Leben in Bayern

Nicht jeder der allein ist, ist auch einsam. Seit dieser Woche aber darf man auch in Bayern eine Person, die nicht im eigenen Haushalt wohnt, treffen.(Frank Leonhardt dpa/lby)

20.04.2020

Plus eins auch in Bayern erlaubt: Corona und die Unberührten

Der Corona-Ausnahmezustand ist insbesondere für Menschen hart, die alleine leben. Das sind mehrere Millionen. Kontaktbeschränkungen auf ein Minimum von exakt null anderen Personen können zu Einsamkeit führen. Nun lockert Bayern die strengen Maßnahmen. Ein Lichtblick?

Für manche in Bayern könnte es sich so anfühlen, als erwachten sie am Montag in einer neuen Welt. Nach mehr als vier Wochen dürfen sie immerhin eine Person außerhalb des eigenen Hausstands treffen. Im Freien, etwa zum Sport. Mit dieser Lockerung der Ausgangsbeschränkung schwenkt die Staatsregierung auf die auch in anderen Bundesländern geltende Regel ein. Gerade Alleinstehende und Singles hatten am Kontaktverbot zu knabbern. Es droht Einsamkeit.

"Einsamkeit fühlt sich schmerzhaft an und geht oft mit Traurigkeit und einem Gefühl von Kontrollverlust einher", erklärt die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs). Dabei gebe es große Unterschiede zwischen Menschen, wie viele Kontakte sie zu anderen brauchen. "Manchen reicht es, wenn sie einmal am Tag mit jemandem telefonieren, andere brauchen eigentlich immer ihre Freunde um sich herum."

17 Millionen Menschen leben alleine

In Deutschland lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2018 fast 17 Millionen Menschen alleine in ihrer Wohnung, 35 Prozent davon waren 65 Jahre und älter. In Bayern listet die Statistik rund 2,7 Millionen Einpersonenhaushalte auf - was mehr als 40 Prozent der Privathaushalte im Freistaat entspricht.
Und auch wenn man nun mit einer anderen Person zum Beispiel joggen darf, bleibt es beim Abstandhalten. Konkret heißt das für alleine lebende Menschen: keine Umarmung, kein Schulterklopfen, kein Kuss, kein Händeschütteln - wobei das in Corona-Zeiten ja eh verpönt ist.

"Das ist eine sehr schwierige Situation", sagt einer, der weiß, wie es sich anfühlt, weitgehend für sich zu sein: Bruder Damian lebt als Eremit in einer Einsiedelei bei Nußdorf am Inn (Landkreis Rosenheim). Der 59-Jährige hat sich das freiwillig ausgesucht, ist vor mehr als einem Jahr aus einem Kloster hierher gewechselt und kommt nach eigenen Worten gut damit klar. Er bete viel, lese in der Bibel. "Der Mensch muss lernen, mit sich selbst fertig zu werden", sagt er. "Aber sich auch einfach mal beim Spazierengehen die Schöpfung anschauen."

Gerade das sei wichtig, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, sagt Bruder Damian: nach draußen gehen. Und man sollte sich einen ganz streng strukturierten Tagesplan zulegen und sich nur zu bestimmten Zeiten mit sich selbst befassen. "Dann kann man nachdenken, was wirklich wichtig ist im Leben und was man auch selbst ändern kann."

Eine Struktur hilft gegen das Chaos im Alltag

Tipps, die auch die DGPs gibt: "Eine Struktur hilft gegen das Chaos im Alltag, gibt Sicherheit und hilft, mit Stresssituationen umzugehen." Dem Grübeln sollten Grenzen gesetzt werden. Positive Gedanken könnten sein, welche Stärken man hat oder dass man jetzt Dinge tun kann, für die sonst keine Zeit war - wie ein Hobby.

Hilfreich sei es zudem, auf anderen Wegen Kontakt zu halten: "Über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Skype können wir nicht nur Textnachrichten austauschen, sondern auch Fotos, Sprachnachrichten und sogar per Video miteinander sprechen", so die DGPs. Und auch der klassische Brief oder das Telefon sollten nicht vergessen werden.

Und man solle andere um Hilfe bitten. "Für viele Menschen ist Einsamkeit ein Tabuthema - wir möchten anderen gegenüber nicht gerne zugeben, dass wir uns einsam fühlen. Aber für Einsamkeit braucht man sich nicht zu schämen, und es ist auch kein Zeichen von Schwäche." Auch auf andere sollte man achten, ob sie vielleicht einsam sind.

Allerdings weist die DGPs auch darauf hin, dass Einsamkeit nicht mit Alleinesein verwechselt werden dürfe. Nur weil keine anderen Menschen in der Nähe sind, muss es einem nicht automatisch schlecht gehen. "Viele Menschen nehmen sich bewusst Zeit für sich alleine, um dem Trubel des Alltags zu entgehen und ein wenig Ruhe zu haben."

Freundschaft wird an Wert gewinnen

Generell sei es auch nicht schlimm, wenn man mal über längere Zeit keine Berührungen habe, sagt die Münchner Sexual- und Paartherapeutin Heike Melzer. Singles seien dies ja gewohnt. Allerdings fielen jetzt auch beispielsweise Besuche in Massagestudios weg. Im Gegenzug dazu steige die Nachfrage nach Haustieren zum Schmusen und Streicheln.

Bruder Damian rät auch zum Vergleich mit anderen: Menschen in ärmeren Ländern oder der Kriegsgeneration, die ganz andere Zustände ertrug. So könne man sich vergewissern, wie gut es einem gehe, wenn man selbst, aber auch Freunde und Verwandte gesund seien.

"Freundschaft wird an Wert gewinnen", ist der 59-Jährige überzeugt. Zum einen merke man jetzt, wer wirklich für einen da sei und zu wem der Kontakt auch auf Distanz halte. Zum anderen dürften Begegnungen, wenn sie in Zukunft irgendwann wieder erlaubt werden, inniger werden, prognostiziert er. "Und man sollte sich in dieser Phase, die sehr dunkel ist für diese Welt, auch etwas Positives für danach vornehmen", sagt der Katholik. "Eine Party zum Beispiel."
(Marco Krefting, dpa)

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