Leben in Bayern

Alleinsein macht krank. Die Staatsregierung hat jetzt ein Projekt gestartet, das einsamen Menschen helfen soll. Ein Münchner Verein vermittelt schon seit Jahrzehnten Kontakte. (Foto: dpa/Pedersen)

29.02.2024

Seit der Pandemie ist es besonders schlimm

Immer mehr alleinlebende ältere Menschen fühlen sich einsam – ein Verein vermittelt Gespräche und Begegnungen

Das Thema beschäftigt mittlerweile auch das bayerische Gesundheitsministerium: „Einsamkeit ist über individuelle Schicksale hinaus gesamtgesellschaftlich bedeutend“, so lautet eine aktuelle Einschätzung der Behörde. Seit Corona ist dieses Gefühl schließlich weiter verbreitet als je zuvor und betroffen sind nicht nur, aber doch vor allem ältere Menschen. Jetzt will man gegensteuern, mit neuen sogenannten Ratschbankerln oder gar Ratschkassen in den Supermärkten. Ein Verein aber kümmert sich schon seit Jahrzehnten um Gesprächspartnerschaften zwischen Jung und Alt.

Ein Wohnblock an der Planegger Straße in München-Pasing. Im zweiten Stock klingelt die 22-jährige Judith H. an einer Tür. Die junge Frau studiert an der Münchner Universität Politikwissenschaft und engagiert sich seit zwei Jahren ehrenamtlich beim Verein Freunde alter Menschen. Einmal in der Woche besucht sie die 90-jährige Josefa H., die ihr jetzt die Tür öffnet. Die weißhaarige Frau freut sich über den Besuch. Judith zieht die Straßenschuhe aus und ein Paar Hausschuhe an, dann gehen beide in das Wohnzimmer und setzen sich auf eine Bank. Hinter ihnen stehen Zinnteller in einem Regal, auf dem Tisch liegen Spitzendeckchen und auf dem Sofa sitzen jede Menge Plüschtiere.

Für Ältere wird es immer schwieriger, aus dem Haus zu gehen

Josefa H. ist auf dem Land mit vier Schwestern groß geworden, in Töging am Inn. Vor 62 Jahren kam sie mit ihrem Mann nach München, er arbeitete als Schreiner in einer nahen Papierfabrik, vor zehn Jahren ist er gestorben. Inzwischen ist auch eine Nachbarin, mit der sie eng befreundet war, tot. „Sie geht mir ab“, sagt die 90-Jährige. Und fügt hinzu: „Ich bin zwischendurch sehr traurig.“

Einige Kilometer entfernt sitzt in Sendling Hannah Kietzerow im Büro des Vereins Freunde alter Menschen und sagt: „Wir stiften Besuchspartnerschaften zwischen Jung und Alt, um das Alleinsein zu mildern.“ Davon sind vor allem ältere Menschen betroffen, denn mit den Jahren „schrumpft der Radius sehr schnell“, so die Sozialpädagogin. Das meint, dass es für Ältere immer schwieriger wird, aus dem Haus zu gehen und zum Beispiel Freunde oder Freundinnen zu besuchen. Weil das Gehen immer schwerer fällt und man unsicher auf den Beinen ist.

Der Verein wurde ursprünglich im Frankreich der Nachkriegszeit gegründet, als „Les petits frères des Pauvres“ („die kleinen Brüder der Armen“), die sich anfänglich um verarmte Kriegswitwen kümmerten. Seit den 1990er-Jahren gibt es den Verein auch in Berlin und seit drei Jahren in München.

In der bayerischen Landeshauptstadt existieren aktuell 36 dieser Partnerschaften zwischen Jüngeren und Senioren. Denn für viele hochbetagte Menschen ist ein Leben in Einsamkeit und Isolation eine traurige Realität: 12,5 Prozent der Altersgruppe von 46 bis 90 Jahren haben sich 2020 einsam gefühlt, erklärt das bayerische Gesundheitsministerium. 2014 waren es 8,5 Prozent, also deutlich weniger.

