Ein 19-Jähriger wird im Mai auf einer Burghausener Kirmes vor einem Festzelt von einem Unbekannten mit einem Faustschlag niedergestreckt. Der Jugendliche erleidet schwerste Kopfverletzungen. Im September quatscht ein 32-Jähriger eine 18-Jährige bei einem Volksfest im Landkreis Eichstätt an. Ihre gleichaltrige Freundin will sie vor dem aufdringlichen Mann beschützen, weshalb der Mann wie von Sinnen auf sie einprügelt und eintritt, bis sie schwer verletzt am Boden liegt.
Dies sind nur zwei Fälle brutaler Volksfestgewalt aus den vergangenen Monaten. Gewiss sind beides in ihrer Brutalität Einzelfälle. Doch nachdem im Sommer Schlagzeilen von hierzulande immer unsicherer werdenden Freibädern die Runde machten und heftige politische Diskussionen zur Folge hatten, lohnt es sich, den Blick auf die Sicherheitslage auf Bayerns Volksfesten zu richten.
Schließlich sind sie vielen Deutschen mindestens so lieb wie ihre Freibäder. Die Staatszeitung fragte deshalb bei den zuständigen Polizeipräsidien die Kriminalitätsentwicklung der zehn besucherstärksten bayerischen Volksfeste ab dem Jahr 2013 ab. Zwar reichen manche Statistiken der Sicherheitsbehörden nur einige Jahre zurück. Doch klar ist: Einen generellen oder gar extremen Kriminalitätsanstieg auf Bayerns großen Rummelplätzen gibt es nicht.
Teils dramatischer Anstieg von Vorfällen
Bei mehreren der besucherstärksten Volksfeste im Freistaat sank die Zahl der angezeigten Straftaten in den vergangenen Jahren sogar. So verzeichneten die meisten Biersausen deutlich weniger Diebstähle. Nach Angaben der zuständigen Polizeibehörden nahm bei diversen großen Volkfesten in den vergangenen Jahren zudem die Zahl der angezeigten Gewalttaten ab oder stagnierte zumindest.
Einzelne Feste verzeichneten jedoch einen dramatischen Anstieg bei den Körperverletzungen. Für politische Diskussionen könnte zudem die teils spürbar gestiegene Zahl an angezeigten Sexualdelikten sorgen.
Mehrere Jahre lang ging die Zahl sämtlicher Straftaten beim Münchner Oktoberfest zurück. Zwischen 2013 und 2016 sank die Zahl der angezeigten Delikte auf dem größten Volksfest der Welt von 1605 kontinuierlich auf 1110. Im Jahr 2017 kletterte sie dann zwar auf 1205. Trotz gestiegener Gästezahlen sank sie in den Folgejahren zunächst bis 2019 auf knapp 959 ab. Bei der ersten Wiesn nach der Corona-Pandemie verzeichnete die Polizei dann im Jahr 2022 jedoch wieder 1034, in diesem Herbst sogar 1162 Delikte.
Ein Teil des diesjährigen Anstiegs geht darauf zurück, dass die Wiesn einen Tag länger dauerte als üblich. „Die Gesamtzahl der Straftaten ist absolut dennoch leicht gestiegen“, sagt ein Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums. Sieht man das Plus an Straftaten im vergangenen Jahr allerdings in Relation zur Rekordbesucherzahl von 7,2 Millionen, registrierten die Beamten bei der jüngst zu Ende gegangenen Wiesn noch weit weniger Delikte als im Durchschnitt aller Oktoberfeste ab 2013.
Einen großen Erfolg konnte die Münchner Polizei etwa im Kampf gegen Taschendiebstähle erzielen: Diese nahmen auf dem größten Volksfest der Welt in den vergangenen zehn Jahren rapide um 73 Prozent ab: 2013 gab es noch 535 solcher Anzeigen, im vergangenen Jahr waren es dann nur mehr 143. Eine Ursache ist nach Angaben der Sicherheitsbehörden die verstärkte Videoüberwachung. „Zudem führt der Einsatz der nationalen und internationalen Taschendiebfahnder zu entsprechenden Festnahmen“, so ein Polizeisprecher. Auch achteten „die Menschen mehr auf ihr Eigentum“.
