ich gemerkt, dass ich viel flexibler bin, wenn ich spontan vor Ort dichte.“ Natürlich brauche es dazu ein bisserl Kreativität und Spontaneität. „Aber mit wachsender Routine ist sowas kein großes Problem mehr“, so Aichinger.
Geholfen haben ihn auch Berichte über den Brauch des Hochzeitsladers – einige Bekannte Aichingers kannten sich mit dem Thema richtig gut aus. Außerdem habe er sich auch immer wieder bei Kollegen umgeschaut und sich bei ihnen Anregungen geholt. „Am Wichtigsten aber ist es, seinen eigenen Stil zu finden“, betont Aichinger. „Es gibt nichts schlimmeres als jemand anderen zu kopieren, im schlimmsten Fall auch noch schlecht.“
Grundvoraussetzung für den Job ist natürlich, „dass man gut drauf ist“, erklärt der Hochzeitslader. Treffen muss man aber auch den richtigen Ton. Es braucht ein wenig Fingerspitzengefühl, um zu wissen, worüber man spötteln darf oder worüber besser nicht. Über die Leibesfülle oder eine Glatze wird nicht hergezogen. Mit einem netten Sprücherl über ausgefallene Kleidung darf man auf einer Hochzeit mit Aichinger aber immer rechnen. Und manchmal mit weitaus mehr. Als bei einer Hochzeit ein Kollege des Bräutigams aus Rheinland-Pfalz anreiste, trug er auf der Feier eine Jeans. Immer wieder nahm der Hochzeitslader den leger gekleideten Gast aufs Korn und drohte ihm scherzend Konsequenzen an, sollte er sich nach dem Brautstehlen nicht endlich umgezogen haben. Die Jeans blieb an, und so eilte Aichinger nach Hause, holte eine alte Lederhose und zwang den Gast als „Strafe“, diese anzuziehen. Der machte den Spaß mit und trug fortan fröhlich die Tracht.
Manchmal steht aber auch Aichinger selbst unfreiwillig im komischen Mittelpunkt. Dann nämlich, wenn ihm sein Stab abhandenkommt. Oft passiert das nicht, denn auf den passt der Hochzeitslader auf wie ein Schießhund. Schließlich ist diese Insignie der Hochzeitsladermacht immer wieder im Visier von dreisten Dieben. Zurückbekommt er das Zepter nämlich nur dann, wenn Aichinger den Langfingern eine Flasche Schnaps spendiert.
Ist der bunte Stab weg, kostet das eine Flasche Schnaps
Einmal waren die Diebe besonders dreist, erinnert sich Aichinger schmunzelnd: „Da war ich beim Pieseln und hatten den Stock unterm Arm eingeklemmt. Einer kam und hat ihn mir entrissen, wehren konnte ich mich nicht.“ Für eine Flasche Obstler bekam Aichinger sein Zepter wieder zurück. „Als Rache hab’ ich gesagt, ich zahl euch den Schnaps schon, aber trinken müsst’s ihn auch – die sahen dann nicht mehr so gut aus!“
Die bunten Bänder am Haselnussstecken haben übrigens allesamt ihre Bedeutung: Blau steht für Treue, grün für Hoffnung, rot für Liebe und weiß für die Jungfräulichkeit. „Früher war der Stock entweder weiß-blau geschmückt, wenn die Braut noch jungfräulich war, oder weiß-rot, wenn die Braut vor der Hochzeit schon Mutter war“, erklärt Aichinger.
Dass das Amt des Hochzeitsladers wieder mehr gefragt ist, freut ihn sehr. „Die Menschen besinnen sich immer mehr zurück auf die Traditionen“, sagt Aichinger. Und natürlich gehört er selber auch dazu. Im Mai wird er Vater, mit seiner Freundin will er danach auch vor den Traualtar treten. „Und natürlich steht für mich steht fest: Ich heirate nur mit Hochzeitslader!“ (
Melanie Bäumel-Schachtner)
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Eine der Aufgaben des Hochzeitsladers: die Unterhaltung der Gäste. Foto: Bäumel-Schachtner
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