Zurück in die Planegger Straße. Bei Josefa H. beginnt der Morgen, wenn der Pflegedienst klingelt und ihr hilft, die Stützstrümpfe anzuziehen. Mittags kommt dann das „Essen auf Rädern“. „Am Anfang habe ich gedacht, das esse ich nicht“, erinnert sich die 90-Jährige. „Dann ist es aber besser geworden.“

Sie war berufstätig, im Verkauf an der Kasse, war später dann gar Abteilungsleiterin. Es gibt einen Sohn und mehrere Enkel und Urenkel, die sagen „Omi“ zur Uroma, während die Oma die „Oma“ ist. Natürlich gibt es Besuche, aber Sohn und Enkel sind eben berufstätig. So wird der Tag schon mal lang und einsam: „Ich sitze ja den ganzen Tag zu Hause.“

Ein Risikofaktor für körperliche und psychische Krankheiten

Rausgehen ist eher schwierig, sie hat auch Angst vor jungen Rüpeln auf der Straße, wie sie sagt. Die Kirche ist zu weit weg, um zu Fuß hinzugehen, zu den Arztbesuchen fährt sie meist mit dem Taxi. So ist ihr der Besuch von Judith H. schon sehr wichtig.

Die Studentin selbst kommt aus Regensburg, studiert seit 2020 in München. Was sind die Gründe für ihr ehrenamtliches Engagement? „Ich wollte mich für die Gesellschaft engagieren“, erzählt sie.

Und was machen Judith und Josefa, wenn sie zusammen sind? „Uns geht der Gesprächsstoff nie aus“, sagt Judith. Zum Beispiel über Fernsehsendungen, die sie gemeinsam gesehen haben. Das Traumschiff mit Florian Silbereisen zum Beispiel. „Der ist mir als Kapitän aber zu jung“, meint Josefa. Oder man spricht über Freundschaften. Manchmal gehen beide auch Kaffeetrinken oder machen einen kleinen Spaziergang.

Und wie funktioniert das, wenn zwischen den Generationen fast 70 Jahre liegen? Judith studiert auch Geschichte im Nebenfach und sagt: „Ich finde es wichtig, dass Erlebnisse und Erfahrungen auch weitergegeben werden.“
Wenn Judith wieder gegangen ist, klingelt um 20.30 Uhr noch einmal der Pflegedienst, wegen der Stützstrümpfe. Dann noch etwas fernsehen in der Wohnküche und der Tag ist für Josefa wieder vorbei.

Ratschbankerl und Ratschkassen als günstige Angebote

„Licht an – Wege aus der Einsamkeit“ nennt sich ein Vorbeugeprojekt der bayerischen Staatsregierung, das Ratschläge gegen die Einsamkeit gibt. Zum Beispiel Tipps wie die Pflege nachbarschaftlicher Kontakte, das Wiederbeleben alter Freundschaften oder das Engagement in einem Verein. Denn: Zahlreiche Studien hätten chronische Einsamkeit als Risikofaktor für körperliche und psychische Krankheiten identifiziert, erfährt man von der Staatsregierung. Einsamkeit erhöhe auch das Risiko für einen ungesunden Lebensstil und die Sterblichkeit.

Auch die Stadt München hat sich mittlerweile des Themas angenommen. Allerdings ohne viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Die Idee, so ein Antrag im Münchner Stadtrat: Normale Parkbänke werden einfach zu Ratschbankerln umetikettiert. „Dabei handelt es sich um speziell gekennzeichnete Parkbänke, die zum gegenseitigen Austausch einladen“, heißt es in dem entsprechenden Antrag.

Und im schwäbischen Buxheim bei Memmingen wurden zu Testzwecken im vergangenen Jahr in einem Supermarkt sogenannte Ratschkassen (offiziell: Langsam-Kassen) eingerichtet, an denen die Kund*innen mit der Kassiererin beziehungsweise dem Kassierer plaudern können. Laut Gesundheitsministerium ist das Angebot „sehr gut“ angenommen worden. (Rudolf Stumberger)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Bayerns Kommunen eine Verpackungssteuer einführen?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.