Erfreulich aus Sicht der Ermittelnden ist der spürbare Rückgang bei den angezeigten Körperverletzungen: Diese halbierten sich auf der Wiesn von 2013 bis 2022 beinahe von 474 auf 260. In diesem Jahr stieg die Zahl auf 268 an, war jedoch aufgrund der längeren Dauer der Riesenparty gerechnet noch immer niedriger als im Vorjahr. Allerdings war die Zahl der Vergewaltigungen mit sechs Anzeigen in diesem Jahr höher als in früheren Jahren. Die Zahl aller Sexualdelikte auf der Wiesn hat in diesem Jahr mit 73 einen traurigen Rekord erreicht – 2013 hatte es nur 17 Anzeigen in diesem Deliktfeld gegeben. Eine wesentliche Rolle für den Anstieg könnten nach Polizeiangaben jedoch auch mehrere Verschärfungen des Sexualstrafrechts sowie eine Änderung bei der statistischen Erfassung spielen.
Beim Straubinger Gäubodenfest hat die Polizei in den vergangenen Jahren ihre Präsenz deutlich erhöht – und das offenbar mit Erfolg: Waren 2013 und 2014 noch insgesamt knapp 90 Körperverletzungen am Festplatz und in direkter Umgebung angezeigt worden, lag dieser Wert 2018 und 2019 zusammengerechnet nur mehr bei 50. Nach der Corona-Pause gab es beim Gäubodenfest 2022 zwar erneut einen Anstieg solcher Gewaltdelikte: auf 40 am Festplatz.
In diesem Jahr wurden dann allerdings nur mehr 26 Körperverletzungen verzeichnet – weit weniger als in früheren Jahren. Zumeist handelte es sich nach Polizeiangaben um einfache Körperverletzungen. Laut Straubinger Polizei würden die mittlerweile vermehrten Streifen zwischen Fahrgeschäften und Bierzelten „bei den Besuchern sehr positiv aufgenommen“. Kein Wunder: Die Zahl der Diebstähle beim Gäubodenfest war zuletzt deutlich geringer als in den Vorjahren.
Auch in Mittelfranken gibt es Anlass zur Sorge
Die Zahl der Straftaten beim in ganz Oberbayern beliebten Rosenheimer Herbstfest unterlag in den vergangenen Jahren zwar erheblichen Schwankungen – in den Jahren nach der Corona-Zwangspause gab es jedoch einen eindeutigen positiven Trend: Verzeichnete die Polizei zwischen 2016 und 2019 stets über 30 und teils sogar weit mehr Fälle von Körperverletzungen, waren es in diesem Spätsommer nur mehr 21 gewesen. Auch die Zahl der Diebstähle erreichte 2023 mit 17 einen neuen Tiefstand. Bei den Sexualstraftaten gab es anders als beim großen Münchner Pendant im Langzeitvergleich keinen Anstieg.
Für die großen mittelfränkischen Volksfeste konnte das Polizeipräsidium Mittelfranken zwar noch keine Zahlen für 2023 nennen. Die polizeiliche Kriminalstatistik für die Jahre 2018 bis 2022 fiel jedoch sehr unterschiedlich aus. Kettenkarussell, Riesenrad und weitere Attraktionen locken zweimal pro Jahr rund zwei Millionen Besucher an den Nürnberger Dutzendteich.
Beim Nürnberger Frühlingsfest stieg die Zahl der Straftaten deutlich. Lag diese 2018 und 2019 noch bei rund 40 angezeigten Delikten, waren es 2022 mit knapp 100 zweieinhalbmal so viele. Die Zahl der Körperverletzungen verdreifachte sich 2018 bis 2022 sogar beinahe. Beim Nürnberger Herbstfest stagnierte zwar die Zahl der Straftaten insgesamt zuletzt – besorgniserregend ist jedoch die Verdoppelung der Körperverletzungen im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2018. Zu Sexualdelikten kam es bei den beiden großen Volksfesten in der Frankenmetropole dagegen in den vergangenen Jahren nur vereinzelt.
