Leben in Bayern

Pilatus, von Spielleiter Gerhard Göß verkörpert, zeigt stolz auf den gestorbenen Jesus. Er hat sein Ziel erreicht. (Foto: Traub)

27.02.2023

Schafe blöken nach dem Urteil des Pilatus

Oberammergau hat das bekannteste Passionsspiel zu bieten – doch auch anderswo wird die Bibel erlebbar gemacht, zum Beispiel im Freilichtmuseum in Bad Windsheim

Es muss nicht immer Oberammergau und es muss auch kein Massenevent für Tourist*innen sein, bei dem man nicht weiß, ob man noch Karten bekommt – und man sie sich leisten kann oder will. Es braucht noch nicht einmal ein Theater, um ein Passionsspiel aufzuführen. Es geht sogar ohne Bühne. Und man muss auch nicht jahrelang warten bis zum nächsten Spiel. Passionsspiele gibt es in Deutschland an mehreren Orten neben Oberammergau, etwa im hessischen Bensheim, in Hallenberg im Sauerland oder im schwäbischen Örtchen Waal.

Meist verdanken sich die Veranstaltungen privater Initiative. So auch in Bad Windsheim, wo die Aufführung im Fränkischen Freilandmuseum, einem weitläufigen Areal mit über 100 historischen Gebäuden – von Bauernhöfen über Mühlen und einer Brauerei bis zu einem Adelssitz –, Jahr für Jahr an Karfreitag auf dem Spielplan steht, wenn nicht gerade eine Pandemie etwas dagegen hat.

Wie so viele andere Passionsspiele wird auch die Bad Windsheimer Version, die erstmalig 1985 stattgefunden hat, von Laiendarstellern und -darstellerinnen getragen. Gerhard Göß, der seit langen Jahren als Spielleiter fungiert und seit Anbeginn auch in die Rolle des Pilatus schlüpft, stimmt das Publikum mit erklärenden Worten auf die Handlung ein. Und immer mehr Besucher*innen des Freilandmuseums, das an diesem Tag regulär geöffnet hat, bleiben stehen und verfolgen die Inszenierung – Jung und Alt.

„Wir sind, obwohl wir schon lange zusammen spielen, echte Amateure“, führt Gerhard Göß aus. „Wir machen auch unsere Kostüme selbst, und die Hellebarden und Speere auch.“

Der Spielleiter und sein etwa 40-köpfiges Team der Theatergruppe Marktbergel, einem Nachbarort, führen die Leidensgeschichte Christi in sieben Akten auf – vom letzten Abendmahl über den Verrat des Judas und die Gefangennahme im Garten Gethsemane bis zur Kreuzigung durch die römischen Soldaten. Sie findet auf dem höchsten Hügel mitten im Freilandmuseum statt, dem fränkischen Golgatha.

Textgrundlage ist Die ganz’ Passion des Nürnberger Schuhmachers und Meistersingers Hans Sachs aus dem Jahr 1550, die in den 1980er-Jahren komprimiert und modernisiert worden ist. „Viele halten es für fränkische Mundart, aber es ist die Sprache des Mittelalters“, meint Gerhard Göß.

Unterstützung erfährt sein Ensemble stets von den „Bad Windsheimer Sängern und Spielleut“. „Auch wir sind reine Autodidakten“, betont Leiter Jürgen Müller. Die überlieferten Passionslieder begleiten die Männer auf historischen Instrumenten. Singend und musizierend leiten die Windsheimer Musiker die jeweils nächste Szene ein. Die Gruppe mit einem Repertoire, das von Kirchen- über Weihnachts- bis zu Trinkliedern reicht, hat schon CDs eingespielt.

Das Publikum hat frühzeitig die Bänke erobert. Da nicht ausreichend Sitzgelegenheiten vorhanden sind, haben sich viele auf dem Rasen niedergelassen unter den schon blühenden Kirschbäumen. Erfahrene sind mit einem Klappstuhl gekommen. „Ja, wir haben echte Stammgäste“, freut sich Spielleiter Göß. Die Sonne scheint von einem blau-weißen Himmel. „Das ist, weiß Gott, nicht immer so“, erinnert er sich an einen eisigen Märztag. „Aber wir spielen eben bei jedem Wetter, sogar bei Schnee.“

„Weil wir heut zu Gedächtnis hon, des Herren Christi Passion. Nach der Beschreibung der Evangelisten, da werd ihr andächtigen Christen, sehen und hören an der Statt, beides mit Worten und mit Tat.“ Mit diesen Versen von Hans Sachs eröffnet ein Herold die „Tragedia in 7 Actus“ um Punkt 14 Uhr. Kulisse der ersten Szenen ist eine historische Schäferei mit Ställen. Typisch Franken, Schafzucht hat hier eine lange Tradition.

Alles funktioniert ganz ohne Mikrofon

Dann nimmt das Spiel auf der Naturbühne seinen bekannten Lauf. Wobei bekannt nicht so ganz stimmt. Denn hat man je ein Schaf blöken hören, nachdem Pilatus sein Schlusswort gesprochen hat, oder Kindergeschrei während der Zahlung des Judaslohns oder Hundegebell, wenn Jesus zum gereimten Vers „der Verführer ist gefangen, woran hatten wir stark Verlangen“ festgenommen wird? Die Realität im Freilandmuseum schert sich nicht unbedingt um die Passion.

Vielleicht kommt einem da das antike Jerusalem in den Sinn, in dem die meisten Menschen unabhängig von der Leidensgeschichte wohl ihrem Alltag nachgegangen sind. Die vielen Darsteller und Darstellerinnen geben ihr Bestes – ganz ohne Mikrofon übrigens.

Zum Schluss wird das Publikum in die Dramaturgie einbezogen. Gemeinsam mit dem Ensemble, dem geschundenen Jesus mit der Dornenkrone und seinen Häschern ganz nah, spaziert man zum Hügel. Einige lassen es sich nicht nehmen, in die „Kreuziget ihn“-Rufe einzustimmen, was bei anderen Kopfschütteln auslöst. Und während dann die Kreuzigung unerbittlich ihren Lauf nimmt, hört man von Ferne Polizeisirenen. Das Leben geht weiter.

Im Gegensatz etwa zu Oberammergau ist die Windsheimer Passion ein Schnelldurchlauf. Nach einer Stunde ist das Werk vollbracht und es herrscht trotz der dramatischen Handlung heitere, gelöste Stimmung.

Gerhard Göß, der seinen 70. Geburtstag schon hinter sich hat, ist froh und auch ein bisschen stolz, dass es wieder geklappt hat. Wie Jürgen Müller von den Bad Windsheimer Sängern und Spielleut klagt auch er über Nachwuchsprobleme. „Die jungen Leute wollen sich nicht mehr binden.“

Und ohne regelmäßiges Proben gehe es eben nicht, betonen beide. Dann wollen sie zu ihren Mitspielern und -spielerinnen und die kleine Gage, die das Freilandmuseum zahlt, im Wirtshaus auf dem Gelände in Speis und Trank umsetzen. (Ulrich Traub)
 

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