Die Michaeliskirchweih in Fürth ist eines der ältesten fränkischen Volksfeste. Dort sank die Zahl der Straftaten nach der Corona-Zwangspause auf gerade einmal elf im Jahr 2022. Besonders erfreulich: Die Polizei registrierte 2022 fast keine Sexual- oder Gewaltdelikte.
Bei der traditionsreichen Erlanger Bergkirchweih sank die Zahl der Straftaten 2022 im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit deutlich. 2018 verzeichnete die Polizei insgesamt rund 240, 2019 sogar gut 270 Delikte – im vergangenen Jahr waren es dagegen nur noch 181. So sank etwa die Zahl der gemeldeten Diebstähle deutlich. Die gemeldeten Körperverletzungen verharrten allerdings in etwa auf Vor-Corona-Niveau.
Beim Augsburger Osterplärrer sowie dem Herbstplärrer blieb die Zahl der angezeigten Straftaten in den vergangenen zehn Jahren bei gewissen Schwankungen nach Polizeiangaben in etwa auf demselben Niveau. Bei den Körperverletzungen gab es auf dem Herbstplärrer in den Jahren ab 2018 anders als beim Osterplärrer im Vergleich zu den Vorjahren allerdings einen leichten Anstieg. Bei den Sexualstraftaten gab es in den vergangenen Jahren auf beiden Festen ein Plus auf sehr niedrigem Niveau.
Beim legendären Kiliani-Volksfest in Würzburg stieg die Zahl der Anzeigen 2022 und 2023 im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren deutlich. 2022 erreichte deren Zahl mit 55 einen Höchststand und auch die Deliktzahl für 2023 ist mit 41 so hoch wie zuletzt 2013. Vor allem die Zahl der angezeigten Diebstähle schnellte empor. Die Zahl der Gewaltdelikte war 2022 explodiert, sank jedoch in diesem Jahr wieder – und das sogar unter das Vor-Corona-Niveau.
Der Ausländeranteil steigt – aber nicht überall
Auffällig: Bis 2017 waren fast alle Tatverdächtigen beim Kiliani Deutsche, in der Folgezeit sank deren Anteil. In diesem Jahr hatte bereits jeder vierte Verdächtige einen ausländischen Pass.
Bei der Münchner Wiesn war der Ausländeranteil unter den Verdächtigen zuletzt dagegen in etwa auf demselben Niveau geblieben. Mit 491 hatte in diesem Jahr weit mehr als die Hälfte der 847 Tatverdächtigen keinen deutschen Pass. Allerdings ist kein Volksfest bei Touristen so beliebt wie Münchens Biersause – allein aus Italien kamen 106 Verdächtige.
Beim Nürnberger Frühlingsfest war unter den Tatverdächtigen zuletzt mehr als jeder dritte ohne deutschen Pass. Vor Corona war es nur jeder vierte gewesen. Beim Herbstfest hatte bereits vor Corona mehr als jeder dritte Tatverdächtige eine ausländische Staatsangehörigkeit. Bei der Fürther Michaeliskirchweih ist der Anteil der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass dagegen verschwindend gering.
Diverse Polizeipräsidien wollten mit Verweis auf einen angeblich nicht zumutbaren Rechercheaufwand die Zahlen zum Ausländeranteil trotz expliziter BSZ-Anfrage nicht übermitteln. Eines ließe sich aus den Zahlen ohnehin nicht herauslesen: ein möglicher Zusammenhang zwischen der massiv gestiegenen Zuwanderung von Geflüchteten und dem Anstieg bei Gewalt- und Sexualdelikten bei manchen Volksfesten. (Tobias Lill)
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